Ein Angebot zur Sühne

Gespräch mit dem Strafrechtler und Rechtsphilosophen Reinhard Merkel über den Sinn der Strafe und ihre Grenzen
Foto: dpa/Karlheinz Schindler
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Strafe spielt im Rechtssystem eines Staates eine wichtige Rolle, damit eine gebrochene Norm verteidigt wird. Doch dieser Mechanismus stößt immer wieder an Grenzen. Diese beschreibt Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Hamburg.

zeitzeichen: Herr Professor Merkel, welche Funktion übernimmt Strafe in unserem Rechtssystem?

Reinhard Merkel: Die primäre Funktion der Strafe ist die Verteidigung der Geltung einer gebrochenen Norm. Und zwar einer Norm, die so wichtig ist für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben, dass sie - eben durch die Strafe - besonders intensiv geschützt werden muss.

Wir hätten eine andere Antwort erwartet. Vergeltung oder Verhinderung einer neuen Straftat. Spielen diese Dinge keine Rolle?

Reinhard Merkel: Beides spielt eine Rolle, ist aber sekundär. Primär ist die Verteidigung der verletzten Normgeltung. Wir bestrafen heute auch Leute, die 93 Jahre alt sind, wenn sie in Auschwitz an der Rampe die Mordopfer selektiert haben. Wiewohl solche Täter niemandem mehr gefährlich werden können und wiewohl ihre Taten so lange zurückliegen, dass ein echtes Vergeltungsbedürfnis, das der Staat zu bedienen hätte, nur schwer behauptet werden kann. Aber wir brauchen eine Art symbolischer Reparatur der Norm, wenn sie in einem so exorbitanten unerträglichen Maß gebrochen wurde. Und derjenige, der die Norm gebrochen hat, muss für ihre Reparatur bezahlen, damit diese glaubhaft sein kann. Und darin eben besteht die Strafe.

Aber damit sind wir doch bei der Sühne. Denn der normale Mensch sagt, wer in Auschwitz Menschen in die Gaskammer geschickt hat, darf nicht davonkommen. Seine Taten müssen gesühnt werden ...

Reinhard Merkel: … weil er es verdient hat, sagt der normale Mensch. Ich sage, das ist allenfalls ein sekundärer Gesichtspunkt. Wir müssen eine solche gebrochene Norm symbolisch wieder in ihrem Geltungsanspruch restituieren, und deswegen brauchen wir ein Strafverfahren - grundsätzlich. Wie sich das mit dem "höchstpersönlichen Verdienen" seitens des Täters verhält, ist weitaus weniger klar. Ich bin übrigens dagegen, dass man Leute, die kurz vor ihrem Tod stehen, noch mit einem Strafverfahren überzieht.

Nun widersprechen Sie sich selbst.

Reinhard Merkel: Nein. Nehmen Sie das Verfahren gegen Erich Honecker in den Neunzigerjahren. Bei ihm wurde Krebs diagnostiziert, seine Lebenserwartung wurde auf wenige Monate geschätzt. Daraufhin hat der Verfassungsgerichtshof Berlin die Einstellung des Verfahrens angeordnet. Ich habe die Entscheidung für richtig gehalten, denn Honecker war für die Bestrafungsaktion selbst kein tauglicher Adressat mehr. In solchen schwierigen Einzelfällen sind so genannte rein objektive Verfahren denkbar, die ohne einen Angeklagten durchgeführt werden. Das ist in extremen Ausnahmefällen plausibel, eben zur Normverteidigung. Der Täter selbst kann dagegen nicht mehr bestraft werden. Es sollte aber öffentlich demonstriert werden, dass Unrecht geschehen ist und dass das eigentlich strafwürdig war.

Sühne bleibt in solchen Fällen aus.

