Viele Baustellen

Der Weltkirchenrat steht nicht nur vor finanziellen Herausforderungen
Globus vor dem UN-Sitz. Für das Verbleiben des ÖRK in Genf spricht die Nähe zu den internationalen Organisationen. Foto: epd / Peter Williams
Globus vor dem UN-Sitz. Für das Verbleiben des ÖRK in Genf spricht die Nähe zu den internationalen Organisationen. Foto: epd / Peter Williams
Der Schweizer Franken und die schlechte Zahlungsmoral vieler Mitgliedskirchen machen dem Weltkirchenrat genauso zu schaffen, wie das Problem, sich in der Weltöffentlichkeit zu behaupten, zeigt Jan Dirk Herbermann, epd-Korrespondent in Genf.

Auf einem Hügel am Stadtrand Genfs steht ein schmuckloses Gebäude. Seine Fassade verliert an einigen Stellen ihre graue Farbe. Und die kleinen Fenster gestatten kaum Einblicke in das Innere. Nach dem Betreten des Baus muss der Besucher sich ausweisen, die Damen an der Rezeption verlangen mit strenger Miene Auskunft über den Grund der Visite. Willkommen beim Weltkirchenrat, willkommen beim größten globalen Dachverband christlicher Kirchen, willkommen auf Genfs "heiligem Hügel", wie der Sitz des Ökumenischen Zentrums kirchenintern scherzhaft genannt wird. Hier hat der Weltkirchenrat, in Deutschland auch Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK) genannt, sein Hauptquartier. Er vertritt rund 350 christliche Kirchen mit 560 Millionen Mitgliedern. Große Kirchen, wie die Russisch-Orthodoxe mit weit mehr als 100 Millionen Mitgliedern, sind genauso vertreten wie Kleinkirchen, wie die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land mit einigen Tausend. Der Weltkirchenrat will die unterschiedlichen Stimmen der christlichen Kirchen bündeln und ihre nicht minder unterschiedlichen Anliegen repräsentieren.

In diesem Frühjahr richten sich die Blicke der ÖRK-Verantwortlichen auf den Herbst: Ende Oktober bis Anfang November werden die Mitgliedskirchen zu ihrer Vollversammlung in der südkoreanischen Hafenstadt Busan zusammentreffen. Die alle sieben Jahre stattfindende Weltkirchenkonferenz gilt als Höhepunkt im globalen ökumenischen Kalender.

Doch in diesem Frühjahr müssen die ÖRK-Oberen ihre Blicke auch auf den Zustand der eigenen Organisation richten: Unschwer ist zu erkennen, dass viele Baustellen das Bild des ÖRK prägen.

Sie werden auch in Busan zur Sprache kommen: Der Weltkirchenrat sucht weiter ein großes sinnstiftendes Thema, der langwierige interne Reformprozess ist noch nicht abgeschlossen, und die Finanzlage bleibt weiter kritisch. Neue Pfingstkirchen und evangelikale Kirchen machen einen Bogen um den ÖRK.

Der neue Papst

Und er muss das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche unter Papst Franziskus neu justieren, zumal die Beziehung zum Vatikan durch den Wechsel an der Spitze der katholischen Kirche in den ökumenischen Brennpunkt gerückt ist. Wie soll man dem neuen Papst begegnen? ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit betont die Gemeinsamkeiten: "Alle christlichen Kirchen haben eine gemeinsame Agenda zur Förderung von Gerechtigkeit und Frieden und der Bekämpfung der Armut. Und Franziskus hat auf diesen Gebieten schon in seiner Zeit in Lateinamerika viel bewirkt."

Und Pfarrerin Márcia Bencke, die lutherische Generalsekretärin des Nationalrates der Kirchen in Brasilien, verweist auf die christliche Geschichte Lateinamerikas. Die ökumenischen Hoffnungen der christlichen Kirchen in Brasilien umschreibt sie so: "Insbesondere in Brasilien erleben wir ein reiches ökumenisches Zusammenleben mit der römisch-katholischen Kirche. Ich hoffe, dass der neue Papst unseren ökumenischen Weg weiter bestärken wird." Doch die beiden Lutheraner Tveit und Bencke wissen auch: Der neue Pontifex hat bis dato keine großen Ökumene-Erfahrungen gesammelt.

Am Sitz des Weltkirchenrates werden auch skeptische Töne angeschlagen: Das neue Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche beantworte theologische Fragen genauso dogmatisch-konservativ wie sein Vorgänger Benedikt XVI., heißt es. Sowohl Franziskus als auch Benedikt beanspruchten eine Vorrangstellung ihrer Kirche vor den anderen Kirchen.

