Offen wie Buber

Der Kirchentag sollte Messianische Juden zulassen
Die Gegner der Judenmission sollten etwas gelassener und offener sein.

"Messianische Juden" dürfen auch beim Kirchentag, der in einem halben Jahr in Stuttgart stattfindet, nicht auf dem "Markt der Möglichkeiten" auftreten. Bei ihnen handelt sich um Leute, die sich als Juden empfinden oder von einer jüdischen Mutter abstammen und so nach herkömmlich-jüdischer Auffassung als Juden geboren wurden. Im Laufe des Lebens haben sie wie Pietisten ein Bekehrungserlebnis gehabt und betrachten Jesus als den Messias, die Erlösergestalt, auf die Juden hoffen. Und sie wollen - was psychologisch verständlich ist - Juden weitergeben, was sie selber als großartig, befreiend erlebt haben. Aber letztlich läuft dies auf das hinaus, was früher die christliche Judenmission versuchte, Juden aus ihrer Religionsgemeinschaft herauszulösen.

Trotzdem ist die Entscheidung falsch, Messianische Juden nicht zum Markt der Möglichkeiten zuzulassen. Schließlich dürften Kirchentagsbesucher in der Lage sein, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ja, manche haben wahrscheinlich erst und nur dort die Möglichkeit, mit Messianischen Juden zu sprechen und sich auseinanderzusetzen. Natürlich muss es auch bei einem pluralistischen Markt der Möglichkeiten Grenzen geben. Nichts zu suchen haben dort Gruppen, die diejenigen, die anders leben, als von Gott verworfen darstellen. Aber das tun die Messianischen Juden nicht.

Die Gegner der Judenmission sollten etwas gelassener und offener sein. Dazu anregen können der Ort des Kirchentages und eine mit ihm verbundene Erinnerung. Anfang März 1930 tagten in Stuttgart die deutschen Judenmissionsgesellschaften. Sie hatten Martin Buber, einen prominenten Vertreter des Judentums, um einen Vortrag gebeten. Er kam und sprach im Haus des CVJM - unter der Statue des Segnenden Christus von Thorwaldsen. Buber bekannte offen, dass er "der Sache", um die es den Judenmissionaren gehe, "entgegen" sei. Und er brachte auf den Punkt, was Juden von Christen trennt - und man könnte hinzufügen: auch von den Messianischen Juden. Der Christ, der in Jesus den Messias sieht, erscheine einem Juden "als der Verwegene, der in der unerlösten Welt ihre vollzogene Erlösung behauptet", sagte Buber. Mit anderen Worten: Für Juden ist der Messias so lange nicht erschienen, so lange die Welt noch unerlöst ist.

Buber beschränkte sich in Stuttgart aber nicht auf das, was Juden und Christen trennt, sondern zeigte auch, was sie verbinden kann: "Sobald es uns, Christen und Juden, wirklich um Gott selber und nicht bloß um unsere Gottesbilder zu tun ist, sind wir in der Ahnung verbunden, daß das Haus unseres Vaters anders beschaffen ist, als unsere menschlichen Grundrisse meinen."

Dem stimmen Messianische Juden und ihre evangelikalen Unterstützer sicher nicht zu. Umso wichtiger wäre es, wenn andere Protestanten und die Juden sich von Bubers Gelassenheit und Offenheit anstecken ließen. Immerhin soll es beim Kirchentag ein Podium geben, auf dem auch Messianische Juden sich Argumenten stellen - und ihren Glauben bezeugen können.

Im Übrigen wird der Bestand des Judentums in Europa und den USA nicht durch Messianische Juden bedroht, in Deutschland sind es wohl rund 1.000, sondern durch Säkularisierung, Überalterung und Ehen mit Andersgläubigen. Daher sollten Rabbiner(konferenzen) auch Kinder als Juden anerkennen und als Vollmitglieder in die Gemeinden aufnehmen, wenn nur der Vater Jude ist.

Reportage "Messianische Juden", zz 5/2013

Jürgen Wandel

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