Wichtiger Beitrag

Über Luther und die Juden
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Nicht immer entsteht aus Fremdheit Hass, sondern gerade dann, wenn bei bestehenden Unterschieden große Nähe eintritt, kommt es zu massiver Abwehr.

Der Historiker und Sprachwissenschaftler Dietz Bering leistet mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zur 500-Jahrfeier der Reformation. Er bietet leicht lesbare Zusammenfassungen über die Entwicklung vom mittelalterlich geprägten Mönch zum Reformator. Er stellt die wichtigsten Bruchstellen zum päpstlich-katholischen Glauben dar und gibt einen umfassenden Überblick über Luthers Stellung zu den Juden.

Bering hat die wichtigsten Ergebnisse moderner Lutherforschung für sein Buch zusammengefasst. Er nennt besonders Heinz Schilling, Thomas Kaufmann und Peter von der Osten-Sacken. Von letzterem erwähnt er dessen Feststellung, dass Luthers Verhältnis zu den Juden für evangelische Christen eine schwere Bürde sei. Und fügt hinzu: Weil der Reformator immer auch für das Deutschtum schlechthin in Anspruch genommen wird, muss Luthers Stellung zu den Juden jeden bedrücken.

Bering hilft, mit dem Wandel Martin Luthers in dessen Einstellung zu den Juden umzugehen. Er beschreibt ausführlich drei Phasen, in denen sich der Wandel vollzogen hat. Zunächst sieht er Luther in der schon vor allem auf Augustinus fußenden judenfeindlichen Tradition des Mittelalters. Nach dem reformatorischen Durchbruch zeigte sich Luther als ein Judenfreund, vor allem in der Schrift von 1523 "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei". Im Alter wurde Luther dann zum erbitterten Judenfeind, besonders krass in der 1543 erschienenen Schrift "Von den Juden und ihren Lügen". Hier beantwortet Behring die im Buchtitel gestellte Frage, ob Luther ein Antisemit gewesen sei, mit einem klaren Ja. Luther war nicht lediglich antijüdisch, wie es bei vielen seiner Zeitgenossen im Spätmittelalter üblich war. Die Judenfeindschaft des alten Luther war radikaler. Sie sei zwar nicht Folge einer Rassentheorie gewesen, was manche zur Entlastung Luthers vorbrächten. Aber in seinen späten Schriften und Predigten habe er die Juden in ihrer Gesamtheit zu Schädlingen erklärt, die irreversibel minderwertig seien. Sie seien schädlich für jedes Gastvolk, auch wenn sich viele unter ihnen als normale Bürger tarnten. Deshalb seien ihre Synagogen und Häuser zu verbrennen, ihr Vermögen sei zu konfiszieren, und die jungen Arbeitsfähigen sollten im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen. Bering zeigt auf, wo sich die Vollstrecker des Holocaust auf Luther als Quelle ihres Antisemitismus berufen haben.

Luthers Wandel vom Judenfreund zum Judenfeind wird von vielen Autoren mit der Enttäuschung erklärt, dass die Juden auf seinen Reformansatz hin Jesus nicht als Messias anerkannt hätten. Manche sehen in Luthers zunehmendem Altersstarrsinn, seinem von einer Magenkrankheit gequälten Seelenzustand die Ursachen seiner Verbitterung. Auch die Endzeitvisionen des alten Luther dienen zur Erklärung des Wandels, in denen Luther neben Papst und Türken vor allem die Juden als Plagen der Endzeit bezeichnete. Dietz Bering teilt solche Erklärungen durchaus, bemängelt aber, dass die meisten Autoren ihren jeweiligen Grund monokausal vortrügen. Das hält er für nicht ausreichend und legt eine weitere Erklärung des Wandels vor, die Kon-trastbetonung, ein Methode, die aus der Biologie stammt und auch in der Psychologie, in der Sprachwissenschaft und anderen Disziplinen eine große Rolle spielt: Nicht immer entsteht aus Fremdheit Hass, sondern gerade dann, wenn bei bestehenden Unterschieden große Nähe eintritt, kommt es zu massiver Abwehr.

Bering zeigt Luthers besondere Nähe zum Judentum an dessen reformatorischer Theologie auf: Abschaffung des Papsttums, der Heiligen- und Reliquienverehrung, des Zölibats, des priesterlichen Weiheamtes. Vor allem das Schriftverständnis, welches auch das Alte Testament in die Mitte des theologischen Denkens stellte, zeige eine große Nähe aus der dann die scharfe Abgrenzung entstanden sei.

Was Bering an der Entwicklung Luthers zeigt, überträgt er dann auf das deutsch-jüdische Verhältnis, das er als "Tragödie der Nähe" bezeichnet. Er zeigt, dass beide Völker sich in vielen Bereichen sehr ähnlich waren: Das Verständnis von Kultur und Bildung, die Wertschätzung des Buches und des abstrakten Denkens, die lange Zeit des Fehlens eines einheitlichen Staatsgebietes. Bering folgert: Je ähnlicher sich Juden und Deutsche wurden, umso größer wurde der Hass.

Die Verwendung der Kontrastbetonung zur Erklärung des Holocaust wirkt in Vielem plausibler als die Kategorie der Fremdheit. Es müsste noch dargestellt werden, warum diese Kontrastbetonung gerade zum Hass der Deutschen gegen die Juden und nicht umgekehrt wurde. Angesichts der damaligen Machtverhältnisse scheint die Übertragung eigener Mängel auf einen Sündenbock zur weiteren Erklärung des Antisemitismus erforderlich zu sein.

Dietz Bering: War Luther Antisemit? Berlin University Press, Berlin/Wiesbaden 2014, 322 Seiten, Euro 29,90.

Manfred Kock

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