Die Zelte Gottes

Mobile Kirchen als Sakralgebäude für moderne Stadtnomaden
Seit 2009 im Einsatz: Die Lichtkirche, hier auf der Automesse in Frankfurt/Main. Foto: dpa/ Joachim Storch
Seit 2009 im Einsatz: Die Lichtkirche, hier auf der Automesse in Frankfurt/Main. Foto: dpa/ Joachim Storch
Wenn die Menschen den Weg in die traditionellen Kirchen seltener finden, wäre es da nicht eine gute Idee, sich mit mobilien Kirchen auf den Weg zu den Menschen zu machen? Und könnten temporäre Bauten auch eine Alternative für Gemeinden sein, die unter der Belastung viel zu großer Kirchgebäude leiden? Hartmut Ayrle, Leiter Stadtentwicklung Bruchsal, hält das für möglich. Als Professor an der School of Architecture begleitete er das Projekt "Mobile Kirchen" auf dem Kirchentag in Bremen 2009.

Während ich diesen Text beginne, blicke ich auf eine moderne Großstadt. In der Dämmerung: Häusermeer, Lichtermeer, alles umfangender Lärm. Ein Meer kleiner Bauten in kleinen Straßen und hoch darüber aufragende Baukörper schaffen oberhalb des Erdbodens eine plastische Stadt-Landschaft, deren skulpturale Wirkung nicht dem Erdenbewohner, sondern nur dem Luftbewohner, den Vögeln, Göttern und Hochhausbürgern erkennbar ist.

In solcher Stadtlandschaft wird in Zukunft die Mehrheit der Menschen leben. Die Mehrheit der Deutschen wohnt - noch - in Städten unter 100.000 Einwohnern, aber der Umzug in die Großstädte und Metropolen ist in vollem Gange, es wachsen seit einigen Jahren in Deutschland nur noch die großen urbanen Verdichtungsräume mit Universitäten und Kultur. Städte und Ortschaften auf dem Land schrumpfen derweil. Die Menschen des jungen 21. Jahrhunderts wollen nicht mehr aufs Land, in den großen eigenen Garten, sondern zurück in die Wohnung in der Stadt, mit Tiefgarage, Aufzug, großem Balkon und Kino, Theater und Sportanlagen gleich um die Ecke.

Sie suchen die kurzen Wege, die unmittelbare Verfügbarkeit einer Vielzahl von Angeboten. Sie leben den urbanen Traum, das Versprechen der großen Zahl: "Ja, es ist immer jemand da, Du bist nie allein; Du bist einer von vielen, für Euch wird immer gesorgt, auch Du kannst Deinen Teil haben. " Und gleichzeitig: "Du fällst nicht auf, als einer unter vielen hängt nichts genau von Dir ab; jeden Tag kannst Du deshalb neu entscheiden, was Du in Deiner Freizeit tun willst, niemand zieht Dich zur Rechenschaft." Es locken zeitgleiche Gemeinschaft und Freiheit, Eingebundensein und Ungebundenheit in das Leben in der Stadt.

In dieser Stadtlandschaft stehen in Europa seit langem Kirchengebäude, große Bauskulpturen aus einer anderen Zeit. Sie stehen oft an einem besonderen Ort der Stadt, sind frei gestellt von Anbauten und künden von der Anwesenheit einer christlichen Gemeinde seit 50 oder seit 1000 Jahren und von der Möglichkeit zu beten. Sie werden allerdings immer kleiner gegenüber den immens anschwellenden Geschäftshäusern, den Einkaufs- und Freizeitzentren, in deren Schatten die Kirchengebäude inzwischen manchmal wie Miniaturen erscheinen. Tatsächlich sind es die Gemeinden, die schrumpfen, in der Zahl engagierter Mitglieder und in den finanziellen Mitteln zum Unterhalt der alten Kirchbauten.

Wendige Pavillions

Wie soll man heute Kirche sein in dieser Stadtlandschaft? Wie kann man Kirche überzeugend leben und als Kirche sichtbar und greifbar sein auch für die Kirchenfernen? Wie sollen heute kirchliche Orte aussehen in dieser Stadtlandschaft, in der die Menschen ihre Ungebundenheit feiern?

Mobile Kirchen! Setzen wir mobile kirchliche Orte in diese Städte! Kleine, wendige Kirchenpavillons, die schnell kommen und gehen wie die Stadtmenschen selber. Mobile Kirchen, die keinen heiligen Ort für die Ewigkeit aufspannen, sondern sich dem Wandel unterwerfen, heute hier entstehen, wirken und bald wieder verschwinden, um dann andernorts erneut aufzutauchen und zu wirken. Mobile Kirchen für mobile Menschen, für eine Gesellschaft in Bewegung, wie damals das Zelt Gottes mit den Gesetzestafeln für die israelitischen Nomaden. Nie ganz Teil der Karawane, aber immer bei ihr, ein Ort von Entrückung und Orientierung.

