Als das Geld nach Kaya kam

Mikrokredite sind in Verruf geraten. Aber hier funktionieren sie. Warum?
Hier werden die Kredite ausgezahlt. Foto: Jörg Böthling
Hier werden die Kredite ausgezahlt. Foto: Jörg Böthling
Mit einem kleinen Geldbetrag ein eigenes Geschäft aufbauen und so der Armut entkommen - dieser Gedanke steckt hinter den Mikrokrediten. "Funktioniert nicht", sagen manche Experten, und die einst so gerühmte Idee ist in die Kritik geraten. Doch in einer kleinen Stadt in Burkina Faso sind die Menschen nach wie vor von ihr überzeugt. Vor allem Frauen profitieren von den Programmen.

Sie hätten auch einfach so weitermachen können wie immer. Vor etwas mehr als einem Jahr, als in Burkina Faso und in ganz Westafrika die vierte große Dürre der letzten zehn Jahren im Anmarsch war. Wieder blieb der Regen aus, und erneut vertrocknete die Ernte auf den Feldern. Kühe, Schafe und Ziegen verendeten. Und die Menschen am Rande der Wüste mussten hoffen, dass irgendjemand sie vor dem Hungertod erretten würde. Auch in der kleinen Stadt Kaya, etwa 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Ouagadougou. Dort jedoch entschieden sie: Das soll das letzte Mal sein, dass wir um Hilfe betteln.

"Wir wollten unser Schicksal endlich in die eigenen Hände nehmen" sagt Jean-Paul Ima. Abbé Jean-Paul ist Priester der Diözese Kaya. "Wir fragten uns: Was können wir selbst gegen den Hunger tun?" Seine Antwort: Indem sich die Menschen gegenseitig helfen, und sie sich auf das besinnen, was sie am besten können. Damit sie selber für ihren Lebensunterhalt sorgen können. "Die Menschen hier sind es gewohnt, hart zu arbeiten," sagt Jean-Paul Ima. Oft fehlt es ihnen nur am Geld, damit sie ein eigenes Geschäft starten oder damit sie ihre eigenen Felder bewirtschaften können. "Das ist wie bei einer Maschine: Sie braucht nur ein bisschen Treibstoff, und schon setzt sie sich in Bewegung.

Treibstoff für die lokale Wirtschaft

Um die Maschine anzustoßen, wandte sich Abbé Jean-Paul an Herman Kaboré. Denn er ist derjenige, der den Treibstoff liefern kann. Herman Kaboré arbeitet als Geschäftsführer in der Genossenschaftsbank "Codec", die die Diözese Kaya im Jahr 2006 gegründet hat. "Die meisten unserer Kunden stammen aus einfachen Verhältnissen", sagt Herman Kaboré. Von anderen Banken werden sie nicht akzeptiert, oder sie können es sich ganz einfach nicht leisten, dort ein Bankkonto zu eröffnen, weil dort die Kontogebühren zu hoch sind. Mit bis zu 3.000 westafrikanischen Francs (CFA), etwa 4,60 Euro, sind sie höher, als viele in einem ganzen Monat verdienen. "Wir verlangen nur 100 CFA Gebühren", sagt Kaboré

Foto: Jörg Böthling
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Die von der Diözese Kaya gegründete "Codec"-Bank.

Nun haben "Codec" und die Kirche ein Programm aufgelegt, das insgesamt 450 besonders bedürftigen Familien einen kleinen Geldbetrag in Form eines Kredites zur Verfügung gestellt hat. Nach einer Frist von sechs Monaten soll das Geld zurückgezahlt werden, plus einem Zins von sechs Prozent. Die Kreditsumme ist nicht sehr hoch: Umgerechnet maximal 61 Euro beträgt sie, ausbezahlt in zwei Raten.

Geschäft mit der Armut ?

Die Idee der Mikrokredite wurde vor allem durch Mohammed Yunus aus Bangladesch bekannt. Spätestens, als Yunus und seine "Grameen Bank" im Jahr 2006 den Friedensnobelpreis erhielten, erlebten Mikrokredite einen weltweiten Boom. Doch inzwischen ist das einstige Wundermittel gegen Armut in die Kritik geraten. Besonders aus dem indischen Bundesstaat Andhra Pradesh kommen immer wieder Nachrichten von Menschen, die mit Kleinkrediten in die Schuldenfalle getappt seien und sich am Ende aus Verzweiflung darüber das Leben genommen haben.

