Geld, Hirn und Herz

Aus Baden kommen Anstöße zur Friedenspraxis und Friedensethik des deutschen Protestantismus
Freiwillige der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste richten den jüdischen Friedhof im belgischen Arlon wieder her. Foto: dpa/ Aktion Sühnezeichen
Freiwillige der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste richten den jüdischen Friedhof im belgischen Arlon wieder her. Foto: dpa/ Aktion Sühnezeichen
Die badische Landeskirche, die den westlichen Teil Baden-Württembergs umfasst, möchte, dass die EKD "eine eindeutigere Option für Gewaltfreiheit" entwickelt. Und zugleich sollen Jugendliche zu "Friedensstiftern" ausgebildet werden. Ralf Schick, Karlsruher Redakteur des Evangelischen Pressedienstes Südwest, hat sich umgehört.

Zivilcourage ist nicht nur eine Sache der Überzeugung, sondern muss erlernt und geübt werden, betont Stefan Maaß. "Wir wollen Jugendliche ermutigen und befähigen, sich für Frieden einzusetzen - und wollen zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, etwas gegen Gewalt zu tun", sagt der Mitarbeiter der Arbeitsstelle Frieden im Evangelischen Kinder- und Jugendwerk Baden. Seit sieben Jahren gibt es in der badischen Landeskirche das Projekt "Jugendliche werden Friedensstifter/-innen".

Grundlage war ein gleichnamiges Projekt der westfälischen Landeskirche. Das badische Projekt wurde vor vier Jahren von der Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD als "Best-Practice-Modell" ausgezeichnet. Und mittlerweile sind mehr als 1.000 junge Menschen zu Friedensstiftern ausgebildet worden. Das Projekt ist wegweisend und nur ein Beispiel für den Weg der Landeskirche. Sie will Denkanstöße geben und praktische Friedenserziehung anbieten mit dem Ziel einer Kirche des gerechten Friedens.

"Für Frieden und Versöhnung einzutreten, gehört zum Kern des kirchlichen Zeugnisses", heißt es in dem Papier "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens", das die badische Landessynode im vergangenen Jahr nach monatelangen Diskussionen in den Kirchenbezirken beschloss. Ziel ist unter anderem, die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 "zu einer eindeutigeren Option für Gewaltfreiheit im Sinne des umfassenden Verständnisses des gerechten Friedens" weiterzuentwickeln.

"Wir können nicht so tun, als gingen uns die politischen Fragen zu Militäreinsätzen, Krieg oder Rüstungsexporten nichts an", erklärt Oberkirchenrätin Karen Hinrichs, die unter anderem für die Grundsatzplanung der badischen Landeskirche zuständig ist. Vielen Menschen würden die Themen Krieg, Auslandseinsätze, Rüstung und Rüstungsexporte geradezu "unter den Nägeln brennen". Weltweit gebe es kriegerische Auseinandersetzungen um Macht und Rohstoffe. "Das kann uns Christen nicht kalt lassen", mahnt Hinrichs.

Eine "Kirche des gerechten Friedens" zu werden, ist eine langfristige Aufgabe, sagt die Präsidentin der Landessynode, Margit Fleckenstein, die von 1997 bis 2009 dem Rat der EKD angehörte. "Was das im Einzelnen für uns als Landeskirche, für unsere Gesellschaft, für jeden Einzelnen von uns bedeutet, muss in Zukunft durchbuchstabiert werden."

Badische Tradition

Der konsequente Einsatz für den Frieden ohne militärische Mittel hat in der badischen Landeskirche Tradition. Anfang August trafen sich in Konstanz hunderte Mitglieder des Internationalen Versöhnungsbunds (IVB). Dort hatten am Tag vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges evangelische Pfarrer aus Baden zusammen mit rund 90 Christen aus 13 Ländern den "Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen" gegründet. Und diese Organisation, deren Jugendsekretär 1931 Dietrich Bonhoeffer wurde, gilt als Vorläufer des heutigen Versöhnungsbundes,, der weltweit rund 100.000 Mitgliedern hat. Er tritt für eine Kultur der Gewaltlosigkeit ein und spricht sich klar gegen Kriege und deren Vorbereitung aus und lehnt jede Unterstützung des Krieges als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab. Seine Ziele sind soziale Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung und gewaltfreie Maßnahmen gegen Unrecht und Krieg. Der IVB hat einen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen.

