Impulse für gemeinsame Zukunft

500 Jahre Reformation sind ein Grund zum Feiern - aber nur ökumenisch
Foto: epd/ Steffen Schellhorn
Foto: epd/ Steffen Schellhorn
2017 steht vor der Tür: Gedenken oder feiern, das ist hier die Frage. Jedenfalls dann, wenn das Reformationsjubiläum nicht nur als protestantisches, sondern auch als ökumenisches Ereignis begangen werden soll. Dazu haben wir allen Grund, handelt es sich doch um das erste Reformationsjubiläum nach hundert Jahren ökumenischer Bewegung. Aber vertragen sich ein klares protestantisches Profil und ökumenische Weite?

Erinnern wir uns an die wichtigsten Stationen der jüngeren Geschichte der ökumenischen Bewegung: 1948 wurde in Amsterdam der Ökumenische Rat der Kirchen gegründet, 1959 fand in Dänemark die erste Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen statt. Und mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil von 1962 bis 1965 öffnete sich die römisch-katholische Kirche der Ökumene - unumkehrbar, wie sie seither immer wieder betont. 1973 wurde auf dem Leuenberg bei Basel die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa unterzeichnet, durch welche die Lehrgegensätze der Reformationszeit zwischen Lutheranern und Reformierten ihre kirchentrennende Bedeutung verloren haben.

Heute gehören der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) die meisten lutherischen, reformierten, unierten, methodistischen und vorreformatorischen Kirchen Europas an.

1999 wurde in Augsburg die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre vom Lutherischem Weltbund und dem Päpstlichen Rat zur Einheit der Christen unterzeichnet. Die beteiligten Kirchen sind davon überzeugt, in der Frage der Rechtfertigungslehre, die seit der Reformation zu den wichtigsten Streitfragen zwischen Protestanten und Katholiken gehört, einen tragfähigen, wenngleich differenzierten Konsens gefunden zu haben.

Erinnern wir uns auch an die dramatischen historischen Veränderungen, die zwischen dem letzten Reformationsjubiläum und den bevorstehenden Feierlichkeiten 2017 eingetreten sind. Das Reformationsjubiläum 1917 fiel mitten in die Zeit des Ersten Weltkriegs. Es war im wesentlichen eine deutsche Angelegenheit und konzentrierte sich auf Martin Luther als deutschen Nationalhelden. Beschworen wurden das Bündnis von Thron und Altar und die Synthese von Luthertum und Deutschtum. Der sich gegen die römisch-katholische Kirche richtende Kulturkampf, der die Gründerjahre des Deutschen Reiches von 1871 geprägt hatte, lag erst 40 Jahre zurück. Zwischen damals und heute liegen nicht nur zwei Weltkriege mit mehr als 67 Millionen Toten, Holocaust, Gulag und Kalter Krieg, sondern auch die Gründung der Vereinten Nationen und der Europäischen Union, das Ende des Ost-West-Konflikts und der Fall des Eisernen Vorhangs.

Europäisches Ereignis

Anders als noch vor hundert Jahren ist uns heute bewusst, dass die Reformation keineswegs nur ein deutsches, sondern ein europäisches Ereignis mit weltweiter Ausstrahlung bis in die Gegenwart war. Es hat nicht nur die Kirchengeschichte, sondern auch die politische und die Kulturgeschichte tiefgreifend geprägt. Seine Prägekräfte sind weiterhin lebendig, auch dort, wo die direkte Verbindung zu den religiösen Wurzeln nicht mehr gesehen oder empfunden wird. Die Reformation war in ihrem Kern eine Freiheits- und Emanzipationsbewegung, ohne die der moderne Freiheitsgedanke nicht zu verstehen ist. Auch wenn die neuzeitlichen Freiheits- und Menschenrechte keineswegs das alleinige Erbe der Reformation sind und zwischen modernem Autonomieverständnis und reformatorischem Freiheitsbegriff gewichtige Unterschiede bestehen, gehören Glaubens- und Gewissensfreiheit doch zum Kern reformatorischer Überzeugungen.