Der Gedanke ist bestechend: Bei kleiner werdenden Gemeinden, bei schrumpfendem Personal und Budget passen wir die baulichen Hüllen an, specken ab und bauen uns transportable Kirchenpavillons, mit denen wir zu den Menschen gehen können, statt zu warten, ob sie zu uns kommen.

Und manche haben es schon gemacht. Erfahrungen damit, Kirchenräume in transportablen Hüllen auf Zeit zu errichten, gibt es schon einige:

- auf Zeltlagern der kirchlichen Jugendarbeit werden seit langem Zelte umgenutzt zu Lagerkapellen, oder es gibt immer wieder neu errichtete Altäre

- auf manchen Campingplätzen gibt es seit den Siebzigerjahren Campingkirchen; es sind Projekte einzelner evangelischer und katholischer Institutionen, getragen von Initiativgruppen, mit mehr oder minder intensiver konzeptioneller Fundierung. Der Kirchenkreis Soltau hat seine Campingkirche 2009 mit einer klaren Konzeption ausgestattet. Baulich sind die Campingkirchen oft in kleineren Zirkuszelten, Blockhütten oder Wohnwagen beheimatet, wie die Campingkirche in Horn am Bodensee

- die Militärseelsorge kann auf eine lange Tradition von Feldkirchen zurückschauen. Zuletzt wurde die Feldkirche im Bundeswehrlager in Kundus auch medial entdeckt. Meist werden Lagerzelte und -hallen zu einer Feldkirche umgenutzt, manchmal auch eigene kleine Gebäude errichtet

- als Beitrag zu Gartenschauen und sonst bei besonderen Ausstellungsereignissen lassen manche Kirchen temporäre kirchliche Räume errichten; die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau zum Beispiel nutzt seit 2009 einen temporären Kirchenpavillon, die "LichtKirche", immer wieder als eigenen kirchlichen Ort bei säkularen Großveranstaltungen, so auf der iaa und aktuell zusammen mit der katholischen Kirche auf der Landesgartenschau 2014 in Gießen. Ein eigenes Team entwickelt Konzepte zu Inhalten und Organisation der Auftritte

- für den Evangelischen Kirchentag 2009 in Bremen brachten Professor Thomas Erne vom Kirchbauinstitut und der Autor Studenten der evangelischen Theologie und der Architektur zusammen. Die entwarfen gemeinsam mehrere mobile Andachtsräume, bauten und platzierten sie in die Übergangsräume zwischen Stadt und Kirchenveranstaltung. Telefonzelle zu Gott, Oase, Kirchenfenster, Pilgerweg zu sich selbst, waren einige der programmatischen Titel, die in den Pavillons räumlich umgesetzt wurden. Gebaut wurden sie aus einfachen Stahlrohr-Strukturen und textilen Hüllen. In diesen Pavillons waren Gästebücher ausgelegt. Die Einträge zeigen, dass die Besucher diese ungewohnten kleinen Andachtsorte so begrüßten und nutzten wie sie gedacht waren: als Möglichkeiten kurzen Heraustretens aus dem Fluss des Alltags, für einzelne oder einige wenige Nutzer.

- nicht zuletzt sind die Kirchentage selbst Beispiele für die Etablierung kirchlicher Räume in der Stadtlandschaft auf Zeit. Die Kirchentage wenden sich an sehr viele Besucher und fassen diese dann in sehr unterschiedlich große Gruppen für einzelne Veranstaltungen zusammen. Baulich wird das geleistet mit einer Kombination aus angemieteten spezialisierten Kongressräumen und angemieteten Zelthallen. Beide sind wenig inspirierend für kirchliche Zwecke, alles kommt auf die Stimmung der Menschen an. Nur selten werden speziell für die kirchliche Nutzung gestaltete temporäre Bauten realisiert. Auf dem Kirchentag in Bremen wurde zum Beispiel das "Wasserzelt" als kirchlicher Veranstaltungsort der Ortskirche in der Stadt realisiert.

Große Hürde Betriebskosten

Im Vergleich der Beispiele zeigen sich unterschiedliche Ausprägungen, die neue mobile Kirchenräume haben können. Sie müssen bei der Entwicklung gut überlegt und entschieden werden:

Offenheit: Geht es um die Markierung eines kirchlich genutzten Ortes, der mehr oder weniger unter freiem Himmel liegt, für viele zugänglich ist, und dem Wetter ausgesetzt ? Oder wollen wir einen von der Umgebung abgegrenzten kirchlichen Raum aufspannen, der zumindest vor Regen und Unwetter, aber vielleicht auch vor Blicken und ein wenig vor Schall schützt?

Jahreszeit: Wie effektiv soll die mobile Kirche gegen schlechtes Wetter schützen? Soll sie auch im Herbst und Winter nutzbar und beheizbar sein? Dann entstehen andere, aufwändigere Lösungen als für reine Sommer-Kirchen. Alle mobilen Kirchen müssen in Mitteleuropa allerdings immer mindestens regenfest sein, egal wann sie genutzt werden.

