Geh bitte nicht!

"Life in Film" mit eigener Platte
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Übertragbar, verdichtet, gefällig, die richtigen Songs zur rechten Zeit.

Die Liebe, von allen das Höchste. Paulus, klar. Ob er auf Nachfrage hinzugefügt hätte, dass Liebe keine Argumente kennt? Für das Unbedingte allemal schlüssig. Und triftig, wie die Praxis zeigt. Denn tauchen zwischen Zweien, die sich bisher liebten, Argumente auf, ist oft was im Argen. "Hör doch, sieh nur, versteh doch", und so weiter, bis es mitunter heißt: "Geh bitte nicht!" Hank Williams brachte sein ganzes Leben und Werk damit zu und scheiterte. Aber seine Songs, die Spuren und Destillate daraus, bleiben schön, stark, gültig. Wie die Liebe. Wochen und mehr lassen sich damit verbringen. Big Joe Williams' Blues-Standard "Baby, please don't go" (1935) ist da emblematisch und am bekanntesten wohl in der "Them"-Fassung/1964 oder der von "Willie & The Poor Boys" von 1985.

Die Popgeschichte dreht sich in großen Teilen um dieses Dilemma, und das immer wieder neu so wie gültig bleibt, dass die Liebe keine Argumente kennt. Frisch und berührend drehen "Life in Film" das Rad jetzt mit einem Sound aus Sixties-Anklängen und Indie-Rock weiter. Samuel Fry (Git/Voc), Edward Ibbotson (Git), Dominic Sennett (Bass) und Micky Osment (Drums) aus Hackney, nordöstlich vom Londoner Zentrum. Wie das in solchen Band-Fällen sein muss: Vier (nicht mehr ganz) junge Kerle, denn es gibt sie schon seit 2008, was Netzmusikkanal-Aficionadas schon lange schätzten, aber nun endlich mit eigener Platte. "Here it comes" bietet zwölf Songs mit schönen Melodien, viel Chorgesang und einem Lead-Sänger mit dem gewissen Etwas in der Stimme. Eigenwillig, klar, als hörte ihm gerade niemand zu, und mit markantem Flow.

Dabei profitiert er von dem Songwriting der Band, dem wichtig ist, nichts auf die Bühne bringen, was nicht mit einem von ihnen unmittelbar zu tun hat. Sie erzählen einander offenbar eine Menge, schwören auf Freundschaft. Das ist okay, aber man kann auch darauf pfeifen. Authentizität kommt woanders her, und die haben sie, ob in treibenden "Up Tempo"-Nummern oder Balladen, die in ihrem Repertoire am stärksten sind. Darunter sind echte Perlen, "Lose control" etwa, oder "Anna (Please Don't Go)" mit Zeilen wie "please don't go/your heart says the right thing" und "take this ring, put it on your finger/and you'll be never alone". Und dazu der halbverschluckte Gesang von Samuel Fry. Toll. Tanzbar sind die Songs auch, manche wie "I'm sorry, I didn't know what to do" sind Knaller. Introvertiert wirken sie ebensowenig wie cool auftrumpfend oder superschlau.

Übertragbar, verdichtet, gefällig, die richtigen Songs zur rechten Zeit wie die unbedingte, keinesfalls argumentierbare Liebe und ihre endlosen Rätsel. Pop, wie er sein muss, ein "unechter" Paulusbrief sozusagen, in der Sache wahr und zeitgemäß fortgeschrieben. So entsteht ein Kanon, und vielleicht gehören sie dazu. Wir werden sehen. Das Zeug dazu haben sie.

Life in Film: Here it comes. Embassy of Music/Warner music 2015.

Udo Feist

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