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Ökumenische Dogmatik
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Die Autoren hatten ein Herzensanliegen: die Einheit der Christinnen und Christen.

Katholisch oder evangelisch? Für viele Menschen sind die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten verblasst. In Politik und Gesellschaft wird oft nur von "der Kirche" gesprochen und damit auch eine Form der Konfessionslosigkeit im Wortsinne gelebt. Jedoch bietet das Reformationsjubiläum 2017 einen guten Anlass, über die eigene Konfession nachzudenken und möglicherweise die jeweils andere neu wahrzunehmen.

Der 2012 verstorbene Lutheraner Ulrich Kühn und sein katholischer Kollege Wolfgang Beinert hatten noch ein anderes Herzensanliegen: die Einheit der Christinnen und Christen. Beide sehnten sie gerade deshalb herbei, weil das säkulare Lebensgefühl und die Begegnung mit anderen Religionen die christliche Botschaft anfrage. In ihrer Dogmatik werden die traditionellen Themengebiete in ihrer heilsgeschichtlichen Abfolge von jeweils einem Autor und somit konfessionell geprägt dargestellt, jedoch mit einem klugen und konsequenten Seitenblick auf die jeweils andere Konfession versehen. Mit dem Diktum Luthers "was Christum treibet" und der "Rangordnung der Wahrheiten" aus dem Zweiten Vatikanum formuliert Beinert das Kriterium für eine ökumenische Theologie und Dogmatik: Die divergierenden theologischen Positionen sollen auf ihre "Christianität", also auf ihre Nähe zum christologischen Dogma hin untersucht werden. Konsequenterweise sieht er in den Konfessionen die geschichtlichen Existenzweisen der einen Glaubensgemeinschaft, deren Wurzel der gemeinsame Glaube an Jesus Christus bilde. So erscheint es logisch, dass die Ekklesiologie eine Sonderrolle einnimmt. Hier bleiben beide Autoren ihrer Herkunft verhaftet: Nicht Gotteslehre, Trinität, Christus oder Erlösung trennen wirklich die Konfessionen und ihre Theologien, sondern das Verständnis, wie diese zentralen Inhalte weitergegeben werden können. So kommen eine katholische und eine evangelische Ekklesiologie nebeneinander zu stehen.

Methodisch gehen die beiden Autoren unterschiedlich vor: Ulrich Kühn trennt in guter Lehrbuchtradition bei der Darstellung des Traktats die dogmengeschichtlichen Traditionen von der "Systematischen Entfaltung" der Inhalte. Wolfgang Beinert hingegen unterteilt die einzelnen dogmatischen Abschnitte in ihre Einzelprobleme und diskutiert dann unangestrengt die traditionellen Ansichten mit gegenwärtigen Frage- und Problemstellungen. Diese unterschiedliche Vorgehensweise erscheint durchaus im konfessionell geprägten Stellenwert der dogmatischen Tradition begründet - ohne dass dies freilich explizit diskutiert wird: Während die Tradition im lutherischen Verständnis nicht eine Qualität an sich, sondern durch ihre Relevanz für die Gegenwart bestimmt ist, achtet das katholische Verständnis gewöhnlich auf die Stimmigkeit gegenwärtiger Antworten mit der Tradition.

Ein Lesegewinn liegt zweifellos in der materialreichen Darstellung der vorreformatorischen Tradition und damit der ökumenischen Wurzeln. Zudem wird man gut über die maßgeblichen Entwicklungen der katholischen Theologie (Zweites Vaticanum), am Rande auch die der orthodoxen, informiert. Auf die reformierte Spielart der Protestantismus bleibt jedoch häufig der Blick verwehrt.

Die Kirchenlehre, die mit rund 220 Seiten - "Gnade" und "Rechtfertigung" beanspruchen gerade mal 45 Seiten - auch vergleichsweise opulent ausfällt, muss der Kontroverse verhaftet bleiben. Schließlich wurde sie erst in der Reformationszeit gegen die jeweils andere Position entwickelt. Ihr liegt ein Abwehrcharakter zugrunde, den ihr auch die beiden Autoren nicht nehmen können, weil sie sonst letztlich die konfessionelle Identität der eigenen Institution infrage stellen würden. Jedoch werden für beide Konfessionen die kirchenpraktischen Probleme, hier sei der Personalmangel genannt, an Bedeutung gewinnen - und zwingen damit zu einer (gemeinsamen?) ekklesiologischen Reflexion.

Wolfgang Beinert/Ulrich Kühn: Ökumenische Dogmatik. Evangelische Verlagsanstalt/Verlag Friedrich Pustet, Leipzig/Regensburg 2013, 880 Seiten, Euro 78,-.

Jens Beckmann

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Jens Beckmann

Dr. Jens Beckmann ist Pastor der Nordkirche und Theologischer Vorstand der Evangelischen Perthes-Stiftung e.V. in Münster.


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