Mit Patina und Partizipation

Wie beim Umbau einer Kirche die Gemeinde beteiligt werden kann
Dorfkirche in Kloppenheim. Foto: D4
Dorfkirche in Kloppenheim. Foto: D4
Der Umbau einer Kirche darf nicht allein zwischen Architekten und den Hauptamtlichen in der Kirchengemeinde verhandelt werden. Damit der neue Raum angenommen wird, muss auch die Gemeinde selbst beteiligt werden, meint der Theologe Marcus Nitschke, Mitbegründer des auf Sakralbauten spezialisierten Architekturbüros "D:4" .

Der Glaube ist zur Privatsache geworden. In pluralistischen Gesellschaften, die in der Soziologie als "postsäkular" oder "neu-religiös" beschrieben werden, ist eine zunehmende Individualisierung der Religion zu beobachten. Ein großer Teil der Bevölkerung ist nicht mehr kirchlich gebunden. Der sonntägliche Kirchgang nimmt kontinuierlich ab.

Für die Kirchen - evangelische wie katholische -, die sich in ihren theologischen Grundlagentexten noch immer als missionarisch und stetig wachsend verstehen, ist dies eine wenig reflektierte Krisensituation. Dieser wird oft mit einem gewissen Trotz zu begegnen versucht, indem man das Rad der Geschichte anhält und weiter auf große Räume setzt, die auf den agendarischen Gottesdienst ausgerichtet sind.

Auch in der Architektenschaft wird die Aufgabenstellung wenig hinterfragt. In der Realität gelten Sakralbauten vielen Architekten als scheinbar ortlose Solitäre, die ähnlich wie eine begehbare Skulptur funktionieren, Enklaven einer Religiosität, die kaum noch präsent ist. Im Vordergrund stehen "kontemplative" Qualitäten der Räume oder atmosphärische Themen. Doch bei allem Respekt für persönliche Bedürfnisse nach Stille und Kontemplation: wie oft sucht man dafür eine Kirche auf? Wer in Kirchen unterwegs ist, wird nur selten dem einzelnen Sinnsucher begegnen.

Bei der vorzufindenden Vielzahl konfessioneller Ausprägungen und religiöser Milieus sollte jedoch in gleichem Maße von den Planern gefragt werden, in welchem Kontext das Gebäude überhaupt wahrgenommen und genutzt wird. Dies gilt für Neubauten ebenso wie für vorhandene Kirchengebäude, deren Bewahrung und Anpassung für heutige Anforderungen ein immer bedeutender werdendes Aufgabenfeld darstellt.

Bei der Erstellung des Pflichtenhefts für einen Kirchenbau ist an vorderer Stelle nach dem Zusammenspiel von benachbarten Kirchenräumen, Kooperationen mit kommunalen und freien Trägern und dem daraus resultierenden spezifischen Nutzungsprofil zu fragen. Die herkömmlichen, durch klar umgrenzte Gemeindebezirke gekennzeichneten Strukturen werden überlagert von Spezial- und Symbolkirchen, die auf das differenzierte soziologische Umfeld und das geänderte Bild der Stadt reagieren.

Neue Beweglichkeit

Die Informationsflüsse durch die digitalen Medien sind zudem mit einer neuen Beweglichkeit gekoppelt, bei der die Bindung an eine Ortsgemeinde und das Argument der Wohnortnähe allenfalls noch eine marginale Rolle spielen. Wenn man auf Gleichgesinnte treffen kann, werden dafür auch längere Wege in Kauf genommen. In der größeren Öffentlichkeit werden die Kirchen ohnehin hauptsächlich über ihre herausgehobenen Repräsentanten und einige - wenige - zentrale Bauten (diese oft auch nur von außen) oder übergemeindlich ausstrahlende karitative und musikalische Angebote wahrgenommen.