Mit Recht stellt die EKD in ihrem kürzlich veröffentlichten gleichnamigen Grundtext zum bevorstehenden Reformationsjubiläum Rechtfertigung und Freiheit in den Mittelpunkt (siehe Seite 17). Sie zeigt damit theologisches Profil. Die Lehre von der Rechtfertigung des Sünders, des Gottlosen allein durch den Glauben an Jesus Christus bildet das Herzstück reformatorischer Theologie. In ihr gründet das evangelische Verständnis christlicher Freiheit wie auch das evangelische Kirchenverständnis und sein Kerngedanke vom Priestertum aller Gläubigen.

Für die Reformation als europäisches Ereignis ist der 31. Oktober 1517 ein Datum mit Symbolcharakter. Ohne die historische Schlüsselrolle Martin Luthers schmälern zu wollen, ist doch die historische und theologische Vielfalt der reformatorischen Bewegung zu würdigen. So ist neben Luther auch an Persönlichkeiten wie Ulrich Zwingli, Philipp Melanchthon und Johannes Calvin zu erinnern, aber auch an den Straßburger Reformator Martin Bucer, der als Wegbereiter der Ökumene im Zeitalter der Reformation gilt und auch in England wirkte.

Von Anfang an plural

Überhaupt sollte die Geschichte der Reformation und der Gegenreformation nicht nur als eine Geschichte der Trennungen und Verwerfungen, sondern auch als eine Geschichte ökumenischer Bemühungen erinnert werden. Gewiss lassen sich die Religionsgespräche des 16. und frühen 17. Jahrhunderts nicht mit den ökumenischen Dialogen des 20. und 21. Jahrhunderts gleichsetzen, weil sie noch ganz vom Geist der Unterscheidung zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei, wahrer und falscher Religion geprägt waren. Es kann aber der heutigen Ökumene guttun, sich auch an die ökumenischen Impulse und Impulsgeber der Reformationszeit zu erinnern.

Eine wie auch immer geartete Rückkehrökumene sollte freilich endgültig der Vergangenheit angehören. Die Reformation hat eine Pluralisierung des abendländischen Christentums hervorgerufen, die es grundsätzlich zu bejahen gilt. Die mit der Reformation eingetretene Pluralisierung beschränkt sich nicht auf das Entstehen unterschiedlicher Konfessionskirchen. Vielmehr hat im weiteren Verlauf der Geschichte auch innerhalb der Konfessionen eine bis heute andauernde Pluralisierung von Glaubensüberzeugungen und Richtungen, von Gottesdienst- und Frömmigkeitsformen, von Gestalten kirchlichen und gemeindlichen Lebens stattgefunden. In gewisser Hinsicht kann man sogar von einer Protestantisierung des katholischen Christentums sprechen.

Pluralität und Pluralisierung des Christentums reichen letztlich bis in seine Anfänge zurück. Man spricht heute nicht nur von den verschiedenen Kirchen, sondern auch von unterschiedlichen Christentümern. Die Pluralität innerhalb des Christentums ist keineswegs nur die Folge politischer, gesellschaftlicher und kultureller Faktoren. Sie hängt vielmehr mit den Grundeigentümlichkeiten des christlichen Glaubens zusammen. Als geschichtlicher Glaube, der sich auf Jesu Leben, Tod und Auferstehung als Heilsereignis gründet, ist er geschichtlich vermittelt und bedarf somit immer wieder neu der Interpretation. Das Glauben wirkende Evangelium gibt es immer nur als interpretiertes, das heißt in einer Vielzahl möglicher Interpretationen und Interpretationen von Interpretationen. Die Kirchen bilden unterschiedliche Interpretationsgemeinschaften, deren Vielfalt als göttlicher Reichtum gesehen werden kann.

Licht und Schatten

Pluralisierungsprozesse haben freilich auch immer wieder zu Trennungen geführt. Sie haben der Gemeinschaft der Glaubenden schweren Schaden zugefügt und stehen dem gemeinsamen Zeugnis und der gemeinsamen Feier des Abendmahls entgegen, bis dahin, dass Christen einander ihr Christsein bestreiten und Kirchen von anderen Kirchen ihr Kirchesein abgesprochen wird. Man denke hierbei nicht nur an die gegenseitigen Verwerfungsurteile von Protestanten und Katholiken, sondern auch an die Verfolgung der Täufer in der Reformationszeit, die auch von lutherischer und reformierter Seite geschah.