Der Versöhnungsbund bietet Trainingsprogramme an und entsendet jährlich mehrere Dutzend Freiwillige ins Ausland. Projekte der Friedens- und Versöhnungsarbeit gibt es unter anderem in Russland, den USA und Tansania. Auf politischer Ebene forciert der Verband vor allem den Ausbau ziviler Friedensdienste und konzentriert sich auf die Entwicklung von Alternativen zu militärischen Einsätzen. Der Nahostexperte und IVB-Sprecher Clemens Ronnefeldt nennt das Friedenspapier der badischen Landeskirche deshalb auch "ein uns sehr nahestehendes Papier".

Weil sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal und der des Zweiten Weltkrieges am 1. September zum 75. Mal jährt, müsse die Friedensbotschaft wieder mehr in die Gesellschaft hineingetragen werden, ist Oberkirchenrätin Hinrichs überzeugt. In vielen Ländern der Erde lebten Christen. Und diese könnten viel dafür tun, Diskriminierung von Minderheiten und andere Verletzungen von Menschenrechten öffentlich anzuprangern, bevor es zu einem Bürgerkrieg kommt. "Es ist viel zu wenig bekannt, wie erfolgreich gewaltfreie Bewegungen sein können", meint sie. Und die Landessynode fordert, in Gesprächen mit politisch Verantwortlichen solle kritisch auf die Einseitigkeit militärischer Optionen hingewiesen und die Begründung der Auslandseinsätze der Bundeswehr hinterfragt werden. Zugleich ruft sie Bundestag und Bundesregierung auf, beim Export von Kriegswaffen die gesetzlichen Regelungen einzuhalten und die Entscheidungen des Bundessicherheitsrates transparent zu machen.

Sicherheit und Menschenrechte

"Das Einstehen für zivile Konfliktlösungen hat nichts von seiner Aktualität verloren", betont auch Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh, der Nachfolger Ulrich Fischers. "Wir brauchen dringend eine politische Debatte über verbindliche Strukturen, in denen Konflikte so ausgetragen werden, dass die Sicherheit und die Menschenrechte aller Beteiligten gewährleistet sind", forderte er bei der Jubiläumsfeier des Internationalen Versöhnungsbundes.

Mittelfristig müsse der Export von Kriegswaffen eingestellt werden, verlangt das badische Friedenspapier. Auch innerhalb der EKD will die Landeskirche das Thema voranbringen und stellt den anderen Landeskirchen dafür das Synodenpapier "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens" zur Verfügung.

Die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg soll untersuchen, "ob und wie in zwischenstaatlichen Konflikten militärische Gewalt immer mehr durch polizeiliche Zwangsmaßnahmen ersetzt werden kann". Ausbildung und Entsendung von Friedensfachkräften in andere Länder sollen Konfliktprävention und zivile Konfliktbearbeitung fördern. Angedacht sind auch Patenschaften mit Kirchengemeinden in Krisengebieten und die Unterstützung von Gruppen, die gewaltfrei Änderungen in Diktaturen und Bürgerkriegsländern anstrebten.

"Das Papier ist auch ein mahnender Impuls, sich endlich wieder diesen drängenden Fragen der Friedensethik zu stellen", erläutert der stellvertretende Synodalpräsident Volker Fritz. In ihm heißt es: "Die Kirche wird in der Öffentlichkeit als ethische Instanz gesehen, und es wird zu Recht erwartet, dass sie Stellung bezieht zu Gewalt, Unrecht und Verfolgung."

Friedensethisches solle möglichst schon von Kindesbeinen an, auch in Friedenskrippen der Kirchengemeinden, gebündelt werden, meinte Barbara Bauer, Finanzchefin der badischen Landeskirche, bei einem Studientag zum Thema "Kirche und Rüstungsproduktion" . Und in Friedenskrippen könne man über gewaltfreie Konfliktbewältigung oder mit Beschäftigten von Rüstungsbetrieben diskutieren.

