Besuch beim Blaumann

Dietmar Schuth beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Blau in allen Facetten
Im künftigen Museum Blau: Blaue Bilder und ein Experte - im blauen T-Shirt. Foto: Lenhardt
Im künftigen Museum Blau: Blaue Bilder und ein Experte - im blauen T-Shirt. Foto: Lenhardt
In einem alten Bauernhaus in Schwetzingen entsteht derzeit das Museum Blau. Der Initiator ist der promovierte Kunsthistoriker Dietmar Schuth, der seit 25 Jahren dem Blau auf der Spur ist und viel zu erzählen hat über Lapislazuli, Azurit und Preußisch Blau.

Der Weg zu Dietmar Schuth führt vorbei - wie könnte es anders sein - an einer blauen Wand. Sie wird nicht von Dauer sei, es sind nur Müllsäcke, die sich in leuchtendem Blau in der Hofeinfahrt fast bis zur Decke türmen. Noch gibt es viel zu tun, in dem alten Haus in der Schwetzinger Innenstadt, das einmal das Museum Blau beherbergen soll. Erst vor kurzem hat Dietmar Schuth eine Wand komplett abgerissen, wer vom Innenhof nach rechts blickt, sieht noch die Reste des alten Badezimmers. Nun ist Platz für den gesetzlich vorgeschriebenen Fluchtweg, der aber auch irgendwann einmal in ein kleines Museumscafe neben dem "blauen Biotop" führen könnte. Das gibt es schon, in dem Beet wachsen blaue Blumen, behütet von einem blauen Gartenzwerg, einem Kunstwerk von Ottmar Hörl. Dahinter eine panoramaartige Bildmontage: Carl Spitzweg jagt blaue Schmetterlinge in den blauen Bergen der Alpen. "Das Ende der Welt" nennt Schuth dieses Gesamtkunstwerk, eine Reminiszenz an das gleichnamige Perspektiv-Gemälde im naheliegenden Schlosspark.

Aber während es dort um die perfekte Illusion geht, lebt das Museum Blau oder das, was man bereits jetzt davon sieht, von liebenswürdiger Skurrilität und dem großen Fundus an Wissen über alles was, blau ist, den Schuth sich angeeignet hat. Schließlich ist er Vorsitzender und wissenschaftlicher Leiter des "Blau e. V.", dessen Zweck die Förderung des Verständnisses der Farbe Blau und ihrer Bedeutung in der Kunst- und Kulturgeschichte ist. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Farbe, die nach seiner Erfahrung so viel mehr bietet, als etwa das stets dominante Rot. "Rot erzählt sich selbst", sagt der stattliche Mann. "Aber Blau hat ein Geheimnis und möchte entdeckt werden."

Diesem Geheimnis ist Schuth schon seit über 25 Jahren auf der Spur. Als Kunstgeschichtler schrieb er damals Katalogtexte für eine Ausstellung in Heidelberg, die sich dem Blau widmete, vertiefte das Thema in seiner Doktorarbeit und wurde so nach und nach zum Experten, hält in ganz Deutschland Vorträge über das Blau und hat ein Lexikon über das Blau geschrieben, das bald veröffentlicht werden soll.

Suche nach Exponaten

Und nun das Museum, das in einem alten Bauernhaus aus der Biedermeier-Zeit entsteht. Es gab Diskussionen im Gemeinderat über das Projekt, so manch einer hätte in der Spargelstadt Schwetzingen lieber ein Museum gehabt, das sich dem edlen Gemüse widmet. Aber letztendlich konnten Schuth und seine Mitstreiter die Verantwortlichen überzeugen. Für einen Euro Miete pro Jahr stellt die Gemeinde Schwetzingen das Gebäude zu Verfügung; für Umbau, Renovierung und die Exponate muss der Trägerverein aber selber sorgen.

Weil die finanziellen Mittel knapp sind, legt Schuth gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen selbst Hand an, ist derzeit nahezu täglich hier, und auch wenn er zu Hause ist, sucht er immer wieder über das Internet auf Ebay nach möglichen Exponaten, anhand derer wieder etwas über das Blau erzählt werden kann. Über kostbare blaue Edelsteine etwa, oder die blauen Blumen, sowohl die echten in der Botanik als auch die symbolische der Dichter in der Romantik. Und anhand von alten Porträts lässt sich die Geschichte vom Blau als Kleidungsfarbe ebenso erzählen wie die vom Blau in der Malerei.

"Die Künstler brauchen zum Malen möglichst lichtechte Farbpigmente", beginnt Schuth zu erzählen. Dafür stand über Jahrhunderte hinweg nur das Ultramarin zur Verfügung, welches - nomen est omen - von "jenseits des Meeres" kam. Denn in seiner natürlichen Variante wird es aus dem Mineral Lapislazuli gewonnen, das von weit her, etwa aus Afghanistan, nach Europa gebracht wurde. Entsprechend kostspielig war es, blau zu malen, bisweilen sogar teurer als echtes Gold zu verwenden. Daher wurde diese kostbare Farbe im Mittelalter, der Renaissance und der frühen Neuzeit auch nur für ganz besondere Motive verwendet, für Porträts von Adeligen etwa, oder in erlesenen Buchillustrationen. Aber eben auch für Maria, die Muttergottes, die oft im blauen Gewand gemalt wurde. "Manchmal findet man mittelalterliche Darstellungen, bei denen ihr Gewand schwarz ist", sagt Schuth. "Deren Maler haben billigere Farbpigmente aus Azurit benutzt." Das Problem bei dieser Kupferverbindung: Sie wird manchmal im Laufe der Jahre schwarz.

