Päpste, Prälaten, Prostituierte

In Konstanz wird an ein Konzil erinnert, das die Kirche und Europa verändert hat
Die "Imperia" des Bildhauers Peter Link, eine Kurtisane, die einen König und einen Papst in Händen hält, erinnert seit 1993 im Konstanzer Hafen an das Konzil. Foto: Tourismus-Information Konstanz
Die "Imperia" des Bildhauers Peter Link, eine Kurtisane, die einen König und einen Papst in Händen hält, erinnert seit 1993 im Konstanzer Hafen an das Konzil. Foto: Tourismus-Information Konstanz
1414 trat zum ersten Mal auf deutschen Boden ein Konzil zusammen, um einen Papst zu wählen. Maria Wetzel, katholische Theologin und Redakteurin der Stuttgarter Nachrichten, hat in Konstanz zwei Ausstellungen besucht, die der Kirchenversammlung gewidmet sind. Und sie zeigt die Bedeutung des Konzils.

Aufbruchstimmung in Konstanz am Bodensee. Prominente Gäste werden erwartet. Unterkünfte müssen hergerichtet, die Versorgung der Gäste organisiert, Veranstaltungsräume beschafft werden. Konstanz rüstet sich für das Konzil. Von 1414 bis 1418 strömen Leute aus dem ganzen christlichen Erdkreis herbei - von Uppsala bis Athen und Konstantinopel, von Lissabon bis Nowgorod. Sogar aus Äthiopien reist eine kleine Gruppe an.

Könige und Päpste, Patriarchen und Kardinäle, Bischöfe und Äbte, Fürsten und Theologen kommen an den Bodensee, und ihnen folgen Handwerker und Künstler, Händler und Schaulustige. Bis zu 10.000 Gäste sollen sich mitunter in der Siebentausend-Einwohner-Stadt aufgehalten haben, berichtet Ulrich Richental, der Chronist des Konzils. Insgesamt seien es über 72.000 gewesen.

600 Jahre später ist Konstanz erneut im Aufbruch. Bis 2018 will die Stadt an das "Weltereignis" am Ausgang des Mittelalters erinnern, das den Namen der Stadt "auf der ganzen Welt verbreitet hat", wie Richental notierte. Ausstellungen und Feste, Konzerte und Theater, Turniere und Stadtführungen sollen die Vergangenheit erlebbar machen, aber auch einen Bezug zur Gegenwart herstellen. Theologische und historische Laien werden ebenso angesprochen wie Wissenschaftler.

In der Kirchengeschichte spielt das erste Konzil nördlich der Alpen und das einzige auf deutschem Boden, bei dem ein Papst gewählt wurde, eine große Rolle - für die katholische Kirche, weil die Spaltung überwunden und das Papsttum gerettet wurde, für die Protestanten wegen der Verbrennung von Johannes Huss, einem Vorläufer der Reformation.

Für Harald Siebenmorgen ist ein weiterer Aspekt wichtig: "Konstanz wurde zum Schmelztiegel der Kulturen und zur Plattform für den Austausch von Wissen, Waren und Werten", sagt der Direktor des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, das Ende April in Konstanz die Große Landesausstellung "Das Konstanzer Konzil" eröffnete. Durch das Zusammentreffen von Delegationen von Russland bis Spanien von England bis Konstantinopel und Äthiopien sei ein intensiver Kulturaustausch entstanden, auch zwischen Deutschland und Italien. Italienische Humanisten wie Poggio Bracciolini, der als Sekretär mit Papst Johannes anreiste, hätten in Klosterbibliotheken nördlich der Alpen vergessene Schriften von Cicero, Lukian und Vitruv wiederentdeckt und damit die Renaissance angestoßen.

Ein Krisentreffen

Anberaumt worden war die Kirchenversammlung allerdings als Krisentreffen. Das vom römisch-deutschen König Sigismund angestoßene, von Papst Johannes XXIII. einberufene Konzil sollte das Große Abendländische Schisma beenden. Seit 1378 hatten zwei Päpste Anspruch auf den Stuhl Petri erhoben. In Rom fühlte sich seit 1406 ein Venezianer, Gregor XII., als rechtmäßiger Stellvertreter Gottes auf Erden, und in Avignon ein Spanier, Benedikt XIII. Nach dem Einigungsversuch beim Konzil von Pisa 1409 kam ein dritter hinzu, der bald verstarb und dem Johannes XXIII. folgte, Spross einer Piratendynastie aus Neapel. Jeder der drei Päpste hatte mächtige weltliche Unterstützer: Gregor den römisch-deutschen König Ruprecht sowie den König von Neapel, Benedikt Frankreich, Spanien und Schottland, und Johannes die Mehrheit der Fürsten und Bischöfe Süddeutschlands. Und es ging dabei nicht nur um Glaubens- und Kirchenfragen, sondern auch um Machtpolitik. Unter den Gläubigen war die Verunsicherung groß, hing doch das Seelenheil davon ab, dass man dem rechten Papst folgte.

