Konzentration und Kontemplation

Die evangelische Architektin Gesine Weinmiller baut in Aachen eine Kirche
Foto: dpa/ Weinmiller-Architekten
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Zwei Gemeinden fusionieren und wollen künftig in einer neuen gemeinsamen Kirche Gottesdienst feiern. Ein Architektenwettbewerb wird ausgeschrieben. Gesine Weinmiller gewinnt mit einem zeitgenössischen Entwurf, der aber überraschend viele Elemente traditioneller Sakralbauten übernimmt und neu interpretiert. Stephan Kosch hat die Architektin getroffen.

Eine neue Kirche zu bauen, das ist für jeden Architekten und jede Architektin eine besonders reizvolle Aufgabe. Zumal dann, wenn die Architektin nicht nur renommiert, sondern auch noch an exponierter Stelle kirchlich engagiert ist. Gesine Weinmiller, Mitglied des EKD-Rates, hat unter anderem das Bundesarbeitsgericht in Erfurt neu- und den Amtssitz des Bundestagspräsidenten umgebaut. Ihre Entwürfe für das Holocaust-Denkmal oder den Reichstag in Berlin wurden hochgelobt und ausgezeichnet, zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser tragen ihre Handschrift, zuletzt hat sie sogar ein Gefängnis gebaut. Und nun eine Kirche, eine evangelische, die gemeinsam mit dem angeschlossenen Gemeindezentrum zwei fusionierten Gemeinden in Aachen einen neuen baulichen Mittelpunkt geben soll. Wie sieht er aus, ihr Entwurf für eine Kirche des 21. Jahrhunderts?

In gewisser Weise sehr traditionell. Nahezu alle Elemente, die in Kirchen der vergangenen Jahrhunderte zu finden sind, tauchen wieder auf: Seitenschiffe, Apsis, Obergaden. Allerdings: "Wir haben diese Elemente in Licht übersetzt", beschreibt Weinmiller die gestalterische Idee. Durch Fenster und Lichtschächte an der Seite fällt das Tageslicht in den Raum, unterstützt durch künstliche Beleuchtung soll das eine sich immer wieder verändernde Stimmung ergeben. Auch der Altarraum - traditionell an der Kopfseite des Raums - wird geprägt durch eine beleuchtete, leicht zurückversetzte Wand, der Eindruck von unendlicher Tiefe entsteht. Was steht noch in der Kirche? Alles, was sonst auch zu finden ist: ein Taufstein, ein Altar, ein Ambo für Lesung und Predigt. Hinzu kommen Stuhlreihen und ein Raum für all die Dinge, die nur zeitweise benutzt werden und zwischendurch ihren Platz haben müssen. Denn die "Vermüllung" der Kirchen sei in vielen Gemeinden ein großes Problem. Und natürlich ein Kreuz, das unverzichtbar sei für eine Kirche, meint Weinmiller. "Wenn man nicht mehr aussprechen kann, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, kann man es auch gleich bleiben lassen." Denn "lustige Räume" würden heutzutage zur Genüge gebaut, man dürfe einfach nicht vergessen, dass es auch Anderes gibt. Kirchen können Orte sein, daran zu erinnern.

Der Kirchraum ist für 120 Besucher konzipiert, angrenzende Räume sind zuschaltbar, so dass bis zu 400 Menschen Platz finden können. Aber, das ist Weinmiller wichtig, der Raum ist kein Mehrzweckraum, sondern eine echte Kirche mit all ihrer sakralen Atmosphäre. Und das bedeutet für die Architektin: Er soll zur Ruhe und Stille einladen, zur Konzentration und Kontemplation. "Ein Ausnahmezustand für die Wahrnehmung" in einer Zeit, in der öffentlich zugängliche Räume meist dem Kommerz gewidmet sind und aus allen Ecken ein Reizgewitter auf den Besucher einströmt.

Ein Schutzraum also, von außen mit beigen Ziegeln und natürlich mit einem Turm bestückt, erinnert er ein wenig an ein Kloster. Rund um den Innenhof mit Ginkgo-Baum, der zum zentralen Begegnungsort der Gemeinde werden könnte, zieht sich dann auch entsprechend eine moderne Variante des Kreuzgangs, über den die Gemeinderäume erschlossen werden.