Ebenso starke Auswirkungen auf die sakralen Räume hat der sinkende Gottesdienstbesuch. Wenn nur noch rund 3,5 Prozent der evangelischen Christen in Deutschland in eine der rund 24.000 Kirchen gehen, sind dies nur noch im Schnitt 35 Besucher je Gottesdienst. Zum Vergleich: in römisch-katholisch geprägten Ländern wie Polen oder Italien gehen noch über 60 Prozent in den Gottesdienst - mit entsprechend großem Sitzplatzbedarf. Für die Beurteilung der architektonischen Qualitäten eines Sakralbaus ist dies ein nicht zu unterschätzendes Kriterium. Anders formuliert: nicht der leere Raum zählt, sondern der tatsächlich benötigte und genutzte.

Noch in den späten 1960er Jahren hatten sich aus diesem Grund "Mehrzweckräume" durchgesetzt, die Kirche und Gemeindehaus unter einem Dach vereinen. Sie boten den Vorteil, dass der Versammlungsraum der Gemeinde nicht allein für die gottesdienstliche Nutzung vorgehalten werden musste Viele dieser flexiblen und auf aktive Beteiligung angelegten Strukturen haben sich allerdings in der Praxis nicht bewährt. Die Vorgabe, verschiedene Funktionen gleichberechtigt in einem Raum unterzubringen, um damit die hierarchische Unterscheidung zwischen Sakralem und Profanem aufzuheben, hat in den meisten Gemeindezentren zu unbefriedigenden Raumsituationen geführt. In Folge dieser Entwicklung fordern die meisten kirchlichen Bauherren heute wieder Entwürfe, in denen der sakrale Bereich als monofunktionaler Raum ganz auf den Gottesdienst der Gemeinde ausgerichtet ist.

Architektur und Theologie sind unter diesen Bedingungen, wie es scheint, bei der konkreten Umsetzung zur Zeit keine Dialogpartner, die eine gemeinsame Sprache finden. In den Kirchen herrscht eine merkwürdige Raumvergessenheit, während die Architektur auf innovative Konstruktionen und Materialien setzt, dabei aber einem konservativen Raumverständnis verhaftet ist. Zahlreiche aktuelle Entwürfe erscheinen folgerichtig als Wiedergänger von Kirchen der 1920er oder 1960er Jahre, jetzt ausgerüstet mit zeitgemäßer Haustechnik und mit Ausführungsqualitäten, die in früheren (Nachkriegs-)Zeiten nicht möglich waren. Das diesen Idealbildern innewohnende theatralische Element (was in Fachkreisen unter dem Stichwort "performative Ästhetik" diskutiert wird) macht den Kirchenraum zur Bühne. Das kommt einigen medienaffinen Kirchenoberen zwar entgegen, führt aber zu Konzepten, die für einen Bischofssitz oder einen Dom mit touristischem Betrieb vielleicht angemessen sind, die meisten Gemeinden jedoch zu Darstellern eines liturgischen Geschehens machen, das keine innerliche Entsprechung findet.

An weitgreifenden Gestaltungs- und Nutzungsideen für wenig besuchte Kirchengebäude mangelt es in der Regel nicht. Doch so sehr es auch Freude macht, solche Visionen zu entwickeln: für die vielen Kirchen, die zwar nominell noch in Verwendung sind, in vielen Fällen aber längst ihr bautechnisches Haltbarkeitsdatum überschritten haben und von den Gemeinden nur noch notdürftig - auf niedrigstem Niveau - instand gehalten werden können, ist der Nutzwert solcher Ideen begrenzt, schon aus finanziellen Gründen. Die Sanierung und gegebenenfalls auch der Umbau einer Kirche kosten schnell mehrere Millionen Euro, mit denen dann noch nicht die finanzielle Basis für den späteren Unterhalt geschaffen ist.

Prinzip Hoffnung

Nur die wenigsten Kirchengemeinden kommen daher in die luxuriöse Situation, die Option eines tiefgreifenden Umbaus ernsthaft zu diskutieren oder umsetzen zu können. Es regiert daher das Prinzip Hoffnung. Hoffnung auf neue Einnahmequellen, aber auch auf innovative architektonische Ansätze, die Themen wie Denkmalwert, Nachhaltigkeit oder Bescheidenheit neu deklinieren.

