Gott in der Verfassung

Wie hältst Du's mit der Präambel? Eine Frage des Selbstverständnisses
Grundrechte auf einer Glaswand am Berliner Reichstagsufer. Foto: epd/Rolf Zöllner
Grundrechte auf einer Glaswand am Berliner Reichstagsufer. Foto: epd/Rolf Zöllner
Alle Jahre wieder werden irgendwo in Deutschland Verfassungen überarbeitet oder neu geschaffen. Regelmäßig steht in den Prozessen der Verfassungsgebung die Frage zur Debatte, ob die künftige Verfassung eine Präambel (Vorspruch) mit Bezug auf Gott haben soll. Werner Weinholt, Theologe in Berlin, hat sich umgesehen: Der aktuellste Fall ist Schleswig-Holstein.

Von den Verfassungen der 16 Bundesländer enthalten sieben einen ausdrücklichen Gottesbezug. Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verweist in der Präambel auf die "Verantwortung vor Gott und den Menschen". Beachtlich ist, dass in den Verfassungsdebatten gerade diese Frage großen Raum einnimmt.

Warum ist das so? Verfassungspräambeln bilden das Aushängeschild der Verfassung. In ihnen werden die ideellen Grundlagen, Beweggründe und Zielsetzungen der Verfassungsgebung und damit wesentliche Elemente des Selbstverständnisses und der Identität einer Verfassung artikuliert. Sie spiegeln darum auch den vorrechtlichen Hintergrund der Verfassung wider, was unweigerlich zu der Frage führt, ob dieser durch einen Gottesbezug hinreichend beschreiben werden kann.

Im Zuge verschiedener Verfassungsreformen nach der Wiedervereinigung ab 1990 wurde die Frage nach dem Gottesbezug breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Auf Bundesebene gab es, getragen durch ostdeutsche Grünen-Politiker wie den Theologen Wolfgang Ullmann, Bestrebungen, den Gottesbezug aus der Präambel des Grundgesetzes zu streichen. Diesem Ansinnen schloss sich die Mehrheit der Mitglieder der Verfassungskommission allerdings nicht an.

Parallel wurde die Frage nach einem Gottesbezug in verschiedenen Bundesländern diskutiert. Zwei der fünf neuen Länder, Thüringen und Sachsen-Anhalt, verankerten in ihrer Verfassung eine Bezugnahme auf Gott. Es mag dem geringen Rückhalt der Kirchen und starken Vorbehalten auch von glaubenden Menschen gegenüber einer zu stark empfundenen Nähe von Kirche und Staat geschuldet sein, dass in den ostdeutschen Ländern der Gottesbezug in vergleichsweise abgeschwächter Form oder gar nicht in die Verfassungen aufgenommen wurde. Allerdings rekurrieren die anderen Verfassungspräambeln auf die Begrenzung staatlicher Macht und staatlichen Handelns.

Volksinitiative in Niedersachsen

Auch das Land Niedersachsen hat sich 1993 eine neue Verfassung gegeben. Die sehr intensive Diskussion um einen Gottesbezug endete in dem Kompromiss des Landtags, eine Präambel insgesamt wegzulassen. Die Frage nach einem Bezug auf Gott war mit der Verabschiedung der Niedersächsischen Verfassung allerdings noch nicht erledigt, denn wenige Wochen danach wurde, getragen von verschiedenen Vereinigungen, der katholischen und evangelischen Kirche, Vertretern der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und mit deutlicher Beteiligung muslimischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, das gerade neu in die Verfassung aufgenommene Instrument der Volksinitiative genutzt, um doch eine Präambel mit Gottesbezug in der neuen Verfassung zu verankern.

Dazu bedurfte es 70.000 Unterschriften von wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern. Für die Niedersächsische Verfassung wurde die Formulierung des Gottesbezuges aus dem Grundgesetz vorgeschlagen, da auf dieser Grundlage der größte Konsens unter den Parteien und eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen war, wie verschiedene bundesweite Umfragen bestätigt hatten. Die Resonanz in den Medien und der Öffentlichkeit war relativ hoch und vorwiegend positiv. In einigen Schulen wurde die Frage nach dem Gottesbezug in der Verfassung zum Gegenstand im Unterricht.

Schon nach einigen Monaten war die notwendige Anzahl der Unterschriften erreicht. Anfang 1994 übergaben die Initiatoren dem Landtagspräsidenten von Niedersachsen etwa 114.000 gültige Unterschriften. Der niedersächsische Landtag beschloss daraufhin nach einer sehr beeindruckenden Debatte mit mehr als Zweidrittel seiner Stimmen, eine Präambel mit Gottesbezug in die Verfassung aufzunehmen.