Klare Konturen, klare Kante

Alles in allem wohl ein konzentrierter und entschiedener Bau, wie er dem Stil der Architektin zu entsprechen scheint - und auch zu der Protestantin Gesine Weinmiller passt. Die Eltern hatten mit Kirche nicht viel zu tun, der Glaube war eine Sache der Entscheidung während des Konfirmationsunterrichtes, und dabei ist es geblieben. Klare Kontur, klare Kante - bis heute. Verspielte Ornamentik in den Bauten passt dazu nicht, es geht um die Konzentration auf das Wesentliche, aber auch um den Freiraum, den eine solche Architektur ihren Nutzern bietet. Es ist stimmig, dass Weinmiller angetan ist von den Kirchen des Schweizer Architekten Peter Zumthor, der sehr puristisch auf die Wirkung des von ihm verwendeten Baumaterials setzt, aber auch von dem Briten John Pawson, der aus der barocken Moritzkirche in Augsburg einen weißen Tempel der Reduktion gemacht hat. Vielfalt und Farbe sollen die Besucher in den Aachener Bau bringen, sagt Weinmiller, denn "eine Kirche ist nur gut, wenn sie gut gefüllt ist und geliebt wird". Es ist zu hoffen, dass das in Aachen gelingt, eine ausgemachte Sache ist das noch nicht. In der Stadt wird über den Neubau diskutiert. Schon allein deswegen, weil das Grundstück, das die Kirche für diesen Bau erworben hat, erst vor kurzem zum Teil renaturiert wurde und zum Beispiel für die Grünen im Stadtparlament eine wichtige ökologische Fläche darstellt.

Aber auch der Bau selbst dürfte für so manches Gemeindemitglied eine Herausforderung darstellen. Zwar war das Urteil der Jury, die sich für den anonym eingereichten Entwurf entschied, eindeutig. Sie lobte die "eindeutige, einprägsame Zeichenhaftigkeit des Gebäudes" ebenso wie das "stabile, tragfähige Konzept von außerordentlich hoher Qualität", wies aber auch darauf hin, dass im Preisgericht "die konsequente Strenge des Sakralraums kontrovers diskutiert" wurde. Immerhin geht es ja darum, dass aus zwei Gemeinden eine werden soll. Der eine Teil war bisher in einem Bau aus den Sechzigerjahren beheimatet, der andere in einem "Arche" genannten Holzbau aus den Neunzigern. Somit sind die künftigen Besucher eine ganz andere Ästhetik gewohnt.

Beide Gebäude werden nun verkauft, die Erlöse sollen in den mit 2,5 Millionen Euro veranschlagten Neubau fließen. Nach einem ähnlichen Modell haben im vergangen Jahr zwei fusionierte Kölner Gemeinden die neue Immanuelkirche gebaut, eine Holzkirche der Architekten Sauerbruch und Hutton aus Berlin. "Man kann sich von Gebäuden trennen, die baulich keinen besonderen Wert darstellen", sagt Weinmiller, die aber weiß, dass sie noch Diskussionen in der Gemeinde führen muss.

Wichtig sind gute Ratgeber

Denn es ist ja so, dass in der evangelischen Kirche in der Regel Laien die Bauherren sind. Das ist für Architekten mitunter schwerer zu handhaben als in der katholischen Kirche mit ihren strengeren Hierachien. Letztere sorgen für kürzere Entscheidungswege, bei allen möglichen Exzessen, von denen etwa das Beispiel Limburg zeugt. Doch die Struktur in evangelischen Kirchen ist nicht zu ändern, das weiß auch Gesine Weinmiller. Sie rät den evangelischen Gemeinden und Institutionen aber, sich möglichst früh "gute Ratgeber" zu holen, damit die Bauprojekte für alle Seiten erfolgreich enden.

Ende 2014 soll der Spatenstich erfolgen, eineinhalb Jahre später könnte die erste komplett neugebaute Kirche der Architektin stehen. Diese ist aber nicht Weinmillers erstes Kirchenbauprojekt. Sie hat bereits Pläne für den Umbau einer Kirche in Moers und in Berlin entwickelt, auch ein Konzept für die Schlosskirche in Wittenberg - bislang blieben diese Pläne aber unrealisiert. Umgesetzt wurde hingegen ein neues Farbkonzept für die Gefängniskapelle in der JVA Plötzensee. Statt schlammfarben ist die Decke nun in verschiedenen Blautönen gestrichen, wenn man so will, ein minimalinvasiver Eingriff mit großer Wirkung, der Weinmiller noch immer begeistert: "Es war gar nicht viel nötig, aber auf einmal begann der Raum zu schweben."

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Stephan Kosch

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