Modernstes Retro der Welt

Die Tage alter Musik in Regensburg
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Exzellente Interpreten der Alte-Musik-Szene spielen in den wunderbaren Räumen, die die alte Reichsstadt an der Donau bietet. Sonst nichts.

Wieder einmal war Pfingsten, das liebliche Fest, gekommen. Und in Regensburg, der prachtvollen Donaustadt, ereignete sich das alljährliche Wunder der Verschmelzung von größtmöglichem Understatement und ultimativer Atmosphäre. Doch der Reihe nach: 1984 waren drei Regensburger Domspatzen dem weltberühmten Knabenchor gerade entwachsen. Begeistert von den Konzerten, die sie als Chorknaben unter der Stabführung des späteren Papstbruders Georg Ratzinger erlebt hatten, veranstalteten sie ihr erstes Festival. Die "Tage Alter Musik Regensburg" waren geboren! Schon damals gab es klare Regeln: Exzellente Interpreten der Alte-Musik-Szene spielen in den wunderbaren Räumen, die die alte Reichsstadt an der Donau bietet. Sonst nichts. Kein bemühtes Motto, kein gewolltes Cross-Over, kein elendes Schickimicki, sondern nur pure Freude an der Sache selbst, schlicht Zelebration grandioser Musik in grandiosen Räumen in einer grandios-gemütlichen Stadt.

Daran hat sich nichts geändert, rein gar nichts. Zwar gibt es mittlerweile von Pfingstfreitag bis Pfingstmontag 17 Konzerte statt fünf wie 1984, ansonsten ist alles geblieben. Fast alles, denn die Wort-Bild-Marke des Festivals auf dem Programm ist wohl eine ganz frische Achtziger-Jahre-Retro-Kreation zum dreißigjährigen Jubiläum 2014. Lustig, so wie das Langnese macht, wenn es nach Jahrzehnten Brauner Bär und Dolomiti aus der Versenkung holt. Aber nein, weit gefehlt, das Logo ist seit 30 Jahren einfach so geblieben. Egal, denn den Regensburger Musikmachern - es sind Ludwig Hartmann und Stephan Schmid, zwei der drei Domspatzen von damals - ist etwas ganz anderes wichtig, und was das angeht, sind sie voll auf der Höhe der Zeit: Kulturellen Trüffelschweinen gleich verpflichten sie stets die Avantgarde der Alten Musik. Fast immer treten Ensembles auf, die man auf "normalen" Festivals vergeblich sucht, oder erst in vier, fünf Jahren dort findet. Das war schon in den Achtzigern so, als Vertreter der schon damals reichhaltigen und kreativen Alte-Musik-Szene aus den USA in Regensburg spielten, die sonst in Europa noch niemand zur Kenntnis genommen hatte. Zum Beispiel Joshua Rifkin, der damals als Erster die Kantaten Bachs in solistischer Besetzung aufführte - aus gutem Grund, wie man heute weiß.

Heuer, wie man in Regensburg sagt, gastierte aus Nordamerika unter anderem die Bande Montréal Baroque aus Kanada und spielte die Brandenburgischen Konzerte Sieben bis Zwölf von J. S. Bach. Wie bitte? Gibt es nicht nur sechs? Im Prinzip ja, aber die Barocker aus Nordamerika hatten "sechs neue Brandenburgische Konzerte" im Gepäck. Das waren keineswegs neutönende Kompositionsversuche "in memoriam", sondern vielmehr beherzte Arrangements anderer Werke des großen Thomaskantors, zumeist aus Arien seiner Geistlichen Kantaten. Angefertigt hatte sie kurz vor seinem Tod der US-Musikwissenschaftler Bruce Haynes (1942-2011). Warum nicht? Bach hat ständig eigenes Material mehrfach verwendet und neu arrangiert. Das Konzert in der Dreieinigkeitskirche am Pfingstsamstag bescherte ein Erlebnis, das zum einen entfernt an Bachtranskriptionen des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel Liszt und Busoni, erinnerte und zum anderen durch die ungehört mitschwingenden Arienworte zumindest für den Bachkenner noch eine weitere, wertvolle Ebene hinzugewann. Postmodern und irgendwie himmlisch!

Die nächsten Tage Alter Musik Regensburg finden vom 22. bis 25. Mai 2015 statt. BR-Klassik sendet Mitschnitte des Festivals 2014 am 1. Juli (Sechs "neue" Brandenburgische Konzerte) und am 7. Juli (Oden von Henry Purcell) jeweils um 18:05 Uhr, sowie am 15. Juli (Heinrich Schütz und die Familie Bach) um 20:03 Uhr. Livestream und Mediathek unter http://www.br.de/radio/br-klassik.

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Reinhard Mawick

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