Unsichtbares Reich

Bob Dylan ganz anders
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Dieses Album hat Größe. Weniger, weil biographische Häutungen nachzuvollziehen sind, als vielmehr, weil wir Dylan jene unsichtbare "Republic of Songs" betreten sehen.

Alter kann ein Grund für Rückzug sein. Wie bei Bendedikt XVI., dessen Kraft zum "Petrusdienst" nicht mehr reichte. Auch Messias-Rolle und Ruhm können Ausstiegssehnsucht wecken. Bob Dylan als "Stimme einer ganzen Generation" erging das so. Nachdem er 1965/66 drei epochale Alben veröffentlichte und dann einen schweren Motorradunfall gehabt hatte, war er erst mal weg vom Fenster, um sich später dort gerade nicht wieder in der geforderten Pose zu zeigen - sondern ganz anders.

Es folgte ein Countryfolk-Album und dann kamen für Dylan-Päpstliche richtig harte Jahre: 1969 "Nashville Skyline" mit Johnny Cash, der, anders als heute, damals gar nicht en vogue war. Und Dylans Stimme? Klang weichgespült. Ebenso auf der Doppel-LP "Self Portrait" , die zudem etliche Traditionals ("Little Sadie", "Alberta", "Days of '49") und Songs enthielt, in denen er bloß summte ("Wigwam") oder schwieg und Frauen als läppisch empfundene Zeilen singen ließ ("All The Tired Horses In The Sun").

Musikkritiker Greil Marcus befand: "What Is This Shit?" Die Langspielplatte "New Morning" war auch wieder Countryfolk mit Jazzelementen. Für die fordernde Gemeinde wirklich harte Jahre. Und denen ist nun Volume 10 der so genannten Bootleg Series gewidmet, eine Reihe mit anderen Fassungen der auf Platte erschienenen Songs, Unveröffentlichtem und Live-Material. Augenzwinkernder Titel der Doppel-CD: "Another Self Portrait".

Es hat Größe. Weniger, weil biographische Häutungen nachzuvollziehen sind, als vielmehr, weil wir Dylan jene unsichtbare "Republic of Songs" betreten sehen, wie Greil Marcus das nannte - den Bereich, der über den Künstler hinausgeht. Wie bei einem Gedicht: niemals ausdeutbar, aber trotzdem klar. Wo Untergründe von Geschichte, das Himmelanstürmen der Gefühle oder ihre Höllenfahrt zugänglich werden. Jakobs Leiter. Dylan erstieg sie, indem er sich dem auf ihn projizierten Originalitätsgehuber verweigerte, und wurde frei. Größer.

Und das ist drauf: Allein zwei Versionen des wunderbaren "Went To See the Gypsy", verspieltes Jammen mit seinem Beatles-Freund George Harrison ("Working on a Guru"), Live-Material von der Isle of Wight, Versionen der "Self Portrait"-Traditionals und der bestrickende Kinderreim-Song "Tattle O' Day" mit pulsender Gitarre und Piano, in dem es selig heißt: "I buyed me a little dog/Color it was brown/I learned him how to whistle/Sing and dance and run/His legs they were 14 yards long/His ears they were quite broad/Around the world in a half a day/And on him I could ride/Sing Tattle O'Day." Spürbare Befreiung, auch im direkt folgenden "If Dogs run free".

Anders als das mit Scat-Gesang erotisch aufgeladene Album-Original ist der Song hier als entspannte Hymne arrangiert, wo Hunde ausgelassen auf der Wiese toben. Das eine schließt das andere nicht aus, aber manchmal braucht man vor allem einen treuen Freund. "Another Self Portrait" bietet einige.

Bob Dylan: Another Self Portrait (1969-1971). Columbia Records/Sony 2013

Udo Feist

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