Prekär

Die Suche nach Verheilung
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In seiner eleganten Prosa skizziert Wils den gegenwärtigen Stand der Debatte über das Verhältnis von Kunst und Religion.

Nach Kurt Flasch erklärt jetzt auch Jean Pierre Wils: "Ich habe es versucht, ein Christ zu sein, und es ist mir nicht gelungen." Die Verlusterfahrungen sind offenbar nicht gering, denn für Wils, der durch sein Buch "Ästhetische Güte" (1990) bekannt wurde, soll die Kunst durchaus eine gewisse Kontinuität mit der Religion garantieren, um den Schmerz zu lindern. Seine These lautet: "In der Kunst wird artikuliert, was einst in der Religion beheimatet war: Die Erfahrung von Verletzung und Verheilung. (...) Kunst kann Religion nur deshalb beerben, weil es, trotz aller Klüfte, auch Kontinuität gibt - eben jene Erfahrung von Verletzung und Verheilung."

Das Verhältnis von Religion und Kunst war immer schon prekär: War früher die Kunst Dienstmagd der Religion, hat die Kunst nach ihrer mühsam erstrittenen Autonomie offenbar doch auch weiterhin Anteil am Erfahrungsschatz der Religion. In seinen von Fußnoten entlasteten Essays lädt Jean Pierre Wils viele Autoren ein, die ihm helfen, dieses Terrain zu erkunden. Man wird sehr schnell heimisch und fühlt sich kuschelig in der Suhrkamp-Taschenbuch-Wissenschafts-Kultur, die Wils in diesem schön gestalteten Buch ausbreitet. Literaten, die das Archiv der Gefühle verwalten, sind ebenso Gesprächspartner für Wils wie (Religions-)Soziologen oder Philosophen. Nur die Theologen müssen leider draußen bleiben.

In seiner eleganten Prosa skizziert Wils den gegenwärtigen Stand der Debatte über das Verhältnis von Kunst und Religion sehr genau. Das gelingt in den Essays zur Frage nach dem Sinn des Lebens oder zur Frage nach dem Zusammenhang von Blasphemie und Kunst. Auch die "Ars moriendi", die Wils in einem sehr langen Gespräch mit dem Literaten Dieter Forte entfaltet, erlaubt Leseglück. Leider bleibt der für seinen Diskurs zentrale Begriff der Epiphanie, der für die Erfahrung der Verheilung doch Zentrales leisten muss, diffus. Das Diffuswerden der Religion in der Spätmoderne erleidet hier auch die Kunst oder genauer: die Kunsterfahrung.

Mit einem von George Steiner geliehenen Wort, der Cortesia, verbeugt sich Wils überhöflich vor allen Autoren, die er als Zeugen der Erfahrungsvermittlung aufruft. Da werden auch schon mal in einem Atemzug die Soziologen Günther Dux und Niklas Luhmann genannt, die bekanntlich Welten trennen. Oder das Buch des französischen Soziologen Bruno Latour mit dem Titel "Jubilieren" wird nahezu ehrfürchtig besprochen, obwohl der Ertrag der Exegese dieses leider sehr verquasten und mit Verlaub: hilflosen Buches sehr gering ausfällt. Nur sehr selten fasst Wils mal Posto und nennt etwa die Überdehnung des funktionalen Religionsbegriffs "albern". Aus seinem eigenen Zitatkartell bricht Wils niemals aus, zum Schaden seiner eigenen These, die immer wieder unter den Zitaten begraben zu werden droht. Übertriebene Höflichkeit lässt Einsichten schnell diffus werden. Hier hätte ich mir sehr viel mehr Streit und Courage gewünscht.

Auch wenn man sehr genau liest, die Mühen, die Wils mit dem Christentum hat, lassen sich höchstens erahnen. Dabei sind es die Vorbehalte gegen eine sehr lange gehätschelte Rede von Erlösung als Kennzeichen des Christentums durchaus wert, diskutiert zu werden. Zumindest im Protestantismus gibt es ein ästhetisches Christentum, das weniger weltflüchtig ist als vermutet oder unterstellt. Man muss das Christentum also durchaus nicht verloren geben.

Jean Pierre Wils: Kunst. Religion. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2014, 272 Seiten, Euro 24,-.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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