Ihr tut mir in der Seele weh

Psychisch erkrankte Menschen fühlen sich durch mediale Berichterstattung stigmatisiert
Irren ist menschlich. In jeder Beziehung. Foto: CFalk / pixelio.de
Irren ist menschlich. In jeder Beziehung. Foto: CFalk / pixelio.de
Neben ihrer Krankheit leiden psychisch erkrankte Menschen auch unter einer gesellschaftlichen Stigmatisierung. Vorgefasste Meinungen kaschieren die weitgehende Unkenntnis in der Bevölkerung. Die mediale Berichterstattung ist da keine Ausnahme, sondern reiht sich ein und bedient gängige Klischees. Das muss sich ändern, finden immer mehr Betroffene.

Als eine "ausgebuffte Schizophrenie" empfand die FAZ die Rechtfertigungstaktik der öffentlich-rechtlichen Sender. Das Leben vieler DDR-Bürger verortete ein DDR-Forscher kürzlich ebenfalls in einer Schizophrenie. Und Angela Merkel wurde in ihren politischen Handlungsweisen schon des Öfteren als schizophren "entlarvt". Weder kann aber eine politische Taktik schizophren sein, noch eine bestimmte Art zu leben. An Schizophrenie erkranken Menschen, zirka ein Prozent der Weltbevölkerung, in Deutschland sind es rund 200.000. Sie haben mit verschiedenen Symptomen zu kämpfen, bis hin zu "Realitätsverlust, Wahnvorstellungen, Störungen des Denkens, der Sprache und der Gefühlswelt", so die "Neurologen und Psychiater im Netz".

Bei den genannten Wortspielereien geht es natürlich nicht um die Krankheit. Stattdessen wird der Begriff "Schizophren" allzu häufig, selbstverständlich und unbedacht dazu verwendet, um etwas oder jemanden als widersprüchlich zu diskreditieren. Dass die inflationäre und missbräuchliche Nutzung des Wortes Menschen stigmatisiert, ist den Wenigsten bewusst. "Jeder darf Schizophrenie als Schimpfwort benutzen", klagt Janine Berg-Peer, deren Tochter mit sechzehn Jahren daran erkrankte. Stigmatisiert fühlen sich auch Menschen, die unter anderen psychischen Störungen leiden, Depressionen etwa, manisch-depressiven Erkrankungen oder Psychosen. Rund jeder dritte Deutsche erkrankt einmal im Leben an einer seelischen Störung, rund jeder zehnte Fehltag im Beruf geht auf seelische Beschwerden zurück, Tendenz steigend.

So verbreitet psychische Erkrankungen sind, so verbreitet ist auch die Unkenntnis über Ursachen, Symptome und Behandlung. Gefüllt werden die Lücken offenbar noch immer mit Vorurteilen, wie eine Langzeitstudie zur öffentlichen Wahrnehmung psychisch kranker Menschen in Deutschland kürzlich offenbart hat. Matthias Angermeyer und Georg Schomerus befragten 1990 und 2011 jeweils dreitausend Teilnehmer zu ihrem Wissen und ihrer Einstellung gegenüber psychischen Erkrankungen. 2011 reagierten deutlich mehr Teilnehmer mit Angst und sozialer Distanzierung auf Schizophrenie: Knapp jeder dritte Befragte lehnte es ab, einen an Schizophrenie erkrankten Menschen als Nachbarn oder Arbeitskollegen zu haben. 1990 war es nur jeder fünfte gewesen.

Es wird gnadenlos pauschalisiert: Gängige Klischees sehen Depressive als faul und Schizophrene als aggressiv, unberechenbar und gewalttätig an. Angst davor zu haben, sich als seelisch krank zu "outen", ist also verständlich. Janine Berg-Peer kann das bestätigen: "Geht's denn deiner Tochter wieder besser? Was hat sie noch gleich?", hatte eine Bekannte sie auf einer Party gefragt. "Schizophrenie", entgegnete die und erntete sogleich peinliche Sprachlosigkeit und allgemeines Unbehagen. Das Thema war erledigt. Psychische Krankheiten sind ein Tabu.

Kann Politik schizophren sein? Foto: Katharina Lübke
Kann Politik schizophren sein? Foto: Katharina Lübke

Viele Erkrankte werden ausgegrenzt: Nachbarn und Freunde wenden sich ab, der Lebenspartner kommt immer seltener nach Hause, bleibt letztlich ganz weg, die Kinder darf man nicht mehr sehen. "Das ist entmutigend und entmündigend", sagt die Finnin Tuula Rouhiainen, die im Laufe ihres Lebens an sieben Psychosen erkrankte und mittlerweile seit zwanzig Jahren ohne Medikamente lebt. Auch von Arbeitslosigkeit und einem erhöhten Armutsrisiko sind an Schizophrenie Erkrankte in besonderem Maße betroffen. Ausgrenzung und Stigmatisierung belastet Betroffene wie eine zweite Krankheit und verschlimmert den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität erheblich, sagt das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit. Der Leidensdruck der Betroffenen ist enorm. Als psychisch Erkrankter ringt man um Autonomie, weiß Berg-Peer. Deshalb hüten viele Betroffene ihre Erkrankung wie ein Geheimnis.

Die Autoren der Langzeitstudie plädieren dafür, mit Informations- und Aufklärungsprogrammen Vorurteile abzubauen. Janine Berg-Peer etwa hält Vorträge, moderiert Workshops zum Thema und berät Angehörige.

