Tor der Nimmerwiederkehr

In Burgen an Afrikas Küsten warteten entführte Afrikaner auf den Tod oder die Verschiffung
Europäische Festung an afrikanischer Küste: Blick in den Innenhof. Foto: Martin Rothe
Europäische Festung an afrikanischer Küste: Blick in den Innenhof. Foto: Martin Rothe
Cape Coast Castle in Ghana ist eine der bekanntesten Sklavenburgen der Welt. Zur Zeit der europäischen Kolonialherren war der Hafenort ein Zwischenlager für entführte Afrikaner, die für die Plantagenarbeit über den Atlantik verschleppt werden sollten. Der Journalist und Theologe Martin Rothe war in den Kellerverliesen und hat gesehen, warum ein Großteil der Versklavten die menschenunwürdige Haft nicht überlebt hat.

Die Entführer hatten es auf die Gesunden und Tatkräftigen abgesehen. Regelmäßig drangen sie ins Innere Westafrikas vor, brachen Kriege vom Zaun und rissen unzählige Männer und Frauen für immer aus ihren Familien und Dörfern. Die Gefangenen wurden mit schweren Ketten aneinander gefesselt und hunderte Kilometer durch den Busch bis an die Küste deportiert. Kurz vor dem Ziel durften sie sich ein letztes Mal in einem Fluss waschen - für die nächsten Monate hatten sie keine Gelegenheit mehr dazu. Angekommen am Ozean, erblickten sie die riesigen Steinburgen der Fremdherrscher. Man führte sie hinter deren wuchtige Mauern und warf sie in stockdunkle Kellerverliese. Zum Beispiel in Cape Coast.

Blauer Himmel, weiße Burg

Wer heute diesen Ort im Süden Ghanas besucht, erlebt ein idyllisches Hafenstädtchen: Am Strand werden Fischerboote entladen, Netze geflickt. Kinder springen durch die Brandung des Atlantiks. Darüber wölbt sich ein tiefblauer Himmel. Alles wie schon vor Jahrhunderten. Und mittendrin die weißen Mauern einer europäischen Festung: Cape Coast Castle, eine der bekanntesten "Sklavenburgen" der Welt.

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Schwere Kanonen schützten gegen die koloniale Konkurrenz.

Betritt man die Festung, beschleicht einen Beklommenheit angesichts der Kontraste, die hier zu erleben sind: Der lebendige Hafentrubel weicht steinerner Stille. Oben auf dem Burghof und im Gouverneurspalast das gleißende Licht der Äquatorsonne, eine frische Brise und ein weiter Blick über den Ozean. Unten in den Kerkern tiefschwarze Finsternis, muffig-schwüle Feuchtigkeit und Enge. Was hier geschah, ist kaum noch zu sehen, aber sehr wohl zu spüren. Hier litten und starben hunderttausende Menschen. Die Verliese von Cape Coast waren für die Kolonialherren - erst die Portugiesen, dann die Briten - ein Zwischenlager für afrikanische Sklaven, die später auf den Plantagen Amerikas schuften sollten. Durchschnittlich siebenhundert bis tausend Menschen sollen hier geschmachtet haben.

Hinab in den Keller

Burgführer Morgan Mensah steigt mit einer Gruppe deutscher Besucher hinab in den Kerker. Er führt sie durch labyrinthische Gänge - einer finsterer als der andere - bis zu einem Raum, in den nur durch drei winzige Löcher von oben ein matter Lichtschein dringt: das Verlies für die männlichen Sklaven, vielleicht zwanzig oder dreißig Quadratmeter groß. "Ungefähr 150 Gefangene waren in diesem Raum untergebracht", erzählt Morgan Mensah. Nackt und in beklemmender Enge mussten sie hier bis zu drei Monate lang vegetieren. Es gab Strohmatten, außerdem Nischen an der Wand für den Stuhlgang. Der Pinkelkanal durch die Raummitte ist noch zu sehen. "Der Lehmboden, auf dem Sie stehen", sagt Mensah, "entstand aus dem Kot der Gefangenen, die hier Todesangst litten".

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Bis auf den letzten Zentimeter: Belegung eines Sklavenschiffs.

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Entführte Afrikaner auf dem Marsch in die Sklavenburg.

Diejenigen, die den Kerker überlebten, wurden nochmals einer Auslese unterzogen, mit einem glühendem Eisen gebrandmarkt wie Vieh und dann durch das hüfthohe "Tor der Nimmerwiederkehr" (The Door of No Return) aus der Burg hinaus auf die Schiffe der Weißen verfrachtet. In deren Laderäumen wie Waren dicht an dicht gepresst, traten sie die zweimonatige Seereise nach Amerika an. Mindestens jeder Zehnte von ihnen, manchmal jeder Zweite, überlebte den Transport nicht.

Goldküste gesichert

Begonnen hatte alles 1471, wenige Kilometer westlich von Cape Coast, in Elmina. Cineasten kennen die Burg von Elmina als das Sklavenfort in Werner Herzogs Film "Cobra Verde" - mit Klaus Kinski in der Rolle eines brutalen Sklavenhändlers. Elmina war der erste Ort, den die Europäer im heutigen Ghana erreichten. Auf der Suche nach den begehrten Spezereien Indiens hatten sich die Portugiesen an der Westküste Afrikas entlang bis hierher vorgetastet. Bald entdeckten sie die Goldvorkommen Ghanas. Fasziniert nannten sie das Land "Goldmine" - später "Goldküste" - und traten in einen schwungvollen Handel mit den Einheimischen, denen sie im Tausch für das begehrte Metall Branntwein und Perlenketten anboten. Es dauerte nicht lange, da wurden aus den Entdeckern Eroberer: Die Portugiesen begannen, ihre Handelsstützpunkte entlang der "Goldmine" militärisch zu sichern, und zwangen die Einheimischen zur Fronarbeit.