Reinhard Merkel: Ja. Aber Sühne ist ohnehin nicht dasselbe wie Vergeltung. Sühne ist, und etymologisch klingt das ja noch an, auch ein Angebot an den Täter selber zur Versöhnung mit der Gesellschaft und mit sich selber. Der Staat hat auch die Pflicht, einem Straftäter dazu die Gelegenheit zu geben. Nehmen Sie mal jemanden, der in Eifersucht seine Geliebte tötet, weil die ihn betrogen hat! So jemand braucht vielleicht die Strafe, um mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen. Ich habe in einem Film ein Interview mit einem Schwerkriminellen gesehen, der wegen Totschlags im Gefängnis saß und nach zwei Dritteln der Haftzeit wegen guter Führung entlassen werden sollte. Er hat das tatsächlich abgelehnt: Er sei noch nicht im Reinen mit sich selbst, brauche dafür noch Zeit in der Haft. Ein kaltblütiger Mörder mag so nicht denken. Aber der Staat hat die Pflicht, ein solches Sühneangebot zu machen, auch wenn es viele Straftäter nicht erreicht.

Bei denen geht es dann eher darum, künftige Straftaten zu verhindern, auch durch Abschreckung?

Reinhard Merkel: Nun, das ist eine schwierige Frage. Es gibt einen berühmten Einwand dagegen, den Heinrich Heine mal formulierte, der auch Jurist war. Heine sagt, das Widersinnige am Abschreckungsgedanken sei, dass man einem Täter sage: Du musst leiden, damit andere nichts Böses tun. Die Funktionalisierung des Einzelnen, um andere zu adressieren, ist keine akzeptable Grundlage für die Bestrafung. Es gibt übrigens in der justiziellen Praxis durchaus den Trend, bei Straftaten, deren Begehung zunimmt, den Täter härter zu bestrafen, als es das Maß seiner individuellen Schuld eigentlich rechtfertigt, um andere abzuschrecken. Das halte ich für illegitim.

Das Strafrecht wurde entwickelt in einer Zeit, in der Religion noch eine viel größere Rolle spielte. Welchen Einfluss hatten Kirchen auf die Entwicklung von Strafe?

Reinhard Merkel: Der Einfluss war erheblich. Auch noch nach der Aufklärung spielte die Religion in dem dann schon zentralisierten staatlichen Strafrecht eine wichtige Rolle. Die Normbrüche, die durch Strafe wieder repariert werden sollten, waren naturgemäß oft Taten, die in der Kirche Sünde genannt wurden. Jemand zu töten, zu vergewaltigen, zu berauben, zu bestehlen, zu beleidigen - das alles sind Angriffe gegen soziale Normen und in theologischer Perspektive zugleich Sünden vor Gott. Es gab aber auch Bereiche, die genuin nur als Sünde erfassbar waren und dennoch ihren Weg ins Strafrecht fanden.

Etwa bei Sexualdelikten?

Reinhard Merkel:: Ja, jedenfalls solange man diese als "Sittlichkeitsdelikte" begriff. Dafür lassen sich Beispiele bis ins 20. Jahrhundert hinein finden. So stand in Bayern das so genannte Konkubinat nach dem Landesrecht noch bis Anfang der Dreißigerjahre unter Strafe. Selbst nach dem Krieg spielten religiöse Hintergründe eine dann zwar geleugnete aber historisch höchst bedeutsame Rolle, etwa bei der bis in die Siebzigerjahre geltenden Strafdrohung gegen einfache Homosexualität. In dem berühmten Strafgesetzentwurf von 1961, der von bedeutenden und klugen Strafrechtlern verfasst wurde, findet sich noch ein Sexualstrafrecht, das stark geprägt war vom vermeintlichen Kampf gegen die Sünde. Die Verfasser sprachen, wie das Gesetz damals auch noch, von "Straftaten gegen die sexuelle Sittlichkeit", dazu zählte auch der alte Paragraph 175, also Homosexualität unter einwilligungsfähigen erwachsenen Männern. Begründet wurde das zwar offiziell nicht mehr mit göttlichen Geboten, auch wenn das die geschichtliche Wurzel war. Stattdessen wurden andere historische Argumente bemüht. Etwa, dass der Niedergang des römischen Reiches mit der Verwahrlosung der sexuellen Sittlichkeit begonnen habe. Heute liest man das nur noch mit Kopfschütteln.

Wann hat sich das geändert?