Niveauvolle Debatte

Auch in den jüngsten Beratungen für die neue Verfassung von Schleswig-Holstein (2014) gehörte die Frage nach der Bezugnahme auf Gott in der Präambel zu den kontroversen Punkten. Nachdem im Sommer 2014 eine entsprechende Initiative von der CDU im Landtag ausgegangen war, die sich auch der Ministerpräsident des Landes und Teile der anderen Parteien zu eigen gemacht hatten, entzündete sich über den Sommer eine brennende parteiübergreifende Diskussion, die in eine Debatte des Landtages mündete. Ähnlich wie in Niedersachsen 1993/1994 fand diese Debatte in respektvoller Weise auf sehr hohem Niveau, mit hohem Engagement, mit sehr persönlichen Bekenntnissen und ohne jedwede Polemik statt.

Eine Betrachtung der parlamentarischen Debatten zeigt, dass dabei überwiegend um die Frage gerungen wurde, ob ein Bezug auf Gott im Verfassungstext der verfassungsmäßig garantierten weltanschaulichen Neutralität des Staates widerspricht. Eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Argumente könnte helfen, zu klaren Entscheidungswegen für oder wider einen Gottesbezug in der Verfassung zu kommen.

Welche Aspekte sind dabei zu berücksichtigen? Breiten Raum nimmt in den Debatten der Hinweis ein, die jeweiligen Staatengebilde ständen auf den Füßen christlich-jüdischer Tradition. Gleichwohl ist der geistig-kulturelle Raum, in dem sich europäische Verfassungen bilden, in wesentlichen Punkten aufgespannt durch jüdisch-christliche Grunderkenntnisse und unsere Kultur wesentlich durch das Christentum mitgeprägt. Darüber hinaus setzten die Protestanten, in dem sie seit der Reformation für eine klare Unterscheidung zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt eintraten, einen wichtigen Baustein in der Geschichte auf dem Weg zur Entstehung des modernen Verfassungsstaates. Daraus kann allerdings kein Monopol der Kirchen für die Vertretung von grundlegenden Werten und Überzeugungen, wie sie in der Verfassung fixiert werden, abgeleitet werden. Doch kann von einer Gesellschaft erwartet werden, dass sie ihre eigene christliche Prägung respektiert. Auf die Prägekraft des Christentums, die dem Staat nicht gleichgültig sein kann, hat das Bundeverfassungsgericht seit dem sogenannten Kruzifixurteil von 1995 mehrfach hingewiesen.

Verantwortung und Verbindlichkeit

Davon zu unterscheiden ist die ethische Frage, ob es verfassunggebenden Organen gut zu Gesicht steht, wenn sie sich darüber Rechenschaft ablegen, wem gegenüber sie verantwortlich sind. Man wird nicht bestreiten können, dass Verantwortung ein elementares Prinzip menschlichen Lebens zum Ausdruck bringt und auch eine Grundkategorie des modernen Rechtsstaates beschreibt.

Aus evangelischer Sicht ist es sachgemäß, wenn sich auch ein Verfassungsgeber bewusst macht, wem gegenüber er in seinem Handeln verantwortlich ist. Denn nur wer sich für sein Handeln verantwortlich weiß, kennt auch Verbindlichkeiten für sein Handeln. Die Grundeinsicht, dass Menschen ihr Handeln nicht lediglich vor sich selber verantworten können und dürfen, wird auch dem größten Religionskritiker evident sein. Der Gottesbezug tritt hier für die Benennung jener letzten verbindlichen Instanz ein, vor der alles menschliche Handeln sich zu verantworten hat. Dass Menschen ihr Handeln vor Gott verantworten und ihrer Machtausübung dadurch Grenzen gesetzt wissen, ist dabei in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft genauso zu berücksichtigen, wie die Gewissensfreiheit derer zu achten ist, die eine solche Bindung für sich nicht anerkennen.

Die im Schleswig-Holsteiner Landtag als Kompromissvorschlag eingebrachte Formulierung: (...) in Verantwortung vor Gott, den Menschen und im Bewusstsein des religiösen, philosophischen und humanistischen Erbes hätte eine Möglichkeit dargestellt, in der das zum Ausdruck gekommen wäre. Die Formulierung in Verantwortung vor Gott bringt also zunächst Einsicht in die Begrenzung staatlichen Handelns und staatlicher Macht und zugleich in die Vorläufigkeit, Fehlbarkeit und Unabgeschlossenheit menschlichen Tuns und aller menschlichen Verfassung zum Ausdruck. In den bundesdeutschen Debatten hatte man nach 1945 und nach 1989 sehr stark aus der Erfahrung mit totalitären Regimen argumentiert. Aus diesem Grund war es einem erheblichen Teil der Befürworter wichtig, in der Verfassung zu fixieren, dass politisches Handeln nicht einfach selbstmächtiges Handeln ist.