Juniorrolle neben dem Vatikan

Zumindest quantitativ und optisch kommt der katholischen Kirche eine einmalige Stellung zu: Mit ihren fast 1,2 Milliarden Mitgliedern umfasst sie mehr als doppelt so viele Christen wie alle 350 Mitgliedskirchen des ÖRK zusammen. Und im Februar und März beherrschten die beiden Päpste die Medien vieler christlich geprägter Länder: Die Sensation, dass ein Papst zurücktrat, dessen letzte Begegnungen mit den Katholiken, die überraschend schnelle Wahl des Nachfolgers, die jubelnden Massen auf dem Petersplatz, die pompöse und gleichzeitig besinnliche Einführungsmesse für Franziskus, boten Bilder, die nur die römisch-katholische Kirche mit ihrem Pontifex Maximus liefern kann.

Und der Weltkirchenrat? Seine Vertreter, unter ihnen Generalsekretär Tveit, nahmen wie Tausende anderer internationaler Würdenträger an der Einführungsmesse teil, ohne dass ihnen eine herausgehobene Behandlung zuteilwurde. Tveit und seine Delegation mussten sich vielmehr mit der Rolle von Statisten begnügen.

Sicher dürfte die römisch-katholische Kirche mit dem Weltkirchenrat weiter punktuell kooperieren, wie sie es bisher in der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung und im Ökumenischen Institut des ÖRK in Bossey bei Genf getan hat. Doch im Weltmaßstab wird sich der Weltkirchenrat mit einer Juniorrolle neben dem Vatikan abfinden müssen.

Thema gesucht

Zudem: Während die römisch-katholische Kirche unter Franziskus anscheinend ihr Herz für die Mittellosen wieder entdeckt und ihr neues Oberhaupt schon als "Papst der Armen" gilt, sucht der ÖRK noch ein griffiges Thema. Er umschreibt die Suche so: "Ziel des Ökumenischen Rates der Kirchen ist es nicht, eine weltweite ,Über-Kirche' zu sein oder die Gottesdienstformen zu standardisieren, sondern vielmehr die Gemeinschaft zwischen christlichen Kirchen und Gemeinschaften zu vertiefen. Dadurch werden die Grundlagen dafür geschaffen, dass die Kirchen gemeinsam den apostolischen Glauben bekennen können, dass sie in der Mission und in humanitären Hilfsprogrammen zusammenarbeiten und, wenn möglich, die Sakramente miteinander teilen." Das klingt sehr nach Nabelschau. Dabei braucht, wer im weltweiten Wettbewerb der Lobbygruppen, Verbände, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen Aufmerksamkeit erregen will, ein klar umrissenes Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Bis in die Neunzigerjahre hinein hatte sich der Weltkirchenrat für die unterdrückte Bevölkerungsmehrheit in Südafrika stark gemacht und das Rassistenregime heftig kritisiert. Der ÖRK galt als wichtiger Verbündeter der Schwarzen, Farbigen und anderen Opfer des Apartheidsystems am Kap der Guten Hoffnung.

Seit dem Fall der Apartheid tut sich der Weltkirchenrat aber schwer damit, ein großes, publikumswirksames Feld zu beackern. Mal versucht er es mit sozialer Gerechtigkeit, mal mit Klimaschutz, mal mit Friedensaktivitäten.

Hilfe für Verfolgte

Eine Herausforderung aber, die für viele Menschen lebensbedrohend ist, hat der ÖRK noch nicht in ihrer ganzen Schärfe erfasst: Die Verfolgung vieler Christen in islamischen Staaten. Ein selbstkritischer Mitarbeiter des Weltkirchenrates sagt: "Wir äußern uns sehr oft zu allen möglichen globalen Themen, doch wenn es um die Christenverfolgung geht, ist unsere Stimme nicht laut genug." Erst der Fall eines geistig behinderten Mädchens, das in Pakistan wegen Gotteslästerung inhaftiert worden war, rüttelte den ÖRK richtig auf. Und er machte seinen Kampf gegen Pakistans berüchtigtes Blasphemie-Gesetz öffentlich.

In kaum einem anderen Land ist die Lage der Christen so schwierig wie in Pakistan. Das dort geltende Gesetz gegen Gotteslästerung dient radikalen Muslimen als schärfste Waffe. Es versetze die christliche Minderheit in "Angst und Schrecken", kritisiert der Weltkirchenrat. Im schlimmsten Fall, der Beleidigung des Propheten Mohammed, droht die Todesstrafe. Die Bestimmungen sind sehr vage formuliert und geben der Polizei enorme Macht. "In der Mehrheit der Fälle sind die Anschuldigungen falsch", beklagt der pakistanische Bischof Samuel Azariah. Und der Weltkirchenrat kritisiert, "Erniedrigung, Angriffe und außergerichtliche Tötungen" durch radikale Muslime seien die Folge. Zudem müssten beschuldigte Christen und Hindus die Zerstörung von Hab und Gut erdulden.

