Der Weltethiker

Küngs dritter Memoirenband
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Noch nie hat Küng von sich persönlich so viel preisgegeben. Verständnisvoll gegenüber sich selbst, aber auch schonungslos offen berichtet der jetzt 85-Jährige, vom Alterungsprozess, der auch bei ihm unerbittlich eingesetzt hat.

Jedem Memoirenband gab Hans Küng einen markanten Titel. "Erkämpfte Freiheit" (1928-1968) kennzeichnet den Freiheitskampf des nach vorne blickenden Katholiken, der im Zweiten Vatikanischen Konzil kulminiert. "Umstrittene Wahrheit" (1968-1980) beschreibt den mühseligen Streit um eine konsequente Kirchenreform, die der Vatikan 1980 vergeblich mit einem Lehrverbot zu ersticken hoffte. Jetzt überrascht Küng mit dem versöhnlichen Titel "Erlebte Menschlichkeit". Hätte man im Titel für die Jahre 1980 bis 2013 keinen Hinweis auf Weltreligionen, Weltethos oder globale Aktivitäten erwarten dürfen? Was hat Küng erlebt und welche Menschlichkeit hat er erfahren?

Wer die früheren, von historischen und personalen Details übersprühenden Bände kennt, kann sich die Probleme bei der Bändigung des Stoffs vorstellen, zumal diese Biographie seit 1980 die Dimensionen eines katholischen Theologenlebens bei weitem sprengt; denn jetzt wurde, wie Willem A. Visser 't Hooft von sich schrieb, die Welt zu seiner Gemeinde. Küng hat Berichte und Überlegungen auf siebenhundert Seiten beschränkt. Der erzählende Charakter, mit der Beschreibung von Personen, Gesprächen und Ereignissen gespickt, wird durchgehalten und bleibt - streng in der Dialektik von Person und Sache - konsequent auf innerkatholische, weltreligiöse und weltpolitische Entwicklungen bezogen: Welche Reformaufbrüche setzten sich durch und wo weht der Geist der Inquisition weiter? Welche theologischen Forschungsprojekte können sich entwickeln und wer hat sich daran beteiligt? Wie gestaltete sich Küngs "amerikanisches Jahrzehnt" (1981-1990) und wie präsentierten sich ihm die Weltkirche und Weltkulturen auf seinen insgesamt fünf Weltreisen und zahllosen internationalen Auftritten? Dieses Buch ist nicht nur für Theologen, sondern auch für Historiker und Kulturkenner von hohem Interesse.

Doch auf weite Strecken hin ordnet Küng diese chronologische Erzähltechnik in eine thematische Gliederung ein. So gelingen ihm in den Kapiteln V bis X höchst anschauliche, zugleich hochdifferenzierte Einführungen von durchschnittlich fünfzig Seiten über die Welt des Islam, des Judentums, der Ozeanier, Afrikaner und Indios, der überreichen Religionen Indiens einschließlich des Buddhismus in anderen fernöstlichen Ländern sowie der Religionen Chinas. Diese Darstellungen kulminieren in einem Bericht über Entstehung und Entwicklung des "Projekts Weltethos" (in sich schon ein Lehrstück für eine weltgesättigte Theologie), in einer Analyse des "Dauerproblems Kirchenreform" unter dem deutschen Papst, gegen dessen Regime Küng immer wieder die Stimme erhob.

Noch nie aber hat Küng von sich persönlich so viel preisgegeben wie im XII. Kapitel "Am Abend des Lebens". Verständnisvoll gegenüber sich selbst, aber auch schonungslos offen berichtet der jetzt 85-Jährige, immer hart und unermüdlich arbeitende, einst kerngesunde, energiegeladene, sportliche Schwimmer und Skifahrer vom Alterungsprozess, der auch bei ihm unerbittlich eingesetzt hat. Versöhnt blickt er auf sein Leben zurück. Er gedenkt der Vielen, die ihn begleitet haben, lobt Hände und Sinne, die jetzt den Tribut des Alterns einfordern. Ein tröstlicher Ernst ohne Resignation durchzieht dieses letzte Kapitel, weil Küng sich von der Hoffnung auf ein ewiges Leben getragen weiß. Diese Gewissheit lässt ihn auch das Recht auf einen notfalls selbstbestimmten Tod einfordern; kurz, aber differenziert greift er die umstrittenen Thesen noch einmal auf, die er 1994 zusammen mit Walter Jens zum ersten Mal entwickelte.

Doch auf dieses letzte, ein ganzes Leben abrundende Kapitel folgt ein Epilog mit zukunftsweisender Dynamik. Dies zeigt, dass Hans Küng nach menschlichem Ermessen auch weiterhin aktiv sein kann. Zwar nennt er sich lebenssatt, nicht aber lebensmüde. Wie die letzten Interviews zeigen, steigt er notfalls wieder in den Ring, auch wenn sich sein großes Lebensprogramm endgültig gerundet hat.

Hans Küng: Erlebte Menschlichkeit. Piper Verlag, München 2013, 752 Seiten, Euro 26,99.

Hermann Häring

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