Die Reformation lässt sich weder einseitig als Sieg des religiösen Individualismus feiern, noch einseitig als Kirchenspaltung und Beginn einer fortschreitenden Zersplitterung des abendländischen Christentums beklagen. Die Licht- und Schattenseiten der Reformation sind vielmehr gleichermaßen anzusprechen.

Gedenken oder feiern, ist das tatsächlich die Frage? Wird hier nicht eine falsche Alternative aufgestellt? Im Grundlagentext "Reformation und Freiheit" erklärt die EKD mit Recht, es wäre verfehlt, das Jahr 2017, wie von katholischer Seite gefordert, lediglich als Gedenken an die verlorene Einheit zu begehen. Die evangelischen Kirchen hätten sehr wohl allen Grund, sich an den geistlichen Gaben der Reformation zu freuen und in dieser Freude das Reformationsjubiläum in ökumenischer Weite zu feiern.

Wäre nicht dies ein Ansatz für ein gemeinsames Reformationsgedenken und - warum nicht? - auch ein gemeinsames Feiern: Dass sich die römisch-katholische Kirche fragen könnte, was sie positiv der Reformation zu verdanken hat, auch wenn sie sich ihr bis heute nicht anzuschließen vermochte, dass aber auch die evangelischen Kirchen sich prüfen, was sie in Geschichte und Gegenwart der katholisch gebliebenen römischen Kirche für das eigene Evangelischsein verdanken? Was bedeutet es für das eigene Verständnis des Evangeliums, des Christseins und der Kirche, dass sich eben nicht die ganze abendländische Christenheit der Reformation angeschlossen hat? Und welche Impulse gehen vom Erbe der Reformation für den gemeinsamen ökumenischen Weg in die Zukunft aus? Stellt man sich gemeinsam diesen Fragen, dann lässt sich vielleicht ein ökumenisches Verständnis von Katholizität entwickeln, das zugleich gut evangelisch ist.

Ökumene der Profile

Seit einigen Jahren ist von einer Differenzökumene oder einer Ökumene der Profile die Rede. Sie trägt der grundlegenden Pluralität des Christentums Rechnung, indem sie bewusst macht, weshalb man evangelisch, katholisch, orthodox oder in anderer konfessioneller Ausprägung Christ sein kann - und zwar jeweils aus gutem Grund.

Es gilt nun meines Erachtens keineswegs nur, aber sehr wohl auch zu feiern, dass man auch im Zeitalter der Ökumene aus gutem Grund evangelisch sein kann. Das Entstehen evangelischer Kirchen war keineswegs ein bedauerlicher Betriebsunfall der Kirchengeschichte, vielmehr dürfen evangelische Christen für die evangelischen Gestalten von Kirche und gottesdienstlichem Leben zutiefst dankbar sein und dürfen sich an ihrem geistlichen Reichtum erfreuen.

Das Thema "Reformation und Kirche" oder "Reformation und Ökumene" ist in der Lutherdekade leider ausge-spart geblieben. Wenn man an die zum Teil ernüchternden Ergebnisse der 5. EKD-Studie zur Kirchenmitgliedschaft denkt, steht die Frage auf der Tagesordnung, wozu nach evangelischem Verständnis die Kirche da ist und weshalb auch evangelische Christen für ihren persönlichen Glauben die Kirche brauchen. Die reformatorische Idee vom Priestertum aller Gläubigen setzt auch nach evangelischer Überzeugung die Existenz und die Notwendigkeit der Kirche voraus.

Das versteht sich jedoch längst nicht mehr von selbst. So sollte das bevorstehende Reformationsjubiläum zum Anlass genommen werden, sich auf die guten Gründe für evangelisches Kirchesein zu besinnen, das nicht in splendid isolation, sondern nur in ökumenischer Verbundenheit gelebt werden kann.

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Ulrich H. J. Körtner

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