"Wir haben die Verpflichtung, den verfolgten Minderheiten in Pakistan zu helfen", betont der ÖRK. Allerdings: Außer Worten fand er bislang keine Mittel, den bedrängten Glaubensgeschwistern in Pakistan und anderen konservativen muslimischen Staaten - wie Saudi Arabien oder auch in Afrika - wirksam zu helfen.

Permante Finanznot

Neben der Suche nach einem großen Thema hält auch die permanente Finanznot den ÖRK in Atem. Vor einiger Zeit geriet der Pensionsfonds für die Mitarbeiter in akute Schieflage. Um einen Bankkredit für den Fonds zu erhalten, musste der Weltkirchenrat an sein Tafelsilber heran. Er beschloss, das rund 37.000 Quadratmeter große Gelände auf dem heiligen Hügel neu zu bebauen und weiter zu entwickeln. Mieteinnahmen und eventuelle Veräußerungsgewinne sollen zur Tilgung des Kredits benutzt werden.

Die finanzielle Krise des Pensionsfonds hat viele Ursachen: Im Zuge interner Reformen und um Gehälter zu sparen, hatte sich der Weltkirchenrat von vielen Mitarbeitern getrennt. Ende der Neunzigerjahre standen noch rund 350 auf der Gehaltsliste, heute sind es nur noch etwa 135 Frauen und Männer. Und weniger Mitarbeiter bedeutet weniger Beitragszahler für den Pensionsfonds. Die Zahl der Empfänger von Pensionen verminderte sich dagegen nicht im selben Ausmaß wie die Zahl der Einzahler. Gleichzeitig verlangten viele ÖRK-Mitarbeiter bei ihrem Abschied vom Fonds eine Abschlagssumme. Und "diese hohen Einmalzahlungen gehen an die Substanz des Fonds", erklärt ein ehemaliger Mitarbeiter des Weltkirchenrates.

Kursverluste und Einnahmeschwund

Für Generalsekretär Tveit ist der Pensionsfonds aber nur ein Finanzproblem unter vielen. Der starke Schweizer Franken löst Kursverluste aus. Und Genf gilt als eine der teuersten Städte der Welt. Vor allem aber machen dem ÖRK die sinkenden Mitgliederbeiträge zu schaffen: Waren es 2009 noch 5,6 Millionen Franken, gingen 2010 nur 5,1 Millionen ein. Nur 230 der 350 Mitgliedskirchen überwiesen 2010 einen Beitrag nach Genf.

"Wir drängen alle unsere Mitglieder, einen Beitrag zu entrichten", unterstreicht Tveit. Zwar existiert ein Schlüssel, nach dem die Höhe des Beitrages berechnet wird. Aber letztlich bestimmen die Kirchen selbst, ob und wie viel sie zahlen. So lösen die Zahlungen der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) bei vielen anderen Kirchen nur Kopfschütteln aus. Die ROK besitzt große Vermögenswerte. Aber an den Weltkirchenrat zahlte sie 2010 nur einen Mitgliedsbeitrag von exakt 9648 Schweizer Franken, plus tausend Franken für die Programmarbeit. Zum Vergleich: Der Evangelische Regionalverband Herborn-Biedenkopf in Hessen, der nicht dem ÖRK angehört, gab sich wesentlich generöser. Er überwies 2011 genau 15.040 Schweizer Franken für die Programmarbeit des Weltkirchenrates.

Weg aus Genf

Aber auch andere weltweite Kirchenbünde, die im Ökumenischen Zentrum auf dem heiligen Hügel ihren Sitz haben, kämpfen mit Finanzkrisen. Und zwei von ihnen haben das teure Genf entweder schon Richtung Eurozone verlassen - oder wollen es noch. So zog die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen zu Beginn des Jahres nach Hannover. Und jetzt zeichnet sich der Abschied der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Richtung Brüssel ab.

Die Mehrzahl der rund 120 Mitgliedskirchen stehe einer Konzentration der Aktivitäten in Brüssel aufgeschlossen gegenüber, sagt KEK-Generalsekretär Guy Liagre. Ziel sei es, durch den Umzug Kosten zu senken und die Strukturen zu straffen. Einen entsprechenden Beschluss könnte die Vollversammlung der KEK fassen, die im Juli in Budapest tagt.

Beim Weltkirchenrat lösen die Umzugspläne Alarm aus. "Ich bin enttäuscht", bekennt Generalsekretär Tveit. Schließlich sei Genf die Stadt des Reformators Johannes Calvin und der Vereinten Nationen und biete so für die Kirchenbünde ein sehr gutes Umfeld. Und auch die Neutralität und Weltoffenheit der Schweiz seien große Pluspunkte.

Für den Weltkirchenrat kommt ein Umzug nicht in Frage. Die Umbau- und Renovierungspläne auf dem heiligem Hügel umfassen auch die ÖRK -Zentrale. Das unscheinbare, graue Haus soll in Zukunft ein freundliches Gesicht erhalten.

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Jan Dirk Herbermann

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