Beitrag zur Nichtfriedfertigkeit

Rüstungsexporte verlängern häufig Gewaltkonflikte in Krisenregionen
Foto: privat
Wer das Leben deutscher Soldaten schützen, Frieden und Freiheit verteidigen, Menschenrechte und Völkerrecht achten will, darf keine Waffen weltweit exportieren, sagt Paul Russmann, Diplomtheologe und einer der drei Sprecher der "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!".

Nach den USA und Russland trägt Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur weiterhin "zu der Nichtfriedfertigkeit in der ganzen Welt bei, und zwar in einem unerhörten Ausmaß" (Altkanzler Helmut Schmidt). Wenn es um den Export von Panzern geht, lag Deutschland in den vergangenen fünf Jahren sogar auf dem zweiten Platz. Und kein Land exportierte in diesem Zeitraum mehr U-Boote als Deutschland. Gut 60 Prozent aller Genehmigungen für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsexporte werden mittlerweile an Drittstaaten außerhalb der NATO und der EU erteilt. Besonders skandalös ist der Export von sogenannten Kleinwaffen wie Gewehren, Maschinenpistolen oder Handgranaten aus Deutschland. Durch ihren Einsatz werden weltweit die meisten Menschen getötet: Nach Schätzungen von Amnesty International sterben bei bewaffneten Konflikten rund um den Globus täglich 1.000 Menschen durch Kleinwaffen. In den vergangenen zehn Jahren genehmigte die Bundesregierung den Export von Kleinwaffen, Kleinwaffenteilen und Kleinwaffenmunition im Wert von 877 Millionen Euro. 2013 war Deutschland weltweit der zweitgrößte Exporteur von Kleinwaffen.

"Die deutsche Rüstungsexportpolitik bewegt sich in die falsche Richtung. Rüstungsexportgenehmigungen werden oft im Widerspruch zu den eigenen politischen Grundsätzen und Gesetzen erteilt", stellt die "Fachgruppe Rüstungsexporte" der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) fest. Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern an Dutzende von Staaten werden alljährlich genehmigt, die in Kriegs- und Krisengebieten liegen, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden oder in denen interne Gewaltkonflikte drohen. Zu den Empfängerländern gehör(t)en unter anderem Ägypten, Algerien, Kolumbien, Libyen, Pakistan, Russland, Saudi-Arabien.

"Strategische Partnerschaft" und "Stabilität" sind die Schlagworte, mit denen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Geschäfte mit Menschenrechtsverletzern und Diktatoren rechtfertigt. Wer Länder wie Saudi-Arabien als "Stabilitätsanker" aufrüsten will, ist entweder hoffnungslos naiv oder sehenden Auges skrupellos. Die Frage, wie diese Länder vor dem Hintergrund der Waffenlieferungen an Rebellengruppen in Syrien und in der Sahelzone "Stabilitätsanker" in der Region sein können, hat die Bundesregierung nicht erläutert - von der oft völlig desolaten Menschenrechtslage, einschließlich der Missachtung der Religionsfreiheit, ganz zu schweigen.

Oft eskalieren Gewaltkonflikte erst durch die Lieferung von Waffen an eine oder mehrere Konfliktparteien. Sie dauern länger und fordern mehr Opfer. Das zeigen der aktuelle Bürgerkrieg in Syrien, zahlreiche Gewaltkonflikte der vergangenen Jahre auf dem afrikanischen Kontinent oder die Drogenkriege in Mittelamerika.

Bereits 1981 erkannte der katholische Bischof Georg Moser: "Ich fürchte, dass wir durch den Waffenhandel die armen Menschen in der Welt noch mehr schädigen und dass wir die militärischen Spannungen in einer unverantwortlichen Weise aufheizen. Wir sind alle politisch mitverantwortlich, und infolgedessen müssen wir alle unsere Stimme erheben."

Doch die Lobbyisten pro Rüstungsexporte in Industrie und Politik schweigen zu den genannten negativen Folgen von Waffenlieferungen. Verteidigungspolitiker der cdu/csu fordern einen noch industriefreundlicheren Kurs: "Die Rüstungsexportrichtlinien müssen überdacht und die politische Unterstützung für Exporte gestärkt werden - auch gegen medialen Widerstand."

Auch die Rüstungsindustrie drängt angesichts sinkender Aufträge der Bundeswehr massiv auf eine weitere Steigerung der Exporte. Denn nur durch die Existenz einer wettbewerbsfähigen nationalen Rüstungsindustrie würde ein umfassender Schutz für die Soldatinnen und Soldaten gewährleistet. Es werden schon heute zwischen 50 und 70 Prozent der in Deutschland produzierten Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgüter exportiert.

Wirklichkeit sieht anders aus

Doch wer Waffen und Rüstungsgüter exportiert, mit denen er auch die eigenen Soldatinnen und Soldaten ausstattet, setzt voraus, dass die Empfänger von Rüstungsexporten diese garantiert nie gegen deutsche Streitkräfte einsetzen. Zusätzlich müssten die Empfänger den kontrollierbaren und sanktionierbaren Endverbleib in ihren jeweiligen Ländern garantieren können. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus: in Afghanistan schossen Milizen mit Gewehren von Heckler & Koch auf Bundeswehrsoldaten mit Gewehren von Heckler & Koch.

Wer das Leben deutscher Soldaten schützen, Frieden und Freiheit verteidigen, und Menschenrechte und Völkerrecht achten will, darf keine Waffen weltweit exportieren. Rüstungsexporte füllen auf Kosten der Lebensgrundlagen der Menschen in den Empfängerländern hierzulande die Geldbeutel der Eigentümer von Rüstungsfirmen. Den Opfern eine Stimme, den Tätern Name und Gesicht gibt die "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" seit drei Jahren. Das größte zivilgesellschaftliche Bündnis gegen Rüstungsexporte in der deutschen Geschichte wird neben vielen Anderen besonders von christlichen Friedensorganisationen, kirchlichen Hilfswerken und Jugendverbänden, Landeskirchen und Diözesanräten getragen.

Die "Aktion Aufschrei" kritisiert, dass die deutsche Rüstungsexportpolitik unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, ohne ausreichende parlamentarische Kontrolle und auf der Grundlage rechtlich problematischer Verfahren. Sie setzt sich für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle ein. Sie fordert, dass Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter grundsätzlich nicht mehr exportiert werden. Gegen den Export von Waffen und sonstigen Rüstungsgütern aus Deutschland sprechen sich laut einer Emnid-Umfrage auch 78 Prozent der Bevölkerung aus.

Sogar Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) setzt sich für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik ein. Sein Ziel: "Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen". Dass Frieden überhaupt mit Waffen geschaffen werden kann, bezweifelt Papst Franziskus: Er fordert daher eine "neue Saison koordinierter und mutiger Bemühungen im Kampf gegen die wachsende Zahl von Waffen und für ihre Reduzierung".

Niemand, der sich heute gegen Waffenexporte engagiert, hat die Idylle einer konfliktfreien Welt vor Augen. Aber er wendet sich gegen einen Realismus, der einigen wenigen ein waffengeschütztes Paradies bringt und allen anderen die Hölle. Es geht um eine Welt, in der Konflikte auf andere als auf mörderische Weise ausgetragen werden. Eine Welt, in der ein Leben in seiner ganzen Fülle für alle möglich wird. (Joh. 10,10)

Michael Fuchs: Der Realität stellen

Paul Russmann

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