Irgendwie daneben

Wenn die Orgel zum Nebeninstrument wird
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Was on stage so kraftvoll leuchtet und spricht, sorgt an Sonn- und Festtagen in den seltensten Fällen für festlichen, eher für lässlichen Klang.

"Die Musik spielt bei uns in der Gemeinde eine große Rolle. Neben vielen schönen Chorälen aus vergangenen Jahrhunderten haben auch moderne geistliche Lieder ihren Platz in unserem Gottesdienst. Neben der Orgel kommen auch E-Piano, Gitarre und Keyboard zum Einsatz."

Sätze wie man sie so oder so ähnlich in jedem zweiten Gemeindebrief lesen kann. Der werbende Hinweis aufs kirchenmusikalische Geschehen, in dem man unschwer den Stolz spürt. Das Gestern und das Heute unter einem Kirchendach vereint. Alles da. Alles hat "seinen Platz", kommt "zum Einsatz". Gleiches Recht für alle. Wie auch sonst!

So weit, so gut. Nur wie klingt sie, die so wunderbar hergestellte Gleichheit auf dem Feld der Musik? Dass da durchaus Wünsche offen bleiben, kann man hören. Am dürftigen Ton nämlich, den das über den grünen Klee gelobte Instrumentarium "E-Piano, Gitarre und Keyboard" so ziemlich regelmäßig abgibt, wenn es in der Musik des Sonntagsgottesdienstes "zum Einsatz" kommt. Was im Jazzorchester, in Rhythm and Blues, in jedem Fall on stage so kraftvoll leuchtet und spricht, sorgt an Sonn- und Festtagen in den seltensten Fällen für festlichen, eher für lässlichen Klang.

Wie das kommt? Erste Antwort: Surrogate wie das E-Piano eines ist, können nicht anders. Die zweite Antwort geht ins Grundsätzliche und verweist darauf, dass es halt so eine Sache ist mit den Errungenschaften unserer modern times, auf die wir so stolz sind. Will sagen: Sie haben einen Haken. Belesene Zeitgenossen sprechen in diesem Zusammenhang von "Dialektik", womit sie meinen, dass das eigentlich gut Gemeinte sich ungut bemerkbar macht. Was übrigens schon der alte Fontane gespürt hat, wenn er bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg eine beschauliche Dorfkirche betritt, um dort tatsächlich betreten festzustellen: "Unter der Decke blinkten die dünnen Röhren eines Harmoniums, dieses verkümmerten Enkelkindes der Orgel." Dünn. Verkümmert. Fontane wollte sagen: Hier ist der Fortschritt eingezogen und hat das Harmonium gebracht. Nur, was hat es uns gebracht? - Den Wimmerton, dürfen wir (in seinem Sinn) ergänzen.

Und heute, in der eingangs beschriebenen Gemeinde und in all den anderen Kirchen, in denen "neben vielen schönen Chorälen aus vergangenen Jahrhunderten", in denen "neben der Orgel" besagtes Trio infernale eingezogen ist und "zum Einsatz" gebracht wird?

Siehe oben. Wenn es damit losgeht, schüttelt man sich. Und man fragt sich, wie es wohl gekommen sein mag, dass die Orgel zum "Neben"-Instrument ward? Und ob wir jetzt im Finale stehen? In diesem Fall einer Entwicklung, die irgendwann in den Sechzigern angefangen hat mit "Beat-" und "Jazzmessen", in jedem Fall als die "Moderne" in die Kirchen eingezogen ist und das liturgische wie das künstlerische Orgelspiel, die Säulen der Kirchenmusik, mit einem Federstrich an Instrumente delegiert hat, die alles können, nur eben nicht, den Gemeindegesang zu tragen, zu heben. Was man Steckdosen-Instrumenten wie "E-Piano, E-Gitarre und Keyboard" in keinem Fall vorhalten kann. Sie sind für anderes auf die Welt gekommen.

Dass es indes auch anders geht, dass man einer trügerischen Moderne nicht ganz hilf- und schutzlos ausgeliefert ist, zeigt übrigens ausgerechnet das Beispiel eines Komponisten Neuer Musik. Einer, der ganz nebenbei (studierter Theologe, der er ist) viele Jahre als Pfarrer und Religionslehrer tätig war: Dieter Schnebel. Als dieser in den nämlichen Sechzigerjahren seine "Choralvorspiele" geschrieben hat, hat er dieser Komposition einen bemerkenswerten Zusatz mit auf den Weg gegeben: "für Orgel, Nebeninstrumente und Tonband". Womit er sagen wollte: die Orgel ist solitär. Da darf keiner ran. Und daneben gibt es Nebeninstrumente. Eben.

Georg Beck

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