Spaßgemeinschaft

Kurzweiliges über Posaunenchöre
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Posaunenchöre stehen nicht auf der Roten Liste, im Gegenteil, sie wachsen, sie sind besser denn je.

"Was ist ein Posaunenchor?" ist das erste Kapitel überschrieben, und dafür ist der Rezensent - posaunenchörlicher Laie - dankbar. Zwar hört er die Blechmusik im Gottesdienst gern, zwar ist auch ihm schon aufgefallen, dass die Posaune dabei eher selten zu vernehmen ist. Doch warum dies so ist, hat er, wie so manches andere, erst aus diesem Buch erfahren: weil man ihre akustische Dominanz ebenso wie die der Trompete fürchtete. Doch steht der Name Posaunenchor für ein Programm - schließlich hat Luther sämtliche in den beiden Testamenten vorkommenden Blasinstrumente kurzerhand zu Posaunen erklärt, auch die im 150. Psalm, in dem zum Gotteslob per Posaune aufgerufen wird, weshalb er gern als biblische Auftragsurkunde aller frommen Blechbläserei angesehen wird.

Die "Erweckungsbewegung" im 19. Jahrhundert, in der der Reiz ernstlich frommen Lebens wiederentdeckt wurde, brachte - nach herrnhutischem Vorlauf - die Posaunenchorbewegung so richtig in Schwung. Die Initialzündung ging von dem Diakonie-Grafen von der Recke aus. Er lud 1843 einige Jungmänner aus dem Jünglingsverein Jöllenbeck (heute zu Bielefeld) für einen Sommer zur Arbeit in die Düsselthaler Anstalten (heute zu Düsseldorf), und dies gegen Musikunterricht und anschließende Überlassung der Blechinstrumente. Als Posaunenchor kehrten die Jünglinge zurück in ihre Heimat. Von dort (und von der Hermannsburger Mission aus, 1849) verbreitete sich die Posaunenbewegung in ganz Deutschland.

Die Geschichte ihres Erfolgs erzählt der Autor bis zu den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts entlang der Rolle einiger einflussreicher "Posaunenväter". Johannes Kuhlo etwa, 1856 bis 1941, war das, was man respektvoll ein Urviech nennt, einer, der sein ganzes Leben der Posaunenarbeit widmete und sie als lange unangefochtener Leithirsch unermüdlich vorantrieb. Nebenbei amüsierte er die feine Gesellschaft, weil er das Tragen von Strümpfen ablehnte, und imponierte, indem er zum Beispiel den Rhein durchschwamm und dabei das Flügelhorn blies. Dabei hatte er hinsichtlich des Wie und Was kirchlichen Blasens seine festen Vorstellungen, fortschrittliche für seine Zeit, aber eben auch limitierte, weshalb für Kommende genug zu tun blieb.

Kuhlo war "kerndeutsch" und kaisertreu, und weil beides, gepaart mit frommer Kauzigkeit, nicht unbedingt politische Einsichtsfähigkeit fördert, könnte man ihm verzeihen, dass er seine vaterländischen Gefühle schließlich auf Hitler und den nationalsozialistischen Staat übertrug. Aber leider, auch seine Nachfolger als posaunliche Leitfiguren, Adolf Müller (1876-1957) und Wilhelm Ehmann (1904-1989), waren bis '45 eindeutige Nazis, ohne dies später als erklärungsbedürftig anzusehen. Ehmann erwarb sich nach dem Krieg als Landesposaunenwart Westfalen und Gründer der Hochschule für Kirchenmusik Herford so überragende Verdienste in Sachen Kirchenmusik, dass man je länger je weniger nach seiner Vergangenheit fragte. Den braunen Misstönen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, gewissermaßen als ein kleiner Giftschrank im kundig und unterhaltsam geschriebenen Buch.

Im letzten Kapitel erfahren die Leser, dass sich musikalische Amateure und kirchenmusikalische Profis nicht mehr reserviert gegenüber stehen (das taten sie einst), dass der Altersdurchschnitt der Aktiven erstaunlich niedrig ist, dass die immer zahlreicheren weiblichen Mitglieder in den Posaunenchören gern gesehen sind und überhaupt etwas über den spezifischen Korpsgeist der Posaunenchöre: die seien nicht nur Verkündigungs-Dienstgemeinschaft, sondern wesentlich auch Spaßgemeinschaft.

Das "Postludium" bilanziert nur Positives. Posaunenchöre stehen nicht auf der Roten Liste, im Gegenteil, sie wachsen, sie sind besser denn je. Reinhard Lassek, freier Wissenschaftsjournalist und langjähriger Leiter eines Posaunenchors, schildert das alles mit humorig-leichter Erzählgabe, dabei seine Quellen und wissenschaftlichen Gewährsleute sorgfältig anführend. Das Buch sei allen empfohlen, die das Tuten und Blasen in der Kirche von Zeit zu Zeit gern hören.

Reinhard Lassek: Wir vom Posaunenchor. Geschichte und Geschichten. Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2014, 160 Seiten, Euro 14,99.

Helmut Kremers

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