Nur Gehilfen statt Partner

Unternehmensmitbestimmung in der Diakonie? Eine Fehlanzeige
Der theologisch aufgeladene Anspruch, gemeinsam Verantwortung zu tragen, endet dort, wo es darum geht, Macht zu teilen.

Der Protestantismus hat sich lange schwer getan, zur Demokratie als politischer Staatsform ein positives Verhältnis zu bekommen. Ganz anders aber bei der wirtschaftlichen Demokratie und Mitbestimmung: Sie war seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein zentrales sozialethisches Anliegen. In die grundlegenden Debatten um die Mitbestimmung nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Rat der EKD mit der Positionierung eingebracht, dass es darum gehe, "das bloße Lohnarbeitsverhältnis zu überwinden und den Arbeiter als Menschen und Mitarbeiter ernst zu nehmen". Die EKD-Denkschrift zur Mitbestimmung von 1968 argumentierte nicht allein mit der Würde der Arbeit. Da Kapital und Arbeit aufeinander angewiesen seien, stünde den Arbeitnehmern auch das Recht zur Mitbestimmung zu. Die Mitbestimmung hat der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, in seiner Laudatio zum 60. Jubiläum der Montanmitbestimmung als einen "Höhepunkt der Sozialgeschichte" gewürdigt.

Doch diese sozialethisch starken Überzeugungen scheinen vergessen, wenn es um Unternehmensmitbestimmung in der Diakonie geht. Es gibt sie dort nämlich überhaupt nicht! Weder in den diakonischen Unternehmen noch in den Landesverbänden der Diakonie gibt es in den Aufsichtsgremien oder den Diakonischen Räten eine gleichwertige, paritätische Mitbestimmung der Beschäftigten. Der Staat hat die Kirchen von dem ansonsten geltenden Mitbestimmungsrecht ausgenommen. Er hat dies auf die Zusicherung der Kirchen hin getan, bessere und vorbildliche Regelungen zu treffen. Doch darauf warten die Beschäftigten in Diakonie und Kirche seit über fünfzig Jahren vergeblich.

Alleinentscheidungsrecht vorbehalten

Umstritten ist, ob die Mitbestimmung in den Betrieben im Rahmen der Mitarbeitervertretungsordung paritätisch genannt werden kann. Doch von der Mitbestimmung auf Betriebsebene ist die Mitbestimmung auf Unternehmensebene klar zu unterscheiden. Geht es bei der Mitbestimmung in den Betrieben um die Regelung von Konflikten zwischen Beschäftigten und der Dienststellenleitung, so bei der Mitbestimmung auf Unternehmensebene um Fragen der Unternehmensentwicklung. In den Entscheidungsgremien wie dem Diakonischen Rat wird über die Aufnahme neuer Arbeitsgebiete, über die Berufung von Mitgliedern des Vorstandes und die Entwicklung des Unternehmens beraten. Wenn Arbeitnehmer in der Diakonie von diesen Beratungen und Entscheidungen ausgeschlossen sind, bedeutet dies faktisch, dass sich die Leitungen das Letztentscheidungsrecht, ja das Alleinentscheidungsrecht vorbehalten. Zu Fragen der Unternehmensentwicklung scheinen die Beschäftigten nichts Wesentliches beitragen zu können. Sie existieren nicht als gleichwertige Partner bei der Erfüllung der diakonischen Aufgabe sondern nur als bloße Gehilfen.

Eine diakonische Unternehmensverfassung ohne eine Mitbestimmung der Beschäftigten in unternehmenspolitischen und ökonomischen Fragen erstaunt, versteht sich doch die Diakonie als "Dienstgemeinschaft". Dies meint, dass Dienststellenleitungen und Mitarbeiter in gemeinsamer Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbunden sind. Der theologisch aufgeladene Anspruch, gemeinsam Verantwortung zu tragen, endet dort, wo es darum geht, Macht zu teilen. Dabei ist diakonische Unternehmenskultur zu einem immer wichtigeren Thema geworden. Will man die Unternehmenspraxis nur unverbindlich aufhübschen, die Werte einer diakonischen Unternehmenskultur aber nicht rechtlich und strukturell auch dort verankern, wo Fragen der Unternehmensentwicklung verhandelt werden?

Die diakonischen Unternehmen sind auf dem Sozialmarkt angekommen und haben in den vergangenen Jahren enorme Modernisierungen vorgenommen. Doch es sind nur halbierte Modernisierungen. Aus Vereinen wurden vielfach gemeinnützige Gesellschaften oder sogar Aktiengesellschaften. Wenn weltliche Unternehmen ihre Rechtsformen entsprechend ändern, dann fallen sie automatisch unter das Mitbestimmungsrecht. So gibt er in den großen Krankenhauskonzernen wie die Rhön-Kliniken oder Asklepius eine paritätische und gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer - sogar unter Einschluss von Gewerkschaftsvertretern.

Sind die sozialethischen und theologischen Positionen der Mitbestimmung bei den Konzernleitungen, ihren theologischen Vorständen und Juristen eigentlich bekannt? Es geht um die Glaubwürdigkeit der theologischen Überzeugungen der Denkschriften, die Rechte der Beschäftigten und um Fairness gegenüber anderen Konzernen auf dem Sozialmarkt. Deshalb braucht die Diakonie dringend eine Reform ihrer Unternehmensverfassung.

Franz Segbers ist Professor für Sozialethik an der Universität Marburg und war bis 2011 Referent für Arbeit, Ethik und Sozialpolitik in der Diakonie Hessen und Nassau.

Franz Segbers

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