Reinhard Merkel: 1963 haben junge Professoren einen Alternativentwurf vorgelegt. Sie wollten das Strafrecht vom unmittelbaren Einfluss der Religion befreien. Nicht natürlich, weil sie für Ehebruch oder Sodomie gewesen wären. Aber sexuelle Handlungen an Tieren sind heute mit Recht als Tierquälerei strafbar, wenn sie das Tier quälen, und nicht mehr aus sittlichen Gründen. Religiöse Vorschriften und die Regeln des zivilisierten Benehmens haben ihre Bedeutung, auch in unserer Gesellschaft. Doch dafür sollte nicht das Strafrecht zuständig sein. Karl Kraus, der große österreichische Satiriker, hat einmal geschrieben, die irdische Gerechtigkeit möge sich nicht vermessen, in die Zuständigkeit der überirdischen einzugreifen und die österreichischen Staatsanwälte für den lieben Gott zu mobilisieren. Und das ist vollkommen richtig. Das sage ich auch mit Blick auf die Debatte über den Paragraph 166 StGB, den so genannten Blasphemieparagraphen.

Warum sagen Sie so genannter Blasphemieparagraph?

Reinhard Merkel: Weil er das gar nicht ist. Der schützt nicht etwa den lieben Gott. Paul Johann Anselm von Feuerbach, der Urvater des modernen deutschen Strafrechts, hat schon 1801 als ganz junger Mann, 23-jährig, in seinem Lehrbuch geschrieben, dass es Nonsens sei, zu glauben, dass die Gottheit beleidigt werden könne. Zu glauben, dass sie sich wegen Beleidigung ihrer Ehre an Menschen rächen werde, sei noch größerer Nonsens. Und dass sie just die deutschen Staatsanwälte und Strafgerichte brauche, um mit ihren Beleidigern wieder versöhnt zu werden, sei vollkommener Unfug. Gotteslästerung ist kein plausibles Delikt. Das hat die Rechtsordnung seit Feuerbach auch akzeptiert, tat sich dann aber immer wieder schwer damit, die Strafdrohung des Paragraphen 166 StGB zu begründen.

Also sind Sie auch der Meinung, dass der Paragraph ersatzlos gestrichen werden soll?

Reinhard Merkel: Ich schwanke. Der Paragraph ist keineswegs unsinnig. Er schützt zuletzt die Menschenwürde von Gläubigen. Die ist ja durch Bekenntnisbeschimpfung auf eine ganz andere Weise verletzbar als bei Atheisten. Nehmen Sie zum Beispiel das Titelbild auf der Titanic, das den Papst als inkontinenten Mann gezeigt hat. Ich bin kein Sympathisant des römischen Papstes, und schon gar nicht von Benedikt XVI. Aber so etwas hat man nicht zu tun, das war mehr als ein grob schlechtes Benehmen, es war eine massive Beleidigung des Papstes, die er strafrechtlich nicht hinnehmen musste. Gleichzeitig wird aber damit auch ein religiöses Bekenntnis wüst und roh beschimpft. Ein fingiertes Titelbild, in dem ein Kirchenoberhaupt in die Soutane pinkelt, dürfte das innerste Selbstbild und damit auch die Würde streng gläubiger Menschen tangieren. Und die hat der Staat selbstverständlich zu schützen.

Aber er muss doch auch die Meinungsfreiheit schützen. Darf Satire nicht alles?