Zugleich verweist der Gottesbezug darauf, dass und in welcher Weise ein Staat - einem Diktum des Rechtsphilosophen und früheren Bundesverfassungsrichters Ernst Wolfgang Böckenfördes folgend - auf Voraussetzungen beruht, die er selbst nicht hervorbringen und garantieren kann und die darum unverfügbar sind. Einerseits meint das die Unverfügbarkeit der geschichtlichen Vorgaben. Das berührt eng den oben schon erwähnten Hinweis auf den Einfluss jüdisch-christlicher Tradition auf die europäischen Staatengebilde. Darüber hinaus geht es hier um die grundsätzliche Einsicht in die Unverfügbarkeit der Vorgaben. Der Verfassungsgeber erkennt durch diesen Hinweis an, dass er nicht Träger einer absoluten Volkssouveränität, sondern in Verantwortung vor Gott an die unverbrüchlichen Menschenrechte gebunden ist. Durch diesen Hinweis ist letztendlich auch die Menschenwürdegarantie im ersten Artikel des Grundgesetzes begründet.

Unbefangenheit der Staatsordnung

Ein so verstandener Gottesbezug dokumentiert die Unbefangenheit der Staatsordnung gegenüber der Religion und den Religionsgemeinschaften. Letztendlich wird dadurch auch ein Anhaltspunkt für die Auflösung eines möglichen Konfliktes zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit fixiert, was eine deutliche Unterscheidung von einem laizistischen Staat markiert und der Einsicht Raum gibt, dass Staat und Gesellschaft keine religionsfreien Zonen darstellen und Religionsausübung eben nicht auf den Bereich des Privat-Persönlichen zu beschränken ist.

Die christlichen Kirchen werden neben den anderen Religionsgemeinschaften in bestimmten Situationen in das Beziehungs- und Spannungsfeld des Politischen und der Rechtsordnung einwirken und sich einmischen - das rechte Wort zur rechten Zeit sagen (Sprüche 25,11).

Im Kontext dieser Unbefangenheit darf man auch den Gottesbezug in den Verfassungen verstehen und in evangelischer Perspektive durchaus befürworten.

Am Ende wurde die Verfassung von Schleswig-Holstein im September 2014 jedoch ohne Gottesbezug verabschiedet. Die notwendige Zweidrittelmehrheit kam nicht zustande. Hohe Vertreter der evangelischen wie der katholischen Kirchen bedauerten die Entscheidung sehr. In der neuen Verfassung von Schleswig-Holstein ist die Möglichkeit der Volksinitiative vorgesehen, sodass der Landtag sich mit Themen beschäftigen muss, wenn 20.000 wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger dies fordern. Während noch direkt nach der Abstimmung der Grünenabgeordnete des Landtags und Präses der Nordkirchensynode Andreas Tietze bekräftigte, sich für eine Volksinitiative in dieser Sache einzusetzen, erklärte die Nordkirche einige Tage später, selbst keine Volksinitiative auf den Weg bringen zu wollen. Die Frage der Unterstützung einer möglichen Volksinitiative wurde von Vertretern der Nordkirche unterschiedlich beantwortet. Das katholische Erzbistum Hamburg hatte direkt nach der Verabschiedung der Verfassung eine Volksinitiative angekündigt und hoffte dabei auf die Unterstützung evangelischer Christinnen und Christen.

In Schleswig Holstein sind etwa sechs Prozent der Bevölkerung katholisch und rund 53 Prozent evangelisch. Die Chancen, eine Volksinitiative zum Erfolg zu bringen, stehen wegen des niedrigeren Quorums als 1993 in Niedersachsen recht gut. Es bleibt den Bürgerinnen und Bürgern Schleswig-Holsteins überlassen, eine solche Volksinitiative auf den Weg zu bringen, und es steht den Vertretern der evangelischen und katholischen Gemeinden und Verbände offen, den Impuls für eine solche Initiative zu geben und die Unterstützung deutlich zu formulieren. In diesem Zusammenhang ist bedenkenswert, dass in der Debatte in Schleswig-Holstein mehrfach von politischen Mandatsträgern vorgetragen worden ist, das Bekenntnis zu der Verantwortung vor Gott habe eine hohe integrative Funktion und werde in der Bevölkerung überwiegend als gemeinsames, integratives Band in der weltanschaulich pluralen Gesellschaft der Bunderepublik Deutschland erlebt.

Werner Weinholt

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Politik"