Zeitgeschichtliches

Briefwechsel im Kirchenkampf
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Der von Günther van Norden edierte Briefwechsel stellt ein einzigartiges Dokument des Kirchenkampfes im Bewusstsein zweier bedeutender Frauen dar.

Zwei bedeutende Frauen erörtern die gesellschaftlich und kirchlich wichtigsten Fragen jener Jahre. Dabei zeigt sich hier und da "eine Position zwischen den Zeiten" - etwa bei der Bewertung der Homosexualität oder der Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft. Die lebendigen Einblicke in die (kirchliche) Zeitgeschichte werden durch kundige Anmerkungen des Herausgebers Günther van Norden vertieft. Elisabeth Freiling ist Vikarin der "Bekennenden Kirche" (BK) in Barmen. Die ehemalige Krankenschwester Charlotte von Kirschbaum arbeitet als "Sekretärin" des protestantischen "Kirchenvaters" Karl Barth. Beide verbindet eine tiefe Liebe, die zu einer lebenslangen, schöpferischen Arbeitsgemeinschaft führt. Von seiner Ehefrau Nelly hat sich Barth längst entfremdet. Dennoch hält die "Ménage à trois" über 35 Jahre.

"Die größte irdische Wohltat" stelle zugleich "das strengste Urteil wider mein irdisches Leben" dar, hat Barth schon früh an von Kirschbaum geschrieben. Sie äußert sich Freiling gegenüber anders: Jede Ehe ohne wirkliche Liebe sei eine "gebrochene Ehe". Umgekehrt falle Liebe ohne zivilrechtliche Ehe auch unter Gottes "Anspruch und seine Verheißung". Während sie so die harte protestantische Ehe-Lehre weich spült, wird ein BK-Pfarrer, den die Frauen besorgt erwähnen, wegen Ehescheidung entlassen.

Neben Barth erfährt Hellmut Traub große Aufmerksamkeit im Briefwechsel. Der Vikar wird 1935 wegen homosexueller "Verfehlung" angeklagt und verhaftet. Charlotte von Kirschbaum besucht ihn, schreibt von einer Schuld, "die aber mit einem groben Vergehen im gerichtl. Sinn nur infolge einer verantwortungslosen Willkür verwechselt werden könnte". Für beide Frauen war Homosexualität noch keine Variante der Natur, doch waren sie in ihrer Empathie - so Günther van Norden - sehr viel weiter, "als es die babylonische Gefangenschaft ihrer dogmatisch-ethischen Vorgaben ermöglichte".

Barth hat 1934 seine Bonner Professur verloren; er wollte den Beamteneid "auf den Führer" nur mit dem Zusatz "soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann" leisten. 1935 schreibt er, die BK rede immer noch nur in eigener Sache, halte die Fiktion aufrecht, "als ob sie es im heutigen Staat mit einem Rechtsstaat im Sinne von Römer 13 zu tun habe". Elisabeth Freilings Kommentar: "Sie begreifen Prof. Barth nicht und deshalb wollen sie ihn nicht, sie haben im Grunde alle Angst vor seinem Wort."

1938 werden die Pfarrer von Kirchenleitungen genötigt, den Eid "auf den Führer" zu leisten - der vom Staat gar nicht verlangt wird, wie sich wenig später herausstellt. Für Freiling gibt es noch einen weiteren Anlass zum Zorn: BK-VikarInnen werden vom staatsloyalen Konsistorium gedrängt, sich "legalisieren" und so auch finanziell absichern zu lassen. "Dieses Geld", schreibt sie, "ist in den Händen der Götzendiener, sie bieten es uns an. Und längst schleicht dieses Gift in allen Adern der BK und lähmt und tötet langsam ihr Leben." Ursache sei die "Angst, Angst vor dem Gegner und der Unsicherheit der Existenz".

Im Blick auf die Stellung der Frau plagen sich die beiden Freundinnen mit der üblichen Interpretation der Frau als "Gehilfin des Mannes" (Genesis 2, 18) ab, andererseits ist "ihr in der Frauenemanzipation gewachsenes Selbstbewusstsein" spürbar, das Gleichberechtigung - auch im Pfarramt - fordert. Die Verbindung zu Traub reißt nach 1939 ab. Er ist in Berlin tätig, wird wegen "hochverräterischer Äußerungen" verhaftet und zur Wehrmacht eingezogen. Nach dem Krieg wird er Pfarrer in Hamburg - und heiratet eine BK-Vikarin. Freiling wird nach dem Krieg Dozentin an einem Katechetischen Seminar.

Charlotte von Kirschbaum, zuvor in der Schweizer Bewegung "Freies Deutschland" aktiv, schreibt 1949 ein fast feministisches Buch "Die wirkliche Frau". Nach Gedächtnisverlust kommt sie 1966 in ein Heim. Barth besucht sie regelmäßig. Er stirbt 1968, sie 1975, Nelly Barth 1976.

Der von Günther van Norden edierte Briefwechsel stellt ein einzigartiges Dokument des Kirchenkampfes im Bewusstsein zweier bedeutender Frauen dar und verschafft gleichermaßen Einblicke in die Mentalitäts- und Gesellschaftsgeschichte.

Günther van Norden (Hg.): Charlotte von Kirschbaum und Elisabeth Freiling. Briefwechsel von 1934 bis 1939. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, 232 Seiten, Euro 29,99.

Klaus Schmidt

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