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Kerker in Elmina.

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Im Kerkergang der Burg.

Bereits 1494 hatten Portugal und Spanien die neu entdeckten Gebiete der Welt unter sich aufgeteilt. Doch je mehr sich die riesigen Gewinnspannen der Iberer herumsprachen, desto weniger mochten dies die anderen Mächte Europas, zumal die protestantischen Länder, hinnehmen. Um 1600 gründeten die Niederländer und Engländer ihre Ostindien-Kompanien. Um Asien zu erreichen und sich ihren Anteil an den Schätzen Afrikas zu sichern, entrissen sie den Portugiesen Land und Handelsstützpunkte an der Goldküste. Elmina wurde holländisch, Cape Coast britisch.

Die "Ware" Mensch

Angesichts dieser beinharten Konkurrenz war es nötig, die Handelsposten an der Küste mit dicken Mauern zu sichern und mit Kanonen zu bewehren, die feindliche Schiffe fernhalten konnten. Schon längst ging es nun nicht mehr nur um Gold oder Gewürze. Für ihre Plantagen in Amerika benötigten Portugiesen und Holländer mehr und mehr Arbeitskräfte. Afrikaner galten ihnen als robust. Bald zogen auch die Briten nach; ab 1650 überflügelten sie die Konkurrenz und etablierten den berüchtigten transatlantischen Dreieckshandel. Der Umschlagplatz für die "Ware" Mensch wurden die neuen Burgen am Strand Westafrikas.

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Burgführer Mensah zeigt Besuchern das Grab eines britischen Gouverneurs.

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Ghanaische Schulkinder besichtigen die Burg.

Nach heutigen Schätzungen verschleppten die Europäer im Zeitraum zwischen 1519 und 1867 etwa elf bis fünfzehn Millionen Afrikaner über den Atlantik. Diese Zahl umfasst allerdings nur diejenigen Menschen, die ihren Bestimmungsort in Amerika erreichten. "Ohne Übertreibung darf man für jeden einzelnen von ihnen fünf weitere rechnen, die entweder schon vor dem Abtransport getötet wurden oder unterwegs durch die grausame Behandlung starben", meint der ghanaisch-deutsche Journalist Jojo Cobbinah. Demnach seien etwa sechzig Millionen Afrikaner Opfer des Menschenhandels geworden. Eines jedenfalls ist sicher: Für Jahrhunderte blieb Westafrika ausgeblutet und gedemütigt zurück.

Der deutsche Fürst

Als der imperiale Wettlauf um Gold und Sklaven in diesem Teil der Welt schon fast beendet war, wollte auch ein deutscher Fürst seinen "Platz an der Sonne" erringen. Zwei Jahrhunderte vor den Kolonialexperimenten seiner kaiserlichen Nachkommen entsandte der Kurfürst von Brandenburg 1682 eine kleine Flotte, die ihm an Ghanas Küste einen Stützpunkt erbaute: die Groß-Friedrichsburg. Sie war ein Handelsposten der "Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie". Zwar zog schon 1717 der Nachfolger des Kurfürsten seine Mannen wieder ab. Dennoch wurden in diesen wenigen Jahrzehnten 17.000 Afrikaner - Cobbinah spricht von 30.000 - von Groß-Friedrichsburg aus nach Amerika deportiert

Foto: Martin Rothe
Foto: Martin Rothe

Vor der Burg arbeiten Fischer im Hafen.

Einige erhaltene Teile der Burg können heute im Küstenort Princes Town besichtigt werden. Dort gebe es relativ viele Besucher aus Deutschland, "weil viele Deutsche unbedingt eine deutsche Sklavenburg sehen wollen", berichtet Jojo Cobbinah. "Die Einheimischen sind dennoch sehr freundlich gegenüber Deutschen. Sie möchten mit Deutschland wieder Kontakt aufnehmen. Touristen sind willkommen, sie sollen etwas Geld dalassen."

Obamas Ahnen

Groß-Friedrichsburg, Elmina, Cape Coast und andere Sklavenburgen an Westafrikas Küste gehören inzwischen zum UNESCO-Welterbe. Nirgends ist deren Konzentration so dicht wie in Ghana. Von den rund fünfzig Burgen hier ist ein Drittel noch sehr gut erhalten. In Cape Coast Castle können Besucher der Verliese auch ein Museum zur Geschichte der Sklaverei besichtigen. Schulklassen aus Ghana kommen, und Touristen aus der westlichen Welt, vor allem Afroamerikaner aus den USA. An die äußere, dem Meer zugewandte Front des früheren "Tor der Nimmerwiederkehr" wurde ein neues Schild genagelt: "Door of Return". 2009 hat auch US-Präsident Obama mit Familie Cape Coast einen Besuch abgestattet. "Die Vorfahren seiner Frau Michelle stammen aus Ghana", sagt Morgan Mensah, der Burgführer.

Text und Fotos: Martin Rothe

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung