Saft und Veranda

Die Punch Brothers am Start
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Ein Zaubergarten und eines dieser Alben, die bei jedem Hören wunderbarer, größer werden.

Supergruppen entstehen, so lehrt es die Popliteratur, wenn sich die kreativen Köpfe bereits großer Bands zusammentun. Ästhetischen Mehrwert bedeutet das aber nicht unbedingt. Den liefern die Punch Brothers kübelweise. Mit Mandoline, Banjo, akustischer Gitarre, Geige und Kontrabass hat sie die klassische Bluegrassbesetzung. Bluegrass ist auch stilistisch ihre Wurzel, also jene manchen noch immer als deppert geltende Hinterweltlermusik aus den Bergen von Kentucky und Tennessee.

Mastermind ist der 34-jährige Mandolinenvirtuose und Komponist Chris Thile, der als Genie gilt. Wer ihn spielen hört, versteht. 2012 bekam er ein mit 500.000 Dollar dotiertes Mac Arthur-Stipendium zugesprochen. Durch seine lyrische Verbindung von traditioneller Bluegrass-Orchestrierung mit anderen Stilen und Genres, so hieß es, schaffe er eine neue musikalische Ästhetik.

Frisch zu bestaunen ist sie auf dem Album "The Phosphorescent Blues", das tatsächlich Verborgenes sichtbar, in der Musik erlebbar macht, durchscheinen lässt. Es beginnt mit der dreiteiligen gebetsartigen Suite "Familiarity", die gleich alle Stärken dieser Band versammelt: Harmoniegesang à la Beach Boys-Pet Sounds, fesselnde Lebenslyrik, erst fremd erscheinende Instrumentierung, reichhaltige Klangfacetten und Kompositionen, die organisch zwischen Countryflair, psychedelischem Folkpop-Knaller, Uptempo-Roller, Americana und Kammermusik changieren.

Dass sie den vierten Satz von Debussys für Klavier geschriebener "Suite bergamasque" als einziges Instrumental für Bluegrassbesetzung arrangiert mit auf die Platte genommen haben, klingt absolut schlüssig. Können, Virtuosität, Banddynamik und Vision geben es her - ein Zaubergarten und eines dieser Alben, die bei jedem Hören wunderbarer, größer werden und die mutmaßlich wiedererkannten Elemente vielfältiger (Penguin Cafe Orchestra, Neil Young, Jim White et cetera). Der Harmoniegesang ist wie im Bluegrass üblich stets dicht an der Melodie, die Songs sind stark. "Julet" etwa mit dem irisierenden Wunsch-für-das-Leben-Refrain "Heaven's/a julep on the porch" (der Himmel ist ein Saft auf der Veranda), wobei der lyrische Rhythmus eigentlich eine weitere Silbe verlangte, aber die setzt ein Bluegrass-typischer Chop-Schlag der Mandoline. Passt.

Die Punch Brothers-Musikalität fasziniert. Klangspektrum und ungewohnte Phrasierungen führen in Regionen, wo Tagträumen und Lyrismen dem Igel des Alltags erfolgreich in die Tasche greifen und Erstaunliches erbeuten. Seltsam zeitlos, drängend gegenwärtig: The Phosphorescent Blues. Eine Entdeckung, obwohl viele unbewusst die Punch Brothers längst kennen, traten sie doch in dem Coen-Brüder-Film "Inside Llewyn Davis" auf.

Punch Brothers: The Phosphorescent Blues. Nonesuch/Warner 2015

Udo Feist

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