Überflüssig und absurd

Der Erste Weltkrieg wird allmählich gelassener verhandelt
Foto: privat
Die Rückbesinnung auf den Ersten Weltkrieg lässt lernen, dass Diplomatie Nervenstärke erfordert - die Ukraine-Krise lässt grüßen...

Das Hundertjahrs-Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat eine erstaunliche Welle von Nachbesinnungen und Nachforschungen ausgelöst. Ist über diesen Krieg nicht längst alles gesagt worden? Ja, schon - aber nicht von allen und vor allem nicht von allen das gleiche. Gerade die deutsche Diskussion über diese "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" kannte fast nur extreme Ausschläge. Was den politischen Aspekt angeht, so drehte sich alles um die Schuldfrage. Der Versailler Vertrag hatte Deutschlands Alleinschuld festgeschrieben; anschließend bemühten sich viele Deutsche, nicht zuletzt Historiker, dies zu widerlegen. Zumindest psychologisch war das verständlich. Dann kam die Nazizeit, eine Art nationalistisches Komasaufen des deutschen Volkes (beileibe nicht aller Deutschen) - man verzeihe die Flapsigkeit. Danach hieß es verdrängen und rechtfertigen.

Doch viele weigerten sich, in jenen zwölf Jahren einen Unfall zu sehen. Sie behaupteten, die deutsche Geschichte hätte zwangsläufig bei den Nazis enden müssen. 1961 veröffentlichte Fritz Fischer (1908-1999) sein Buch "Griff nach der Weltmacht", in dem er aus deutschen Quellen rekonstruiert haben wollte, dass "das Reich" nicht in den Krieg "hineingeschlittert" sei, sondern dass es ihn von langer Hand geplant habe. Der damalige Doyen der deutschen Geschichtswissenschaftler, Gerhard Ritter (1888-1967), hielt empört dagegen. Er war aber ein Nationalkonservativer und wurde somit von allen, die sich irgendwie als "progressiv" begriffen, sogleich als Ewiggestriger abgemeiert. Fritz Fischers Sichtweise dagegen wurde zu einem Dogma der deutschen Geschichtswissenschaft.

Interessant sind die biographischen Hintergründe der beiden Kontrahenten: Fritz Fischer war nach dem Ersten Weltkrieg Freikorpsmitglied, später SA- und NSDAP-Mitglied, nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bekehrter. Der Lutheraner Ritter war ein Nazi-Gegner, er gehörte der Bekennenden Kirche an und stand dem Freiburger Kreis nahe.

Gegenwärtig wird die Frage, wie es zu diesem Krieg kommen konnte, wieso er sich vor dem bitteren Ende nicht stoppen ließ, international gelassener verhandelt - es geschehen noch Zeichen und Wunder.

Doch in Deutschland geht der Streit, wenn auch kryptisch geführt, weiter. Die Generation, die die Fischer-Doktrin mit der Milch der Mutter Klio eingesogen hat, will so leicht nicht locker lassen. Auf der anderen Seite triumphieren Rechtsgestrickte: Nun endlich erweise sich, dass man Deutschland bitter unrecht getan hat.

Doch lassen wir das und halten fest: Dieser Krieg war, seinen Resultaten nach ohnehin, aber auch hinsichtlich seiner Ursachen und Zielsetzungen, absurd. Die Gründe, für die die einzelnen Nationen in ihn zogen, waren Fiktionen, gestützt von willkürlich interpretierten Fakten.

Ein vermeidbarer Krieg zudem. Verdeckt wurde dieser Umstand lange dadurch, dass der Zweite Weltkrieg bewies, dass Friedfertigkeit gegen einen zum Krieg fest entschlossenen Gegner nichts nützt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte man daher zum römischen "Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg" zurück. Im Kalten Krieg schrammte die Welt dann haarscharf an einem atomaren Vernichtungssturm vorbei.

Die Rückbesinnung auf den Ersten Weltkrieg lässt lernen, dass die Reduktion aller Vorsorge auf jene bestechend knappe Maxime in den Abgrund führen kann. Und dass Diplomatie Nervenstärke erfordert, auch jene - die Ukraine-Krise lässt grüßen -, sich in Zeiten der Hilflosigkeit des Gefühls zu erwehren, es werde einem "das Schwert in die Hand gezwungen", wie die markige Formulierung Wilhelms II. lautete.

Helmut Kremers

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