Wo die Hoffnung stirbt, wird irgendwann auch über einen Verkauf nachgedacht. Doch für die kirchlichen Eigentümer ist dabei zu bedenken, dass nicht nur sie leerstehende Gebäude besitzen, sondern auch Kommunen, Bahngesellschaften, Kraftwerksbetreiber, Industriefirmen und viele andere mehr. Im Unterschied zur Kirche haben diese "Anbieter" für potentielle Interessenten den Vorteil, dass man wesentlich schneller zum Abschluss eines Kauf- oder Pachtvertrages kommen kann, während bei einer Kirchengemeinde schnell mehrere Jahre einzuplanen sind, bis sich alle kirchlichen Instanzen und Aufsichtsbehörden abschließend geäußert haben.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: im Unterschied zu vielen anderen Gebäuden sind - und bleiben - sakrale Bauten Kommunikationsorte, und zwar nicht nur im rein funktionalen Sinn, dass in ihnen das Wort Gottes verkündet wird. Auch außerhalb der gottesdienstlichen Zeit "sprechen" Räume durch ihr Inneres ebenso wie durch ihre äußere Gestalt und städtebauliche Präsenz. Daran ändert sich auch durch eine Entwidmung nur wenig; eher löst es Befremden aus, wenn der Fall eingetreten ist, dass ein vermeintlicher Kirchenbau für profane Zwecke genutzt wird, dies aber von außen nicht erkennbar ist.

Im Aufgabenfeld der Architektur sind also dicke Bretter zu bohren. Nutzungsprofile und Raumbücher sind ebenso notwendig wie die eingehende Auseinandersetzung mit Selbstbildern und Außenwahrnehmungen der zumeist ehrenamtlich organisierten Bauherren. Daraus ergeben sich oftmals überraschend kreative Antworten, bei allen Beteiligten. Und das sind nicht nur die Hauptamtlichen, sondern eben auch die, die das Gebäude nutzen und sich mit ihm identifizieren, Gemeindeferne ebenso wie die gelegentlichen und regelmäßigen Besucher.

In der heutigen Entwurfspraxis spielen solche Fragen eine eher untergeordnete Rolle. Ein Stararchitekt für einen ambitionierten Kirchenbau ist schnell engagiert. Bei näherer Betrachtung erscheint manche architektonische Kostbarkeit aber als unbehauster Ort, an dem sich trotz intensiver Bemühungen kein Gemeindeleben kristallisieren will. Das Gebäude allein oder eine bestimmte Architektursprache ist keine Garantie, dass dies gelingt.

Kleine Nebenwege

Das Vokabular anderer Zweck- und Funktionsbauten, vielleicht auch deren Hang zum "Drama", wie es der Pritzkerpreisträger Wang Shu kürzlich formulierte, ist nur bedingt auf das sakrale Bauen unserer Zeit übertragbar. Vielleicht muss es nicht immer die große Geste des sakralen Sehnsuchtsraums sein. Architektonische Impulsgeber sind eher die kleinen Nebenwege des Alltags, wie die neuen Gestalten des Pilgerns, Innehaltens und Gedenkens oder schlicht ein unverstellter Blick auf die Phänomene von Raum und Religion im Alltag der ortlosen Erlebnisgesellschaft.

Auch Gebäude, in denen sich ein innerer Kern der Gemeinde über Jahrzehnte wohnlich eingerichtet hat, haben nicht unbedingt eine Ausstrahlung, die jene anspricht, die neu für die Gemeinde gewonnen werden sollen. Viele Kirchen und Gemeindehäuser sind nicht barrierefrei, schlecht beleuchtet, mit überflüssigen Gegenständen zugestellt, dabei schon lange sanierungsbedürftig, nicht wärmegedämmt und mit veralteter Haustechnik ausgestattet.