Ruf ins Unendliche

Erst im 19. Jahrhundert konnte Ultramarin künstlich hergestellt werden. 1828 erhielt der Franzose Jean-Baptiste Guimet einen Preis für die künstliche Herstellung von Ultramarin, fast gleichzeitig entwickelte der Tübinger Christian Gottlob Gmelin ein entsprechendes Verfahren. Die erste deutsche Fabrik zur Herstellung künstlichen Ultramarins gründete 1834 Carl Leverkus, der Namensgeber des späteren Leverkusen. Die Fabrik wurde dann zu einem der Grundpfeiler des Unternehmens, das wir heute als Bayer AG kennen.

Durch die nun mögliche industrielle Produktion des Ultramarin wurde blau in der Malerei verfügbarer und konnte von den Künstlern freier benutzt werden. Blaue Gewänder und Kleider in Ultramarinblau waren nun nicht mehr nur Heiligen Jungfrauen und Königen vorbehalten. Mit der leichteren Verfügbarkeit lassen sich auch die "blauen Phasen" vieler Maler erklären, die nicht immer nur streng künstlerische Hintergründe hatten oder auf melancholische Momente hindeuteten. So etwa auch die blaue Periode bei Pablo Picasso. "Er war als junger Maler so arm, dass er sich nur die billigste Farbe kaufen konnte", sagt Schuth. "Und das war eben blau."

Doch wenn auch die Herstellung der Pigmente und die Motive profaner wurden - die Farbe Blau hat weiterhin die Maler in den Bann gezogen. "Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels", sagte etwa Wassily Kandinsky, der 1912 den Almanach für die gemeinsam mit Franz Marc gegründete Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" gestaltete.

Und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es dann wohl der Franzose Yves Klein, mit dem das Blau in der Malerei verbunden wird. Nicht nur, weil er Aktmodelle blau anmalte und sie dann mit ihrem Körper Bilder gestalten ließ. Vor allem bekannt sind seine monochromen Bilder, auch in Rosa und Gold, doch dem Blau galt sein besonderes künstlerisches Engagement. Er gab dem Ultramarin den Namen "International Klein Blue" (IKB), und eine eigene Technik, bei der das Blau auf die Leinwand und manchmal auch auf darauf angebrachte Objekte, wie etwa Schwämme, gepudert wurde. So entwickelten die Werke eine besondere Tiefe und Sogwirkung, sagt Schuth. "Der Nachteil dieser Technik ist, dass die Bilder immer wieder nachgepudert werden müssten, um ihre Wirkung zu behalten. Aber das geschieht leider nicht immer."

Auch bei Fontane

Das Schwetzinger Museum Blau wird jenes IKB aus dem Nachlass des Künstlers präsentieren, wie auch andere namhafte Künstler, etwa Hans Peter Reuter oder Emil Schumacher. Doch genauso wichtig sind kulturhistorisch interessante Stücke, die auf dem Kunstmarkt keine materiellen Wert haben. Auf jedenfall freut sich der Verein immer über Spenden, Geld oder mögliche Exponate. Doch manchmal liegen die kleinen Schätze auch ganz nah, etwa auf einer Wand in der Küche. Bei der Renovierung entdeckte Schuth in einem Raum einen Wandschmuck in Ultramarin, der vor etwa hundert Jahren angebracht worden war. Blaue Blumen in geometrischem Muster, noch immer voller Farbkraft.

Spannend ist ebenfalls die Geschichte des Preußisch Blau, auch Berliner Blau genannt, das um 1706 in Berlin erfunden wurde. Die Mischung aus Blutlaugen- und Eisensalz gilt als erste "künstlich" hergestellte blaue Farbe, die zwar andere Eigenschaften als das Ultramarin besaß, aber dennoch die Malerei veränderte. Zunächst wurde es von den Malern am preußischen Hof verwendet, später dann aber auch von Impressionisten wie Monet oder Expressionisten wie Munch. Und selbst in der Literatur hat das Berliner Blau seinen Platz gefunden: Die Familie Treibel in Fontanes "Frau Jenny Treibel" ist im Besitz mehrerer Fabriken zur Herstellung der Farbe.

Im kommenden Herbst, so hofft Dietmar Schuth, wird das Museum öffnen und zumindest in den Räumen im Erdgeschoss den Besuchern seine Exponate präsentieren können. Später sollen dann museumspädagogische Bereiche im Obergeschoß hinzukommen. Und auch für den Keller gibt es eine Vision: Eine blaue Grotte, in der man tief eintauchen kann, in die Farbe der Ferne...

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Stephan Kosch

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