Traummusiken

Ravels "Daphnis et Chloé"
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Eine prachtvolle, leidenschaftlich-sinnliche Musik, die dem Gott Pan enorm gefallen dürfte.

"Stille ist die schönste Musik, die mächtigste und wohltuendste." So empfindet es Philippe Jordan, Musikdirektor der Pariser Oper und Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Erst vierzig Jahre alt, gehört der Schweizer zu den großen Talenten seiner Zunft. "Die allergrößte Musik", sagt er noch, "kommt aus der Stille."

Vielleicht liegt ihm deshalb Ravels "Daphnis et Chloé" so sehr am Herzen. Das Ballett entwickelt sich zart aus der Stille heraus und findet - trotz aller Turbulenzen im Laufe der Handlung - immer wieder zu ihr zurück. Die dynamischen Wandlungen sind enorm, was den Hörgenuss daheim auf der Hifi-Anlage nicht ganz einfach macht: Manche Passage an der Grenze zum Unhörbaren möchte man lauter drehen, nur um gleich darauf zu erleben, wie einem Chor und Orchester die Ohren wegblasen. Ravel wollte es so haben und schrieb in die ohnehin üppige Besetzung des Orchesters auch noch ein Äoliphon, eine Windmaschine hinein.

Die Sequenz "Lever du jour" ist so etwas wie ein Hit im Repertoire Ravels, das Gesamtwerk "Daphnis et Chloé" wird dagegen selten aufgenommen. Philippe Jordan hat es zunächst elfmal im Frühjahr 2014 an der Opéra Bastille geleitet, überarbeitet und dann im Herbst dort mit dem Orchester und Chor der Pariser Oper aufgenommen. Das Ergebnis ist eine prachtvolle, leidenschaftlich-sinnliche Musik, die dem Gott Pan, der in der pastoralen Entführungsgeschichte die rettende Rolle spielt, enorm gefallen dürfte.

Ravel selbst hat das Ballett als "ein riesiges musikalisches Fresko" bezeichnet, das er in "Treue zum Griechenland meiner Träume" komponiert habe. In diesem Traumland der Vergangenheit toben sich Hirten, Nymphen und Piraten aus, so wie es der griechische Dichter Longos im 2. Jahrhundert nach Christus erdacht hat. In Ravels Musik wird daraus ein Wechselspiel lieblicher, gespenstischer und wild wirbelnder Sequenzen. Der Einsatz des Chores, ein ungewöhnliches Stilmittel in Tanzwerken, verstärkt gezielt die Wucht einzelner Momente - in Jordans Interpretation erhalten die Sängerinnen und Sänger die zentrale Rolle.

Einen Traum ganz anderer Art hat Ravel in "La Valse" zu Klang geformt. Es ist die Erinnerung an die scheinbar heile Welt des Wiener Walzers, betrachtet über den Abgrund des Ersten Weltkriegs hinweg. Kurz nach dessen Ende hat Ravel das Stück geschrieben. Die Dreiviertel-Seligkeit muss sich erst aus dem Ungewissen herausschälen und bleibt auch dann trügerisch gebrochen. Ravel und mit ihm Jordan verneigen sich vor Strauß und lassen zugleich keinen Zweifel, dass diese Zeit für immer verloren ist.

Ravel - Daphnis et Chloé. Erato 0825646 166848

Ralf Neite

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