Nicht alle dieser Punkte werden sich im Rahmen einer Sanierung lösen lassen. Doch anhand eines (typischen) Beispiels von Renovierungsmaßnahmen in der kleinen Dorfkirche von Kloppenheim, vor einigen Jahrzehnten nach Wiesbaden eingemeindet, wird deutlich, welche Möglichkeiten es zur erweiterten und zeitgemäßen Nutzung eines vorhandenen Kirchenraums gibt.

Der Kirchenraum in Kloppenheim ist maßgeblich durch seine barocke, hölzerne Ausstattung geprägt. Er lebt durch differenzierte Grautöne - so war es das vorrangige Ziel, die historische Farbigkeit hervorzuheben und zu unterstützen, nicht mit neuen Akzenten in den Hintergrund zu drängen. Weiteres Ziel war, die beengte Raumsituation im Chorraum zu verbessern. Die Chorstufen wurden vorgezogen, Gemeinde und Chor zusammengerückt. Die neuen liturgischen Elemente wurden auf kleinstmöglicher Grundfläche dimensioniert und mobil angelegt, um den Chorraum für ein breiteres Spektrum an Veranstaltungen nutzbar zu machen. Darauf aufbauend wurde ein neues Lichtkonzept entwickelt.

Ein zentrales Anliegen der Konzeption war, die im Rahmen der Sanierung sichtbar gewordenen zeitlichen Spuren als eine Darstellung der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart in den neuen Elementen sichtbar werden zu lassen. Da neu eingebrachte Materialien als Fremdkörper gewirkt hätten, entstand die Idee, natürlich gealtertes Holz in den dafür charakteristischen Grau- und Silbertönen zu finden. Die Patina schafft eine sichtbare Verbindung in der Zeit - von der Vergangenheit zur Gegenwart. In einem partizipatorischen Prozess wurde mit der Gemeinde erarbeitet, dass ausschließlich durch Sonne, Wind, Regen, Hitze und Kälte gezeichnetes Holz verwendet werden sollte, welches bereits oder immer noch im Ort eine Funktion erfüllte. In einer auf mehrere Wochen angelegten Sammelaktion suchten die Gemeindeglieder die Zutaten für die neue Bestimmung der Hölzer.

Neu zusammengefügt

Bestandteile, die früher individuellen Bedürfnissen dienten, wurden für das gemeinsame Projekt neu zusammengefügt. So wurde ein 200 Jahre alter Eichenbalken, nach seinem Einsatz in einem Tragwerk, viele Jahre in einer örtlichen Garage gelagert, bis er gespendet wurde. Teile, die in der Vergangenheit als Balustrade im Chorraum gedient hatten, ausgebaut und lange in einer Scheune eingelagert waren, fanden den Weg zurück in die Kirche. Weitere Holzspenden kamen hinzu.

Basis des Gestaltungskonzepts war eine sorgfältige Raumanalyse, die in mehreren Workshops mit der Gemeinde ausgewertet und in einen Entwurf umgesetzt wurde. Dabei gab es auch überraschende Ergebnisse wie den "Stehsitz" auf der Empore, der auch von oben die Sicht auf den Altar ermöglicht oder die "Lichtinseln", die den Raum gliedern und auch bei wenigen Besuchern das gemeindliche Geschehen konzentrieren und atmosphärisch stützen.

Gleiches gilt für die technische Ausstattung der Kirche, die Beleuchtung und Regeltechnik und die Schaffung von ausreichenden Stauräumen für die Materialien, die für Gottesdienste, Konzerte, Vortragsveranstaltungen und unterschiedlichste Andachten und Gemeindeversammlungen benötigt werden.

Nach fünf Jahren Bauzeit hat die Gemeinde ihren Raum neu gefunden und für unsere Generation seine Geschichte weitererzählt. Für uns als Begleiter und Architekten war es wichtig, ihn so zu gestalten, dass er denkmalgerecht erhalten bleibt und an nächste Generationen weitergegeben werden kann, die ihn wiederum auf ihre Weise gestalten werden.

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Marcus Nitschke

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