Feuer fangen

Chuck Ragan: Till Midnight
Bild
Männer mit bärtigem Flanellhemdlook und Spaß am Chorgesang, Kartoffel-Lord samt Kavallerie.

Die kulinarischen Großpotenziale von Kartoffeln erreicht die Assoziationskette zu Chuck Ragan mit grad mal einer Zwischenstation. Denn sein Reibeisenorgan weckt Erinnerungen daran, dass Kartoffelpuffer aus selbst geriebenem Teig nun mal unschlagbar die besten sind, eben Reibekuchen. Von da ist es quer durch die Rezeptbücher nicht weit bis zur derzeit poetischsten Grölstimme zwischen US-Irish Fiddle Folk, Countryballaden, Punkverve, Pedal Steel, Desert-Americana und straightem Indierock.

Der 40-Jährige kam in Houston zur Welt und ist Sohn eines Golfprofis aus Florida und einer Gospelsängerin. Er war lange Sänger der Post-Hardcore-Band "Hot Water Music" und wandelt seit 2006 zur akustischen Gitarre Bluegrass-beeinflusste Solopfade. Jon Gaunt (Geige), Joe Ginsberg (Bass), Todd Beene (Pedal Steel) und David Hidalgo jr. (Drums) sind kompakt und begeistern seine Band. Männer mit bärtigem Flanellhemdlook und Spaß am Chorgesang, mit denen er "Till Midnight" einspielte. Kartoffel-Lord samt Kavallerie. Marschrhythmen gibt es schließlich auf "Till Midnight" auch, die leichthändigen amerikanischen, doch vor allem geschossene Zügel und freies Preschen ohne Angriffigkeit.

Während der Vorgänger "Covering Ground" von 2011 noch sehr viel keltischer klang, dominieren hier neue Legierungen bis hin zum Anklang an basslastigen Stoner-Rock. Zentrales Stichwort ist stets Rock, aber eben mit druckvoll gewupptem Country-Instrumentarium. Leidenschaft setzt gleich im Opener "Something May Catch Fire" Akzente. Geschichtenanfänge gepaart mit Wissen um Flüchtigkeit und davon, dass die Sehnsucht aller Lust deren Ewigkeit ist. Wer da nicht Feuer fängt, hat schon alles hinter sich. Das darauf folgende "Vagabond" vertieft, was oft keine Dauer hat: "Waking up on the wrong side of fantasy ... waking up on the wrong side of you and me".

Ragans Stimme reibt unerlöst, die Fiddle geigt am Rand unendlich verlorener Landschaftsweite, und die Weisheit, die sich darauf überhaupt noch Reime macht, steckt im Aufklang der Pedal Steel - während die Rhythmussektion galoppiert. Der geschmeidig rollende Country-Stomp von "Revved" ("Auf Touren gebracht") mit viel Swing und Hüftschwung zeigt, dass es ohne Tränen gehen kann. Westwärts weist auch diese Songspur, eine zum sich erleichtert darin Verlieren. "Gave My Heart Out" ist geradliniger Rock mit Wüstentouch, ein Shouter mit kräftigem Chorgesang im Refrain, dem erneut die Pedal Steel die Richtung weist. "For All We Care" als zehnter Song zum Schluss verharrt fast drei Minuten im Gestus der Ballade, kippt dann aber bombastisch ins Grande finale. Ragan kann auch Stadionrock, empfehlenswert ist jedoch nach wie vor ein Clubkonzert. 2015 gibt es bei einer avisierten Europatour dazu Gelegenheit. Und "Till Midnight" ist eins der Musikhighlights 2014.

Chuck Ragan: Till Midnight. SideOneDummy Records/Cargo 2014.

Udo Feist

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Rezensionen