Nutzerzahl: Wie groß soll der Kirchenraum auf Zeit werden, welche Zahl von Besuchern soll in einer Veranstaltung sich versammeln können? Es kann sich bei mobilen Kirchen um Orte handeln für fünf, fünfzig oder fünfhundert Besucher. Es sind bauliche Geometrien denkbar, die wahlweise kleinere oder größere Gruppen aufnehmen können. Dem entsprechend wird die bauliche Hülle mehr oder weniger komplex ausfallen, und in der Rückwirkung wird auch das inhaltliche Programmangebot und das erforderliche Personal von der baulichen Größe und möglichen Nutzerzahl stark definiert werden

Mobilität: Wie schnell soll eine mobile Kirche den Ort wechseln können, mit welchen Mitteln soll sie zu transportieren sein, welche Geräte braucht man zum Auf- und Abbau? Die Antworten auf diese Fragen bestimmen den Finanzaufwand des dauerhaften Einsatzes. Meist lassen sich die Gelder zum erstmaligen Neubau eines besonderen Kirchenraumes finden; die Erstinvestition ist schwierig, aber leistbar. Die danach folgenden Betriebskosten des regelmäßigen Einsatzes stellen die größere Hürde dar. Die Projekte in Bremen waren zum Beispiel von vornherein mit minimalsten Mitteln zum einmaligen Gebrauch gemacht - der Aufwand für einen regelmäßigen Auf- und Abbau führt schnell zur Vervielfachung der Kosten. Daher muss die Lösung für die Mobilität einer mobilen Kirche weit oben auf der Prioritätenliste der Entwickler stehen.

Erkennbarkeit: Welcher Ikonographie soll eine mobile Kirche folgen? Wie gut ist eine mobile Kirche im Stadtraum als kirchliches Angebot erkennbar? Oder soll sie nur als besonderes temporäres Angebot, aber nicht schon sofort als kirchliches erkannt werden? Wie werden die modernen Stadtbewohner auf solche Eindeutigkeit oder Vieldeutigkeit reagieren?

Spätestens mit dieser Frage gelangt man zu einem Perspektivwechsel: Es ist klar, dass mobile kirchliche Räume baulich möglich, teilweise erprobt und eine gangbare Möglichkeit des Auftretens von Kirche in der säkularen Öffentlichkeit sind. Die bauliche Ausformung muss aber basieren auf einer konzeptionellen Diskussion und Entscheidung über die Angebote, die in mobilen Kirchen präsentiert werden. Die Frage, ob und wie mobile Kirchen mit einem lebendigen kirchlichen Angebot gefüllt sein können, und ob darin eine substantielle Ausweitung oder gar Verschiebung kirchlicher Arbeit gelingen kann, müssen die Kirchen zuvor für sich beantworten.

Ein Architekt kann dazu nur einige Hinweise gehen. Ausgangspunkt dieses Textes ist der Stadtbürger, der zugleich persönlich ungebunden und gesellschaftlich eingebunden sein will in die Stadt. Mobile kirchliche Angebote an wechselnden öffentlichen Orten würden dem Wunsch nach Ungebundenheit, nach Neuigkeit, Überraschung und Anregung entgegen kommen. Ob es sich dabei um eher aktivierende oder eher reflexive Angebote handelt, muss gar nicht entschieden werden. In mobilen Kirchen sollten tatsächlich offene Angebote formuliert werden, die nur einmalige, stundenweise Bindung an diesen Ort und diese Gemeinde fordern. So würden mobile Kirchen zu temporären mikroskopischen Zentren christlicher Lebenskultur gut sichtbar in der Stadt. Dem Wunsch der Stadtbürger nach Wandel und Anregung könnten mobile Kirchen in Erscheinung und Nutzung ideal entsprechen.

Aber: Mobile Kirchen werden die ortsfesten, alten Kirchengebäude mit ihrer sakralen Aura und Jahrhunderte alten Geschichte nicht ersetzen. Der Wunsch gerade auch von kirchenfernen Stadtbürgern nach Einbindung, nach Zugehörigkeit tritt immer wieder neben den nach Ungebundenheit. Es ist der Wunsch nach verlässlicher Permanenz in einer sich rasant wandelnden Umwelt. Die alten Kirchengebäude, und auch die Synagogen, die Moscheen und die Tempel, stehen für die Permanenz von Werten, für mögliche dauerhafte Bindung von Menschen in Gemeinden und die mögliche Bindung von Menschen an Gott. Das sinnlich wahrnehmbar zu machen ist die Stärke der alten Bauten.

Weitere Informationen

Kerstin Gothe (Hrsg): Vom Sakralen zum Banalen? Heilige Räume im Wandel. Evang.Akademie Baden, Karlsruhe 2011

Thomas Erne (Hrsg): kbi 01 - Mobile Kirchen. EKD-Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, Marburg 2010

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Hartmut Ayrle

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