Sigismund von Lothringen, seit 1387 König von Ungarn und seit 1411 römisch-deutscher König und damit Schutzherr der Kirche, wollte eine starke, geeinte Christenheit, die mit ihm die Gefahr im Osten, die Türken, bekämpft und das Heilige Land erobert. Und um zum Kaiser gekrönt zu werden, brauchte er einen Papst, nicht drei. In Konstanz, freie Reichsstadt, Bischofssitz und Verkehrsknotenpunkt, ließe sich eine solche Versammlung besser kontrollieren als auf italienischem Boden, muss er sich gedacht haben. Er überzeugte Johannes, der ebenfalls großes Interesse an einem Konzil hatte - erhoffte dieser sich doch, seine Konkurrenten endlich loszuwerden.

Am 28. Oktober 1414 zieht Papst Johannes auf einem Schimmel in Konstanz ein, und Ratsherren geleiten ihn mit einem goldenen Baldachin zum Münster. Schon um seine Anreise reihen sich Legenden. Etwa, dass am Arlberg sein Wagen umgestürzt sei und er ausgerufen habe: "Hier liege ich im Namen des Teufels". War das eine Vorahnung?

Verhinderte Flucht

Am 5. November eröffnet Johannes das Konzil und übernimmt die Regie. Doch es läuft nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. Die Anhänger der beiden Rivalen treffen ein, und die Kräfte verschieben sich. Am Weihnachtsabend kommt König Sigismund in Konstanz an und demonstriert seine Macht: Vorab lässt er Johannes mitteilen, mit der Christmette bis zu seiner Ankunft zu warten. Dem König ist klar, dass die Einheit der Kirche nur mit einem neuen Papst zu schaffen ist. Wenige Monate später muss Johannes abdanken, ein Fluchtversuch, mit dem er das Konzil platzen lassen will, scheitert, er wird in Mannheim eingesperrt und muss sich 1419 freikaufen. Als Gegenpapst wird er später aus der offiziellen Papstliste getilgt, so dass 1958 ein anderer Papst den Namen Johannes XXIII. annehmen kann. Und der berief bekanntlich ebenfalls ein Konzil ein, das große Folgen hat.

Auch Gregor und Benedikt, die nicht nach Konstanz kamen, wird Sigismund später zum Rücktritt bewegen. Und im November 1417 ist der Weg endlich frei für ein neues Kirchenoberhaupt. Das 1388 errichtete Warenhaus am Hafen wird für das Konklave umgebaut, 56 Zellen werden für diejenigen eingerichtet, die den Papst bestimmen sollen, drei bleiben fern. Am vierten Tag ist es so weit: Oddo di Colonna, Spross einer der mächtigsten Adelsfamilien Roms, ist gewählt und nimmt den Namen Martin V. an. Damit er Papst werden kann, muss er aber erst noch rasch zum Priester geweiht werden.

Nach drei Jahren ist das erste von drei Zielen des Konzils erreicht, die causa unionis. Mit der zweiten Aufgabe, der causa fidei, hatte sich das Konzil bereits intensiv befasst. Bei der Frage des rechten Glaubens dreht sich vieles um Johannes Huss. Der böhmische Priester, seit 1410 Rektor der Universität Prag, geht mit dem Klerus scharf ins Gericht. Wie sein Vorbild, der 1384 gestorbene Engländer John Wycliff, prangert er den politischen Machtanspruch und die weltliche Herrschaft der römischen Kirche an. Die Heiligen- und Reliquienverehrung, der Verkauf von Kirchenämtern und der Ablasshandel sind Huss ein Dorn im Auge. Die Kirche verhängt den Bann über ihn, er wird nach Konstanz beordert und folgt, denn König Sigismund hat ihm freies Geleit garantiert. Drei Wochen nach seiner Ankunft wird er aber verhaftet und ihm wird der Prozess wegen Ketzerei gemacht. Am 6. Juli 1415 wird Huss im Münster in Anwesenheit des Königs zum Tod verurteilt. Vor den Toren der Stadt wird er auf dem Scheiterhaufen verbrannt, seine Asche wird in den Rhein geworfen, damit bloß nichts von ihm bleibt. Nichts? In einer Vitrine ist ein Stück Stoff zu sehen, das von einem Gewand stammen soll, das Huss getragen hat. Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte es in einem Museum in Colmar auf. Gutachtern zufolge war das Gewebe Ende des 14. Jahrhunderts entstanden.

Das Stoffstück ist eines von 350 Ausstellungstücken der Landesausstellung. Gezeigt werden Kultgegenstände und Kunstwerke, Briefe und andere Dokumente: Erstmals gleichzeitig zu sehen sind sieben Ausgaben der Konzilschronik, darunter die Aulendorfer Handschrift aus dem Jahr 1480, die heute in der New York Public Library aufbewahrt wird und als früheste erhaltene Chronik gilt. Das Original von Richental wurde bei einem Brand im Kloster Salem zerstört. Der Konstanzer war bei wichtigen Ereignissen mit von der Partie, so beim Einzug von Papst Johannes, bei der Ankunft König Sigismunds, und bei Prozess und Hinrichtung von Johannes Huss.

