Gebaute Glaubensbekenntnisse

Christentum und Islam sind keine austauschbaren Größen
Foto: privat
Die Umwandlung einer Kirche zur Moschee schwäche die integrativen Kräfte, sagt Ralf Lange-Sonntag, Referent der westfälischen Landeskirche für Fragen des christlich-islamischen Dialogs.

Seit 1990 sind nach Angaben der EKD mehr als 300 evangelische Kirchen entwidmet worden, von denen etwa zweihundert verkauft wurden. Auch wenn dies bei mehr als zwanzigtausend evangelischen Kirchen und Kapellen in Deutschland nicht gravierend ins Gewicht fällt und angesichts von etwa 360 neuen Gottesdienststätten im gleichen Zeitraum kaum als Zeichen für den Untergang des Protestantismus interpretiert werden kann, ist jede Entwidmung von Kirchen mit Verletzungen, Enttäuschungen und Widerständen verbunden. Kirchen sind nämlich - obgleich nicht heilig in einem quasi-materiellen Sinne - Räume der Heiligen, also der dort seit mehreren Generationen versammelten Gemeinden. Viele Menschen verbindet eine persönliche Geschichte mit "ihrer" Kirche, in der sie getauft, konfirmiert oder getraut wurden. Hinzu kommt oftmals die identitätsstiftende Bedeutung des Kirchengebäudes für die Gemeinschaft eines ganzen Ortes, unabhängig davon, ob sich die einzelnen Einwohner als christlich verstehen oder nicht.

Schließlich ist die Architektur von Kirchen nicht willkürlich, sie sind "gebaute Glaubensbekenntnisse", wie die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland 2008 in ihrem Weimarer Votum pointiert formulierte. Nicht nur durch ihre innere Gestaltung und Ausstattung, sondern auch durch ihren äußeren Bau verkünden Kirchen etwas vom Glauben ihrer Erbauer.

Unüberwindliche Hindernisse

Aus diesen Gründen sollte der Verkauf einer Kirche nur die ultima ratio sein, wenn andere Konzepte - wie die erweiterte Nutzung der Kirche, etwa als Konzertstätte - nicht realisierbar sind. Bleiben nur Entwidmung und Verkauf als Option, sollte darauf geachtet werden, dass eine angemessene Nutzung des Gebäudes gewährleistet ist, die weder die religiösen Gefühle der Menschen verletzt noch im Widerspruch zum christlichen Glauben steht.

Im Hinblick auf eine mögliche Nutzung eines Kirchengebäudes als muslimische Gebetsstätte führt dies jedoch zu unüberwindlichen Hindernissen. Christentum und Islam als universelle Religionen sind durch miteinander konkurrierende Wahrheitsansprüche gekennzeichnet, die nicht ausgeglichen werden können, ohne dass die Religionen ihr jeweils eigenes Profil verlieren. Im christlich-muslimischen Dialog kann zwar die Frage nach Gemeinsamkeiten und nach praktischen Koalitionen zur Erreichung von beide Religionen betreffenden Zielen angesprochen werden; Ziel solcher Gespräche kann aber nicht die Eliminierung sich wechselseitig ausschließender Glaubensbekenntnisse sein. Eine Moschee in einer entwidmeten Kirche, das gesprochene islamische Glaubensbekenntnis in dem christlichen "gebauten Glaubensbekenntnis", würde aber implizit genau dies nach außen vermitteln, dass nämlich christlicher und muslimischer Glaube ohne Bedenken kompatibel seien, ja vielmehr: dass Christentum und Islam austauschbare Größen seien. Dies können sich weder christliche noch muslimische Verantwortliche wünschen.

Bedenklich ist die Nutzung einer Kirche als Moschee auch hinsichtlich der gemeinsamen Geschichte von Christentum und Islam, wie sie bis heute nachwirkt. Die Konflikte, die aus den konkurrierenden Wahrheitsansprüchen resultierten, haben selten zu einem fairen und respektvollen Disput geführt. Vielmehr ist die Geschichte der christlich-muslimischen Begegnung von gegenseitigen Verurteilungen und Verunglimpfungen geprägt, die in vielen Fällen ihren Ausgang in gewalttätigen Auseinandersetzungen nahmen. In Kriegen, die zumindest zum Teil religiös konnotiert waren, gehörte im Verlauf der gesamten Religionsgeschichte die Zerstörung oder Umwidmung religiöser Gebäude als Symbol des Sieges zu den üblichen Handlungen: Die große Moschee von Córdoba zum Beispiel, die wohl auf den Fundamenten einer westgotischen Kathedrale erbaut war, die ihrerseits einen römischen Tempel verdrängte, wurde 1236 im Rahmen der Reconquista zur Kirche geweiht. Ebenso erging es 1453 der Hagia Sophia im heutigen Istanbul. Nach der Eroberung durch die Osmanen. wurde die byzantinische Hauptkirche noch am selben Tag zur Moschee.

Sieg und Niederlage

Man mag diese Form der Verdeutlichung des Sieges über die Vertreter anderer Religionen als rein historisches Faktum und damit für die Gegenwart als irrelevant abtun, doch gibt es Anzeichen dafür, dass zumindest ein Teil der heutigen Muslime das Verhältnis von Christentum und Islam unter dem Vorzeichen von Sieg und Niederlage wahrnimmt. So gibt es auch heute noch und wieder Bestrebungen, die seit Jahrzehnten als Museum genutzte Hagia Sophia von Trabzon (Trapezunt) in eine Moschee umzuwandeln, obwohl im Umkreis bereits mehrere Moscheen vorhanden sind. Ebenso stimmt es nachdenklich, dass weiterhin viele Moscheen in Deutschland nach dem Eroberer von Konstantinopel, Sultan Mehmet II., benannt sind: "Fatih"-Moschee lässt sich am trefflichsten mit "Eroberer"-Moschee übersetzen.

Selbst da also, wo Verantwortliche der muslimischen Gemeinde den christlichen Charakter eines Kirchengebäudes nicht antasten wollen, wird ein nicht unerheblicher Teil der Muslime (und wohl auch manche Christen) die Umwidmung einer Kirche als Sieg des Islam über das Christentum verstehen. Sie würde daher eher diejenigen Kräfte stärken, die dem Dialog zwischen den Religionen ablehnend gegenüber stehen, statt integrativ für ein friedliches Miteinander zu wirken.

Kirchen an Muslime - Pro

Ralf Lange-Sonntag

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