Stimmig

Über das Böse
Bild
Wer eine theologisch-existentielle Erklärung für Leid, Schmerz und Tod erwartet, wird in Hartmanns Buch mit einer Transzendenzerfahrung konfrontiert. Seinem irdischen Schicksal entrinnt der Mensch nicht, wohl aber seine Seele.

Es ist kurz vor Mitternacht. Ein Kino in den USA. Gespannt wartet das Publikum, darunter auch viele Kinder, auf die Premiere des neuen Batman-Films. Dann geht es los. Ein junger Mann zündet Tränengas und fängt mit einer Waffe an zu schießen. Binnen Minuten sind zwölf Menschen ermordet und dutzende schwer verletzt. Das Böse ist Wirklichkeit geworden. Ist dies die Welt, die Gott geschaffen hat?, fragt der Autor den Leser. Der Wiesbadener Pfarrer erklärt die alte Frage der Theodizee für nicht gelöst. Dass Gott unbegrenzte Allmacht besitzt, hält er für unmöglich, ja, das vielfältig belegte Böse in der Welt, Leiden, Gräuel und Grausamkeit beweisen ihm nur den Bankrott eines allmächtigen Gottes.

Zuerst einmal wendet sich der Autor dem aufgeklärten Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz zu. Von der absoluten Vollkommenheit Gottes überzeugt erklärte der, nur der Allmächtige könne eine bestmögliche Welt erschaffen haben. In einer Gesamtbilanz jedenfalls. Amüsant liest sich in der Folge ein Zitat des amerikanischen Schriftstellers James Branch Cabell: "Der Optimist behauptet, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben; und der Pessimist fürchtet, dass dies wahr ist."

Lässt sich das Böse gegenüber der schöpferischen Handlungsvollmacht überhaupt erklären? Selbst in der Bibel findet Hartmann die Allmacht des Allmächtigen wenig belegt, und er trifft sich dabei mit dem Theologieprofessor Wilfried Härle. Gott wird in der Theologie nach Auschwitz, so Dorothee Sölle und Jürgen Moltmann, zum Mitleidenden, einem, der selbst Betroffener ist. Doch Hartmann entscheidet sich nicht für den ohnmächtigen Gott, sondern für einen, der "uns eines Tages in einer anderen Dimension, dem Himmelreich, zu retten im Stande ist." Gott ist übermächtig. Ein Zeichen seiner Macht ist die Liebe, im Diesseits wie im neuen Sein einer jenseitigen Welt. Für den Theologen, der sich schreibend schon mit sehr weltlichen Problemen wie Gewaltexzessen durch Computerspiele oder dem Sinn im Leiden auseinandergesetzt hat, heißt die Lösung: Gott ist der Schöpfer unserer Zukunft, die aus seinem Reich auf uns zukommt. Wer nun aber eine theologisch-existentielle Erklärung für Leid, Schmerz und Tod erwartet, wird in Hartmanns Buch mit einer Transzendenzerfahrung konfrontiert. Seinem irdischen Schicksal entrinnt der Mensch nicht, wohl aber seine Seele. Sie spannt, so der schreibende Gemeindepfarrer etwas romantisierend mit einer Anleihe bei Joseph Eichendorff "weit ihre Flügel aus, ... Als flöge sie nach Haus".

Auf der Schwelle von Leben und Tod setzt Hartmann sich mit Nahtoderfahrungen auseinander und damit, wie ein Endgericht, eine reinigende Gottesbegegnung aussehen könnte. Gott ist die Liebe, Licht und keine Finsternis. Das ist Hartmanns Credo - ohne Wenn und Aber. Denn er ist sich sicher: "Gott hat einen guten Plan für uns. Er will und wird uns erlösen." Leibniz, könnte man meinen, hätte ein solches Hoffnungsbild durchaus gefallen. Ein stimmiges Buch.

Thomas Hartmann: Gott im Himmel, das Böse auf Erden? Warum es Krankheit, Leid und Katastrophen gibt. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2013, 175 Seiten. Euro 16,95.

Roger Töpelmann

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: privat

Roger Töpelmann

Dr. Roger Töpelmann ist Pfarrer i.R. Er war bis 2020 u.a. Pressesprecher des Evangelischen Militärbischofs in Berlin.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"