Zukunft Diakonat

Auf dem Weg in die Zukunft
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Der Entwurf für eine aufbrechende Kirche, der nicht vermessen daherkommt, besserwisserisch und Theorieüberfrachtet von oben herab.

Die einstige Vorsteherin der Kaiserswerther Schwesternschaft und heutige EKD-Oberkirchenrätin für Gesellschafts- und Sozialpolitik Cornelia Coenen-Marx reflektiert in ihrer gut 200 Seiten starken kenntnisreichen Publikation den Veränderungsprozess von Diakonie, Gesellschaft und Kirche. Sie beschreibt diesen Prozess, weil es für sie um die Zukunft des "Diakonat[s] der Kirche" geht. Eine diakonische Kirche stellt für sie die "Seele des Sozialen" in der Gesellschaft dar und fördert deren "sozialen Zusammenhalt". Kirchengemeinden und Diakonische Einrichtungen dürften sich heute weder als Dienstleister am Markt noch als milieuverengte Vereine verstehen. Vielmehr sollten sie sich, wie einst die Diakonissen, den gesellschaftlichen Herausforderungen stellen und als "Gemeinschaft im Dienst für den Nächsten" verstehen.

Immer wieder lässt die Autorin in ihre Beobachtungen zur Ökonomisierung der Pflegebranche, der gesellschaftlichen Spaltung, wie in ihre Gedanken zur Neugestaltung der Subsidiarität und in ihr leidenschaftliches Plädoyer für eine Gemeinwesen-orientierte diakonische Kirche ihre persönlichen Erfahrungen einfließen. Das ist sympathisch. Sie verbirgt nicht ihr "Ich", sondern verknüpft Subjektives mit wissenschaftlicher Expertise.

Kurz skizzierte anschauliche Beispiele von Initiativen, Aufbrüchen und Projekten aus dem Bundesgebiet, aus europäischen und außereuropäischen Kontexten sind für die Autorin jene Impulse, die sie begeistert und als Inspiration weitergibt. Es sind für sie die berühmten kleinen und ermutigenden Schritte auf dem Weg zu einer neuen Sozialkultur. Eine beträchtliche Anzahl dieser "Good Practice"-Modelle sind im Anhang des Buches mit Internet-Adressen aufgeführt.

Die Verfasserin zeichnet den aktuellen Transformationsprozess diakonischer Arbeit nach, der sich im Zuge des Wandels vom sozialen Fürsorgestaat zum aktivierenden Sozialstaat und angesichts der Doppelstruktur von selbstständiger Unternehmensdiakonie neben der Diakonie der verfassten Kirche vollzieht. Die klassischen Kirchengemeinden ermuntert sie gemäß dem Motto "Sakrales braucht soziale Form", sich für ihr Gemeinwesen zu öffnen und selbst zum "Motor für die neue Stadt" zu werden.

Sie erinnert daran, dass das deutsche Subsidiaritätsmodell europaweit und weltweit eine Ausnahmeerscheinung darstellt, das an Plausibilität verliert. Subsidiarität neu gestalten heißt für Coenen-Marx daher, sich auf die Wurzeln der Diakonie zu besinnen, auf das tatsächlich freiwillige Engagement derer, die gesellschaftliche Notlagen aktiv aufgreifen.

Es gälte von den Anfängen der diakonischen Arbeit zu lernen, davon ist sie überzeugt. Diese rekapituliert sie, nicht rückwärtsgewandt verklärend, sondern aus der Überzeugung, dass aus alten Wurzeln neues Leben wächst. Das Engagement einer mutigen und aufmerksamen Zivilgesellschaft zeigte sich einst auch sozialen Unternehmern, wie man heute Leute wie Fliedner, Wichern und viele andere bezeichnen würde. Bürger, Menschen ohne offiziellen Auftrag, die vielfach außerhalb kirchlicher Strukturen standen, aber "aus innerer Überzeugung" bereit waren, sich den "Abgeschrieben und Aussortierten" zuzuwenden, mit "Netzwerken der brüderlichen Liebe" (Wichern) "eine neue Volkskirche" bildeten und zur Finanzierung ihrer Projekte jene Haltung einforderten, die sich heute in dem Schlagwort "Corporate Social Responsibility (csr)" wiederfinden.

Diesen "Geist des Anfangs" sieht Coenen-Marx heute in zahlreichen zivilgesellschaftlichen, getragenen Initiativen, für sie eine neue soziale Bewegung, der es um das soziale Miteinander geht.

Die vorliegende Publikation ist eine hilfreiche, weil vorwärtsweisende Gesamtbetrachtung. Es ist der Entwurf für eine aufbrechende Kirche, der nicht vermessen daherkommt, besserwisserisch und Theorieüberfrachtet von oben herab. Die dargelegten Sachverhalte, Beobachtungen, Beispiele und Anregungen sind geerdet. Wer ihr Ansinnen nicht teilt, dass eine Kirche nur Kirche ist, wenn sie diakonisch handelt und feiert und damit eine Kultur der Solidarität mit trägt, sollte das Buch trotzdem lesen. Denn dieses Werk atmet die widerständige Geisteskraft des "Trotz alledem".

Cornelia Coenen-Marx: Die Seele des Sozialen. Diakonische Energien für den sozialen Zusammenhalt. Neukirchener Verlagshaus, Neukirchen 2014, 211 Seiten, Euro 26,99.

Jens Junginger

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