Reinhard Merkel: Satire darf selbstverständlich nicht alles. Die beliebte gegenteilige Behauptung ist bloß der alberne Topos eines Kulturphilistertums, das mit dem platten Verweis auf Tucholsky irgendeine imaginäre Überlegenheit reklamiert. Echte Satire ist normgebundene Kunst. Sie verteidigt grundlegende Normen gegen deren Erosion im gesellschaftlichen Leben. Karl Kraus, der mit seinem eigenen Schreiben Menschen vernichtend treffen konnte, hat einmal gesagt, Satire, die über ihren Anlass hinaus witzig sein will, sei eine Angelegenheit der schlechten Erziehung. In diesem Sinne darf Satire schon aus ethischen Gründen nicht alles, aber auch aus rechtlichen, strafrechtlichen Gründen nicht. Wenn jemand in der äußeren Form einer Karikatur oder einer schriftlich formulierten Glosse satirisch sein will, genießt er den Schutz der Kunstfreiheit. Er darf sich eine Menge herausnehmen, durchaus weit mehr an Verletzungswirkung als etwa mit einem direkten körperlichen Eingriff beim anderen, zum Beispiel einer Ohrfeige. Er nimmt für seine Verletzungshandlung als Satiriker den öffentlichen Raum in Anspruch und interveniert nicht direkt im Körper des Angegriffenen. Aber es gibt auch dafür eine Grenze, und das ist der Kern der Persönlichkeit des anderen, der auch durch ein religiöses Bekenntnis maßgeblich bestimmt sein kann. Wenn das in grober, in besonders roher Form, verletzt wird, wie es der Paragraph 166 voraussetzt, berührt das die Würde der Gläubigen.

Nun holen Sie die Religion, die aus guten Gründen aus dem Strafrecht gelöst wurde, wieder zurück. Ist das, gerade mit Blick auf die Tötung der Journalisten von "Charlie Hebdo", nicht ein problematisches Signal?

Reinhard Merkel: Der Paragraph 166 StGB beinhaltet ja auch die Klausel, dass die Beleidigung dazu geeignet sein muss, den öffentlichen Frieden zu stören. Diese Klausel halte ich für wichtig. Viele Muslime fühlen sich offenbar schon sich in ihrem Frieden gestört, wenn Mohammed irgendwie karikiert oder überhaupt nur bildlich dargestellt wird. Doch die Schwelle des öffentlichen Unfriedens darf nicht durch eine kleine, gewaltbereite Gruppe definiert und nach deren Maßstäben abgesenkt werden. Öffentlicher Friede ist ein normativer und kein empirisch sozialpsychologischer Begriff. Den Muslimen hier in Deutschland muss gesagt werden: Das müsst ihr aushalten. Ihr könnt dagegen demonstrieren, aber nicht mit Gewalt reagieren. Es gehört zu unserer aufgeklärten Zivilisation, dass Religion und religiöse Figuren scharf attackiert werden dürfen. Sie dürfen nur nicht roh und wüst beschimpft werden. Die Hürde für die Zuständigkeit einer Strafnorm muss hoch sein. Und man kann in jedem Einzelfall darüber streiten, ob sie schon gerissen wurde. Aber es gibt sie.

Nach der christlichen Vorstellung gibt es die irdische Gerichtsbarkeit und dann auch ein Jüngstes Gericht, in dem allein Gott urteilt. Führt ein solcher Gedanke nicht zu einer Humanisierung des Strafrechts?

Reinhard Merkel: Ich denke, dass Sie in einem bestimmten Sinn Recht haben. Aber das ist vielen Strafrechtlern nicht bewusst. Es geht dabei nicht um die Frage, ob jemand einen Straftatbestand erfüllt hat. Es betrifft vielmehr die Reichweite seiner persönlichen Schuld. Gibt es so etwas wie eine ultimative Letztverantwortung? Gibt es, heißt das, eine hinreichende Freiheit des Willens, die uns erlaubt, jemandem vor dem irdischen Strafgericht als ultimativ letztverantwortlich zu beurteilen? Ich glaube, so etwas gibt es nicht. Es mag eine Art Letztverantwortlichkeit geben, mit der der einzelne von und vor seinem ewigen Richter konfrontiert werden mag. Die irdische Gerechtigkeit hat aber keine Möglichkeit, eine so weit reichende Freiheit und damit eine so weit reichende Schuldfähigkeit festzustellen. Wir sind genötigt, uns zu bescheiden mit dem, was wir feststellen können. Der Strafrichter sollte nicht davon ausgehen, dass er eine sozusagen universal gerechte Vergeltung üben könne, weil der Täter der ultimativ letzte Zurechnungspunkt seines eigenen Tuns sei. Das wissen wir nicht genau. Wohl haben wir keine sinnvolle Alternative zu einer Normverteidigung per Strafe. Aber möglicherweise verurteilen wir Täter, die wir für hinreichend schuldfähig halten, für etwas, das sie vielleicht nicht vermeiden konnten. Wie es sich damit zuletzt verhält, wissen wir nicht. Und an diese Grenze unserer Erkenntnismöglichkeiten werden wir erinnert, wenn uns gesagt wird, es gebe jemanden, der zuständig sei für diese ultimative Letztverantwortlichkeit, die irdische Gerechtigkeit sei es nicht. Das ist eine Mahnung zur Bescheidenheit und damit durchaus zur Humanisierung.