Stigmatisierung in Medien

Aber bekanntlich ist es schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zerstören als ein Atom. Albert Einstein hat das gesagt. Das gilt umso mehr, wenn Medien dem vorherrschenden Tenor beistimmen und Vorurteile bedienen. Die Medien seien eine der stärksten Kräfte, Diskriminierung gegen psychisch Kranke aufrecht zu erhalten, sagt Wolfgang Meyer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Sie nehmen Einfluss.

Bisher taten sie das vor allem negativ. Nur 15,6 Prozent der Berichterstattungen über psychische Erkrankungen seien positiv, 45 Prozent negativ, das heißt, Erkrankungen werden mit negativen Attributen besetzt. Beiträgen über die Psychiatrie werden Bilder von Mauern, Stacheldraht und Fesseln beigestellt, gewaltsame Straftaten werden häufig mit Schizophrenie oder Psychosen in Verbindung gebracht. Rund zwei Drittel der Schizophrenen und Depressiven fühlten sich dadurch stigmatisiert, sagt der Psychologe.

Wenn Straftäter, die als nicht zurechnungsfähig eingestuft werden, in den psychiatrischen Maßregelvollzug eingewiesen werden, spricht die Berichterstattung im Regelfall von der Psychiatrie - also der psychiatrischen Klinik. Sie differenziert nicht zwischen dem regionalisierten psychiatrischen Versorgungssystem und der Sonderform des Maßregelvollzugs. Eine solch falsche Darstellung befördert negative Einstellungen zu der Einrichtung. Diese können sich letztlich in Bürgerinitiativen ausdrücken, die etwa den Bau neuer Psychiatrien in der Nachbarschaft zu verhindern suchen. Auf die Idee, den Bau eines Krankenhauses zu verhindern, käme vermutlich niemand. Dabei sei doch jemand, der ein "kaputtes Hirn" habe, nicht anders zu betrachten als jemand, der sich den Arm gebrochen habe, sagte kürzlich der kalifornische Pastor und Bestsellerautor Rick Warren in einer Predigt.

Eine differenzierte und sachliche Berichterstattung könnte aufklären und zu mehr Verständnis, Offenheit und Akzeptanz gegenüber Betroffenen beitragen. Allein die Auswahl der Themen beeinflusse, wie mit seelischen Erkrankungen umgegangen wird, sagt Berg-Peer. Etwa sollten Beiträge mehr über die schlechte Nachsorge für ehemalige Psychiatriepatienten und die langen Wartezeiten für eine Psychotherapie aufklären, stattdessen aber weniger pauschal vor dem Gebrauch von Medikamenten warnen. Nicht nur solle vom Leiden erzählt werden, sondern auch vom Gesunden und von den Schwierigkeiten, zurück in die Arbeit zu gehen. Auch könnten Medien Geschichten erzählen. Medienvertreter sollten sich besser informieren, sensibler mit Betroffenen umgehen, offener zuhören, genauer arbeiten und nachfragen, sagt auch Ruth Fricke, Stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnisses. Es müsse klar sein, dass man die Begriffe richtig verwendet. Auch die Sprache müsse verändert werden. Die Einteilung in Normal und Unnormal etwa werde immer wieder kritisiert.

Schulungen für Journalisten

Organisationen wie das Aktionsbündnis setzen sich seit längerem verstärkt für einen fairen Umgang der Berichterstatter mit seelischen Erkrankungen ein. In Schulungen will das Aktionsbündnis Medienvertreter für die Belange Betroffener und für eine differenzierte, neutrale Berichterstattung sensibilisieren. Bereits elf Mal zeichnete die DGPPN Projekte, Institutionen und Selbsthilfegruppen, die sich für eine "nachhaltige gesellschaftliche Integration psychisch erkrankter Menschen einsetzen", mit dem Antistigma-Preis aus. Gefördert wird der Preis unter anderem vom Aktionsbündnis und der Stiftung für Seelische Gesundheit.

Der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e..V. hat in der Kampagne "OpenFace" einen Leitfaden für Interviews mit seelisch erkrankten Menschen entwickelt. Damit soll eine Interviewreihe entstehen, in denen Betroffene selbst zu Wort kommen und ihre Geschichten öffentlich erzählen. Damit trifft die Organisation einen Nerv, nämlich das Bedürfnis von Betroffenen, Informationen selbstbestimmt preiszugeben, Subjekt, statt Objekt zu sein. Die Kampagne ermöglicht ihnen ein Stück Autonomie, die ihnen sonst verweigert wird, nicht nur von der Psychiatrie, die, wie Berg-Peer sagt, das Urteil über sie fällt, sondern auch von den Medien. Statt durch verzerrte Begrifflichkeiten und Pauschalisierungen zu desinformieren, müssten Medien sich von vorgefertigten Denkmustern und Schablonen, von leeren Phrasen und Floskeln lösen, und neutral und differenziert informieren. Zwar ist gerade in den vergangenen ein bis zwei Jahren das Thema seelische Erkrankungen in der Berichterstattung deutlich sichtbarer geworden, jedoch ging es in den meisten Beiträgen vor allem um Formen der Depression.

Der Vorsitzende des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit, Wolfgang Gaebel, bewertet die Bemühungen vieler Organisationen dennoch sehr positiv und ist optimistisch: Es gelinge immer mehr, Ängste und Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen. Einstein kann sich irren. Irren ist menschlich. In jeder Beziehung.

Katharina Lübke

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