Henkersehre

Das Leben des Frantz Schmidt
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Wer - heimlich oder offen - Freude an der Schilderung brutaler Folter- und Tötungsmethoden hegt, kommt hier auf seine Kosten.

Frantz Schmidt war in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher Mann. Zum einen wegen seines Berufes. Er arbeitete rund um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert in Nürnberg als Scharfrichter, folterte und tötete also Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise. Zum anderen, weil er über diese Arbeit genau Buch führte, und es nicht nur bei bloßen Zahlen und Statistiken beließ, sondern sowohl seine Hinrichtungen als auch immer wieder die Taten der von ihm Verurteilten beschrieb. Diese Berichte wurden erstmals im Jahr 1801 veröffentlicht. Nun hat der US-amerikanische Historiker Joel Harrington sich dem Stoff ein weiteres Mal angenommen, hat bislang unveröffentlichte ältere Abschriften der Manuskripte Schmidts entdeckt und dies alles mit fundiertem und detailreichem Wissen über die Jurisprudenz der frühen Neuzeit zu einem ausgesprochen lesenswerten und lehreichen Buch verarbeitet.

Spannend dabei: Frantz Schmidts Leben und Wirken fiel in eine Zeit wichtiger Reformen im Rechtswesen, die von im römischen Zivilrecht geschulten Juristen angestrebt wurde. Gleich zu Beginn war die Bambergensis genannte "Bambergische Halsgerichtsordnung" in Frantzens Heimatstadt, in der sein Vater als Scharfrichter arbeitete, ein wichtiger Grundstein zur Professionalisierung des Gewerbes. Denn das als Handbuch für Laienrichter verfasste Werk gab nun genaue Anleitungen darüber, wie die unterschiedlichen Tötungen zu vollziehen seien. Die vom Kaiser Karl V. legitimierte "Constutio Criminalis Carolina" hingegen sollte für eine einheitlichere Rechtsprechung und Bestrafung im gesamten Reich sorgen. Mit alldem verbunden war eine gewisse gesellschaftliche Aufwertung des Scharfrichters, der ebenso wie seine Familienmitglieder noch weitestgehend sozial isoliert in der städtischen Gesellschaft war. Dabei hatten sie ja durchaus durch ihre Arbeit medizinisches Wissen erworben, das sie als Heilkunst auch weiterzugeben wussten. Dennoch blieben die Justizvollzugsbeamten dieser Zeit ebenso gefürchtete wie geächtete Figuren, was auch Frantz in seiner Kindheit leidvoll erfuhr. Deshalb war ihm wohl der Kampf um gesellschaftliche Anerkennung so wichtig, die er durch möglichst professionelle Arbeit und erfolgreiche öffentliche Inszenierungen eines "schönen Todes" erreichen wollte. Er machte seine Arbeit also so gut wie möglich, wollte aber gleichzeitig seinen Söhnen ersparen, dass auch sie in die beruflichen Fußstapfen des Vaters treten mussten. Zu diesem Zweck schrieb er sogar nach dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit eine Petition an den kaiserlichen Hof und bat um die Wiederherstellung der Familienehre. Dies gelang - und seine Söhne konnten nunmehr als "Heiler" arbeiten und so wieder näher an die gesellschaftliche Mitte herantreten.

Das alles beschreibt Harrington so lebendig und lesbar, wie man es von Professoren aus dem angelsächsischen Raum gewohnt ist. Dass er eher sparsam mit Originalzitaten aus Frantz Schmidts Aufzeichnungen umgeht, mag der an Quellenforschung interessierte Leser kritisieren. Wer aber auf die leicht verstehbare Vermittlung historischer Zusammenhänge Wert legt, ist Harrington angesichts der ungewohnten Rechtschreibung und Wortwahl Schmidts dafür dankbar. Auch wer - heimlich oder offen - Freude an der Schilderung brutaler Folter- und Tötungsmethoden hegt, kommt auf seine Kosten. Wer hingegen nach den Gefühlen und inneren Zwiespalten des Henkers fragt, wie es auch Harrington immer wieder tut, bleibt am Ende etwas ratlos zurück. Das ist aber dem Historiker nicht vorzuwerfen, die Quellen gaben offenbar nicht mehr her. Die Seele des Henkers bleibt für uns weitgehend im Dunkel - aber vielleicht ist das auch gut so.

Joel Harrington: Die Ehre des Scharfrichters. Meister Frantz oder ein Henkersleben im 16. Jahrhundert. Siedler Verlag, München 2014. 400 Seiten, Euro 24,99.

Stephan Kosch

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