Hat das nicht Konsequenzen, wenn Strafrecht und Menschenrecht miteinander in Konflikt geraten? Etwa bei der Todesstrafe?

Reinhard Merkel: Ja, die Todesstrafe ist eindeutig illegitim. Das kann man dreifach begründen. Der erste Grund ist der von Thomas Hobbes formulierte Grundgedanke des Sozialvertrags. Der Staat ist um des Bürgers willen da, nicht umgekehrt. Der Staat muss seine Zwangsherrschaft durch das Recht immer wieder legitimieren. Dazu darf er das ihn zuallererst legitimierende Verhältnis zu jedem seiner Bürger nicht für immer kündigen, indem er diesen töten lässt. Der zweite Grund: Todesstrafe ist die ultimative Letztstrafe, sie vernichtet das Leben. Dafür ist, wie ich schon angedeutet habe, die irdische Gerechtigkeit nicht zuständig. Sie kann einen korrespondierenden Schuldbegriff nicht formulieren. Gott mag das können, wir nicht. Deswegen gibt es keine Möglichkeit der Feststellung individueller Schuld, die einer Vernichtung des Lebens korrespondieren könnte. Nicht einmal gegenüber Adolf Hitler hätte es das geben können. Und drittens ist die Vorstellung eines Fehlurteils und die anschließende Hinrichtung eines Unschuldigen mit dem ganzen Aplomb hoheitlicher Prozeduren so scheußlich, dass wir das juristisch als generell unerlaubtes Risiko bewerten müssen. Wir haben in Amerika inzwischen Einsichten, dass die Rate der Fehlurteile bei vollstreckten Todesstrafen bei bis zu drei Prozent liegt. Damit ist die Todesstrafe sozusagen a limine illegitim aus der Perspektive des Menschenrechts. Es gibt aber auch andere illegitime Strafen.

Welche meinen sie?

Reinhard Merkel: Demütigende, die Menschenwürde antastende Strafen, etwa Prügelstrafen. Schauen Sie, was derzeit in Saudi-Arabien mit diesem Blogger geschehen ist, der zu tausend Peitschenhieben verurteilt worden ist. So etwas ist unausweichlich tödlich. Immer fünfzig pro Woche. Das tötet den Mann in der zweiten Woche. Es ist auf eine Weise barbarisch, die die Bundesregierung und den ganzen Westen eigentlich zwingen müsste, mit diesem Staat ganz anders umzugehen, als sie es tun. Staaten, die die Trennung von Rechtsordnung und Religion auch in ihrem Strafrecht noch nicht vollzogen haben, tendieren immer zum Terror. Sie fühlen eine Art höherer Rechtfertigung für das, was sie tun, die sie buchstäblich besinnungslos macht. Sie sagen sich, wir tun das im Namen Gottes, deshalb dürfen wir das. In diesem Sinne ist die Trennung von Religion und Staat eine unabdingbare Prämisse für einen liberalen Rechtsstaat und sein Strafrecht und damit für die Menschlichkeit seiner rechtlichen Physiognomie.

Das Gespräch führten Stephan Kosch und Jürgen Wandel am 28. Januar 2015 in Hamburg.

Reinhard Merkel, Jahrgang 1950, ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg. Er studierte Rechtswissenschaften in Bochum und Heidelberg und Rechtswissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft in München. Dort legte er auch sein Juristisches Staatsexamen ab. Zwischen 1988 und 1990 war er Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit". 1991 erhielt er den Jean-Amery-Preis für Essayistik. Nach Promotion in München und Habilitation in Frankfurt am Main nahm er 1998 die Lehrtätigkeit auf. Merkel ist Mitglied des Deutschen Ethikrats.

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