Schärfere Kriterien

Als kirchliche Beiträge zur Friedensethik nennt sie auch die regelmäßige Bewertung der Rüstungsexporte durch kirchliche Entwicklungswerke und Debatten zur Frage eines gerechten Krieges. 1990 habe die Landessynode erklärt, dass im Blick auf die Massenvernichtungswaffen ein gerechter Krieg nicht mehr möglich sei und daher als Mittel der Politik ausscheide. Die Landeskirche unterstütze deshalb auch Forderungen der evangelisch-katholischen "Gemeinsamen Konferenz für Kirche und Entwicklung" (GKKE) an die Bundesregierung. Dazu gehören schärfere Kriterien für Rüstungsexporte, gesetzliche Verbote zur Finanzierung der Produktion von Streubomben und Antipersonenminen sowie eine größere Transparenz bei Genehmigungsverfahren für Rüstungsexporte. Länderübergreifende Initiativen für eine rüstungsfreie Zone wie in der Bodenseeregion bezeichnete Oberkirchenrätin Bauer als "Beitrag zur Transformation in zukunftsgerichtete, weltmarktfähige Technologien".

Bei Geldanlagen lehne es die Landeskirche ab, über Aktien oder Unternehmensanleihen an Gewinnen von Unternehmen zu partizipieren, die mit mehr als zehn Prozent des Gesamtumsatzes an Entwicklung oder Herstellung von Rüstungsgütern im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes beteiligt sind. "Die Umsetzung dieser Vorgaben muss jeder unserer Vertragspartner sicherstellen können", betont Bauer. Und die Landeskirche überprüfe regelmäßig, ob die Zehn-Prozent-Grenze heruntergesetzt werden könne.

"Es ist gerade nicht das Militärische, das zur Lösung internationaler Konflikte heute dringend nötig ist", meint Landesbischof Cornelius-Bundschuh. Er plädiert für mehr Diplomatie und zivile Konfliktlösungen. Auch wenn er sich nicht als "grundsätzlichen Pazifisten" sieht, kann sich der Geistliche "für heute keine Situation vorstellen, in der Krieg ein Mittel der Politik ist". Kriege werden nach seiner Ansicht immer ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung ausgetragen. Die Staatengemeinschaft müsse deshalb den Waffenhandel eindämmen. "Eine robuste internationale Polizeitruppe unter der Schutzherrschaft der Vereinten Nationen, die keine eigenen politischen Interessen verfolgt", hält Cornelius-Bundschuh für vorstellbar. In den aktuellen Konflikten, die mit Waffengewalt ausgetragen würden, komme unendliches Leid über die Zivilbevölkerung. Menschenrechte würden zur Nebensache, Demokratie und Gewaltenteilung spielten keine Rolle mehr, klagt er.

Option für Gewaltfreiheit

"Statt durch eine eigene militärische Option solle Deutschland seine internationale Verantwortung so wahrnehmen, dass es auf allen Ebenen den Vorrang ziviler Konfliktlösungen massiv durch diplomatische, wissenschaftliche, finanzielle und persönliche Maßnahmen fördert", forderten jüngst Bischof Cornelius-Bundschuh und Synodalpräsidentin Fleckenstein und warnten davor, Konflikte zu schnell mit militärischen Mitteln lösen zu wollen. Die Geschichte seit 1990 zeige, militärisches Eingreifen sei nur in sehr wenigen Konflikten und dann auch nur kurzzeitig hilfreich gewesen, betonen sie

"In den allermeisten Fällen hat militärisches Eingreifen, selbst wenn es von der UN verantwortet wurde, nicht zu einer gerechten, nachhaltigen und selbsttragenden Lösung geführt", beklagt Fleckenstein. Eine "klare Option für zivile, möglichst gewaltarme Formen der Konfliktbearbeitung" sei daher grundlegend für die friedensethische Neuorientierung, wie sie die badische Landeskirche in ihrem Positionspapier anstrebe.

Wer die Realitäten heute wirklich wahrnehme, müsse erkennen, "dass wir durch die Rüstungsproduktion unendlich viel verpulvern an menschlichem Geist und Verstand, an Zeit und Geld, an kostbaren Ressourcen", sagte Oberkirchenrätin Hinrichs bei der Fahrt eines ökumenischen Friedensschiffes auf dem Bodensee zum Gedenken an den Kriegsbeginn vor 100 Jahren. "Wenn wir heute in aller Welt für Menschenrechte glaubhaft einstehen wollen, dann muss mehr in die Menschenrechtsarbeit, in die Unterstützung der internationalen zivilen Friedensdienste, in die Weiterentwicklung aller gewaltfreien Konfliktbearbeitungsinstrumente investiert werden", forderte Hinrichs. "Hier mehr Geld, Hirn und Herz zu investieren - das stünde Deutschland gut an mit seiner Erfahrung einer gewaltfreien Revolution im Rücken."

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Ralf Schick

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