Der Kölner Journalist Gerhard Klas beschrieb Mikrokredite in einem Buch als "große Illusion" und bezeichnet sie als "Geschäft mit der Armut." Sein Vorwurf: Private Investoren haben sich im Sektor Mikrofinanz ausgebreitet. Im Streben nach immer höheren Renditen treiben sie die Schuldner nur noch in größere Armut. Aber in einem Interview betonte Kritiker Klas vor kurzem auch: "Ich habe nichts einzuwenden gegen genossenschaftliche Modelle, bei denen in einem Dorf Leute aus derselben sozialen Schicht Spargruppen gegründet und Einzelnen bei Bedarf Kredite gegeben haben."

Foto: Jörg Böthling
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Bierbrauen aus Sorghum-Hirse.

Also genau so, wie es in Kaya funktioniert, wo Kirche und Genossenschaftsbank zusammenarbeiten. Eine der Spargruppen liegt nur wenige Meter von der Kathedrale von Kaya entfernt. Eine kleine christliche Gemeinde, in der die Menschen sich seit Jahren kennen. Sie sind Nachbarn, Verwandte, Freunde. Clarisse Ouedraogo ist eine von ihnen. Auch sie hat einen kleinen Kredit aufgenommen. Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen - denn die meisten Kreditnehmer sind Frauen - stellen sie ein bekanntes einheimisches Getränk her: das Hirsebier "Dolo".

Die einen kümmern sich um die Zutaten wie Sorghum-Hirse und Wasser, die anderen brauen das Dolo, und die nächsten schenken das fertige Produkt aus. Eine Schale für 50 CFA. "Wir wechseln uns ab", sagt Clarisse Ouedraogo. Seitdem sie neues Kapital zur Verfügung hat, geht es aufwärts. "Sonst waren wir schon immer mittags ausverkauft", sagt sie. "Aber jetzt können wir mehr produzieren, und es reicht bis zum Abend."

In den kommenden Tagen wartet viel Arbeit auf sie. Am Samstag spielt die Fußballnationalmannschaft von Burkina Faso, das Spiel wird im Fernsehen und im Radio übertragen. Da werden sich viele Männer aus der Nachbarschaft treffen, um gemeinsam das Spiel zu verfolgen. Und um das eine oder andere Bier zu trinken, so wie sie es überall auf der Welt tun. "Werbung müssen wir nicht machen," sagt Clarisse. "Das spricht sich auch so herum."

"Klein-klein" hat Tradition

Die Frauen beherrschen ihr Handwerk seit Jahren. Und auch das Geldgeschäft ist für sie nichts Neues. Denn gerade in Westafrika hat Mikrofinanzierung eine lange Tradition - auch wenn die Menschen sie unter anderen Namen kennen. In Nigeria und Ghana spricht man von "Esusu" beziehungsweise "Susu", was übersetzt ganz einfach "Klein-klein" bedeutet. In Kamerun und Burkina Faso sagt man "Tontine". Dahinter steckt überall ein ähnliches System. Kleine Gruppen - Nachbarn, Verwandte, Gemeinden - schließen sich zusammen und vereinbaren einen bestimmten Geldbetrag.

Foto: Jörg Böthling
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Alle zahlen regelmäßig eine bestimmte Summe ein. Am Ende eines Monats bekommt jedes Mal ein anderes Mitglied der Runde den gesamten Betrag ausbezahlt und kann damit eine Investition tätigen. "Tontinen" sind also oft eher Spargruppen als Kreditgruppen, aber ihr Ziel ist dasselbe: Die "kleinen" Leute tun sich zusammen und sorgen dafür, mit geringen Geldsummen ein bestimmtes Ziel oder eine Geschäftsidee zu verwirklichen.

"Wir wollen die Tradition der Tontinen auf keinen Fall bekämpfen", erklärte vor kurzem auch das burkinische Finanzministerium. Im Gegenteil: Es handele sich dabei um eine gute Sache, vor allem für die Menschen auf dem Land. Nur die nötige Kontrolle müsse sichergestellt sein, damit die Sparer nicht auf Betrüger hereinfallen, die am Ende das gesparte Geld unterschlagen und für sich behalten. Nach Wunsch der Regierung sollen sich "Tontinen" offiziell registrieren und überprüfen lassen. Auch insgesamt möchte der Staat in Burkina Faso in den kommenden Jahren verstärkt Mikrofinanzprojekte fördern.

Vorzeitig getilgt

Eine Kontrolle der Spar- und Kreditprogramme ist wichtig, das betont auch Herman Kaboré von der "Codec"-Bank. Seine Mitarbeiter und er müssen genau kontrollieren, ob die Kreditnehmer ihr geliehenes Geld auch rechtzeitig wieder zurückzahlen. "Meist kümmern sich aber die Mitglieder einer Gruppe schon gegenseitig und schauen darauf, dass jeder den Termin einhält." Abbé Jean-Paul Ima fügt hinzu: "Oft zahlen sie den Kredit sogar schon früher zurück, damit sie schneller wieder einen neuen aufnehmen können."