Biber und Otter verspeist

Eine andere, die Konstanzer Abschrift, ist im Rosgartenmuseum zu sehen. Für dessen Leiter Tobias Engelsing war Richental ein spätmittelalterlicher Boulevardjournalist - immer und überall dabei. Ihm verdanken wir auch einen Einblick in den Konstanzer Alltag während der vier Ausnahmejahre. So änderten sich die Speisen, nun wurden Schnecken und Frösche, Biber und Otter verzehrt. Aus dem Süden wurden Weine importiert, weil vielen Gästen der einheimische zu sauer war. Selbst der Zunftzwang wurde aufgehoben: Bäcker aus Frankreich und Italien versorgten mit ihren mobilen Backöfen die Bevölkerung. Richental zählte auch die zugereisten Prostituierten, die Hübschlerinnen in den Frauenhäusern, über 700 - und die einheimischen "Heimlichen". Den Damen hat der Künstler Peter Lenk vor 20 Jahren mit der "Imperia" im Hafen ein Denkmal gesetzt, was auf viel Widerstand stieß. König und Papst als lächerliche Figuren in den Händen einer Prostituierten als Erinnerung an das Konzil?

Die Bewertungen des Konstanzer Konzils sind unterschiedlich. "Mit ihrer einzigartigen Dichte an intellektueller und künstlerischer Präsenz haben die Konzilsjahre der Renaissance diesseits und jenseits der Alpen zum Siegeszug verholfen", erklärt Kunsthistorikerin Karin Stober, die die Ausstellung leitet. Das Konzil fand in einer Zeit des Umbruchs statt, das Weltbild wandelte sich. "Der Mensch wurde sich selber zum Maß der Dinge und durchbrach den gesteckten Horizont", erklärt Stober. Technische Erfindungen wie die Papierherstellung, aber auch das moderne Bankwesen hatten großen Einfluss auf Verlauf und Wirkung des Konzils. Ohne die 15 Bankhäuser mit 72 Angestellten wären viele Gäste aufgeschmissen gewesen. Denn keiner hatte damit gerechnet, dass die Kirchenversammlung so lange dauern würde.

Ein Erfolg?

Dennoch erreichte sie nicht alle Ziele. Die causa reformationis, die Reform der Kirche, blieb unvollendet. Im Dekret "Haec sancta" hielten die Konzilsväter zwar 1415 fest, dass ein Konzil über dem Papst stehe, doch ob das nur für das Konstanzer oder generell gilt - darüber gehen die Ansichten bis heute auseinander. Auch das Dekret "Frequens", in dem regelmäßige Konzile im Abstand von zehn Jahren vereinbart wurden, hat sich nicht durchgesetzt.

Direktor Siebenmorgen sieht das Konzil dennoch als Erfolg. Er ist überzeugt, dass sich die Kirche ohne die in Konstanz erzielte Einigung in mindestens drei Nationalkirchen gespalten und die Entwicklung Europas anders verlaufen wäre.

Nach der Papstwahl löst sich die Versammlung schnell auf, weil die Pest über die Stadt hereinbricht. König Sigismund verlässt Konstanz - ohne seine Rechnungen zu bezahlen. Handwerker und Künstler bleiben auf ihren Kosten sitzen. Aber manchmal wenden sich Dinge doch noch zum Guten: Dem Geldmangel verdankt Konstanz sein bis heute mittelalterlich geprägtes Stadtbild. Denn für eine Barockisierung fehlte der Stadt schlicht das Geld.

Ein Jahrhundert nach dem Konzil kommt es zur Reformation, 1527 wird Konstanz evangelisch, und der Bischof flüchtet über den See nach Meersburg. Mit den freien Reichsstädten Memmingen, Lindau und Straßburg erarbeitet Konstanz ein eigenes Bekenntnis, die "Confessio Tetrapolitana". Aber 1548, nach der Niederlage des Schmalkadischen Bundes, wird die Stadt von Österreich besetzt, rekatholisiert, verliert ihren Status als freie Reichsstadt und wird in Vorderösterreich eingegliedert. An die Konstanzer Reformatoren Ambrosius und Thomas Blarer und Johannes Zwick erinnern Choräle im deutschen Evangelischen Gesangbuch.

Informationen

Große Landesausstellung "Das Konstanz Konzil": bis zum 21. September; Konzilsgebäude: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr und freitags 10 bis 21 Uhr.

Rosgartenmuseum: "Konstanz um 1414 - Städtischer Alltag zur Zeit des Konzils": Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr und Samstag, Sonntag und feiertags 10 bis 17 Uhr.

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Maria Wetzel

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