Fertig, abtreten

Leben im Krieg
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Es ist ein Genuss, der Formulierungskunst Kracauers und seinen treffenden Metaphern zu folgen.

Sicher, auch für den Ersten Weltkrieg gilt, dass zeitgenössische Romane Facetten historischer Erinnerung konstruieren oder gar transportieren, wie zum Beispiel Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues". Und doch zeichnet es Weltliteratur aus, historische Distanz zu überwinden und den Lesenden eine fremde Welt und Zeit nahe zu bringen. Wie der Roman "Ginster", den Siegfried Kracauer (1889-1966) 1928 schrieb. "Ausgemustert im Frieden", so rechtfertigt der junge Erzähler Ginster seine Existenz in Frankfurt in den Jahren des Ersten Weltkrieges. Der österreichische Schauspieler Michael Rotschopf verleiht dem jungen Architekten in den 300 Minuten des Hörbuchs seine Stimme. Er drängt sich dabei nicht in den Vordergrund, sondern zieht mit seiner angenehmen und zurückhaltenden Art den Hörenden in Ginsters Bann, in dessen Gedanken um das eigenen Wesen, das allgemeine "Völkerwesen", das Männer- und Soldatenleben. So ist es ein Genuss, der Formulierungskunst Kracauers und seinen treffenden Metaphern zu folgen.

Wie sich die Menschen auf den Krieg einstellen, zeigt Kracauer anhand der Familie seines Protagonisten Ginster. Da ist die Mutter, der die Löcher in den Strümpfen so groß erscheinen wie der Krieg. Oder der Onkel, bei dem die Familie seit dem Tod des Vaters lebt. Er wirft Ginster vor, ihm fehlten die richtigen Gefühle. Fast lakonisch kommentiert er die unterschiedlichen Formen der Kriegsbegeisterung, denn seine Skepsis überwiegt. Das Medium Hörbuch kommt diesem Roman sehr entgegen. Denn die Konzentration auf eine Person, die gelungenen Wortspiele und die Fabulierkunst lassen das Vorlesen zu einem Hörgenuss werden.

Siegried Kracauer: Ginster. Osterwold Audio bei Hörbuch Hamburg, 2013. 4 CDs.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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