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Von den Krediten wurden neue Kessel gekauft.

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Weil die Bauern mehr Saatgut kaufen können, lässt sich ein Teil der Ernte auf dem Markt verkaufen.

Geschäftsideen gibt es genug in Kaya. Gärtner bringen ihre kleine Landwirtschaft wieder in Gang, nachdem sie sich mit einem Kredit neues Saatgut gekauft haben und damit Salat, Tomaten und Kartoffeln anbauen. Mit dem größten Teil der Ernte versorgen sie sich und ihre Familien. Den Überschuss verkaufen sie auf dem Markt oder am Straßenrand.

"Maggi" vom Baum

Im kühlen Schatten eines Baumes hat sich eine Gruppe Frauen versammelt. Sie sitzen um einen Webstuhl, an dem sie feine Stoffe herstellen. Ihr größtes Erfolgsprodukt liegt gleich daneben, auf einem silbernen Teller. "Das ist Soumbala", erklären die Frauen. Eine einheimische Spezialität, für die die Region Kaya im ganzen Land bekannt ist. Die körnigen Samen des Neré-Baumes werden geröstet und mit der Hand zu großen braunen Kugeln geformt. "Das verwendet man zum Kochen. Ihr Europäer würdet Maggi dazu sagen," sagt Fatimata Sawadogo, eine der Frauen. "Wir können ein Tablett davon für 1.500 CFA verkaufen". Das sind umgerechnet zwei Euro. "Oder, wenn es gerade wenig davon auf dem Markt gibt, können wir sogar 2.500 CFA verlangen."

Sie arbeiten zum Beispiel mit Marktfrauen in der Hauptstadt zusammen. Wenn die Marktleute neue Ware benötigen, rufen sie in Kaya an und bestellen. Dann packen Frauen wie Fatimata ein paar Teller Soumbala zusammen, steigen in den nächsten Bus und liefern ihr Produkt persönlich bis nach Ouagadougou. "Wenn's noch schneller gehen muss, nehmen wir ein Taxi", sagt Fatimata Sawadogo. Sie fügt hinzu: "Wir müssen sogar schon Bestellungen absagen, weil wir nicht hinterherkommen. Wenn wir noch mehr Kapital hätten, dann könnten wir vielleicht noch mehr produzieren."

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Investieren in ihre Landwirtschaft: Eine Bäuerin mit ihrem Kind auf den Feldern von Kaya.

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Vor etwas mehr als fünf Monaten haben sie ihren Kredit aufgenommen. Bald ist ein halbes Jahr um, und der Termin der Rückzahlung steht an. Die Frauen sind zuversichtlich. "Bisher ist alles gut gelaufen. Wir können uns selbst ernähren," sagt eine. "Und unsere Kinder auch", fügt ihre Nachbarin hinzu. Die nächste betont: "Am Ende hilft das sogar unseren Männern. Weil wir auch sie besser ernähren können."

Einer der am häufigsten vorgebrachten Kritikpunkte lautet, dass Mikrokredite kaum jemandem einen wirklichen Aufstieg ermöglichen. "Wir haben es wirklich mit der kleinsten, mit der minimalen Form von Überlebenstätigkeiten zu tun", sagt etwa der Volkswirtschaftler Philip Mader, der eine sehr kritische Doktorarbeit zum Thema geschrieben hat.

Neue Kessel

Aber das würde auch in Kaya niemand abstreiten. Von großen Reichtümern redet hier niemand. Nur von ganz kleinen Schritten. "Natürlich haben wir Erfolg," sagt Clarisse Ouedraogo, eine der Köchinnen des Dolo-Bieres. Sie rührt noch einmal kräftig in der kochenden Flüssigkeit, aus dem bald frisches Hirsebier werden wird. Das Feuer flackert, und aus dem Kessel dampft und blubbert es. "Diese neuen Kessel aus Gusseisen sind wirklich gut. Sie halten viele Jahre", sagt die Frau und wischt sich ein paar Schweißperlen von der Stirn.

Kein Vergleich zu den alten Tonkrügen, die nach kurzer Zeit von der Hitze Risse bekamen und zerbrachen. Sie deutet auf ein paar Scherben in der Ecke. "Da drüben liegen die alten Töpfe." Wie gut, dass Frau Ouedraogo sich neue Kessel aus Gusseisen kaufen konnte. Wie gut, dass sie genug Geld dafür angespart hatte.

Text: Christian Selbherr / Fotos: Jörg Böthling

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