Prekäre Arbeit

Polnische Pflegekräfte im Einsatz
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Haffert deckt in ihrem Buch zahlreiche Missstände auf. Es ist aber auch als Leitfaden für Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen konzipiert.

Wie viele Polinnen in deutschen Haushalten als Pflegekräfte genau arbeiten, weiß niemand. Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht von bis zu 200.000 osteuropäischen Pflegekräften aus, allerdings dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen. Sozialexperten sprechen von bis zu einer halben Million Arbeitsmigranten in der häuslichen Pflege. Häufig arbeiten die Frauen und Männer unter Bedingungen, die juristisch fragwürdig sind.

In ihrem Buch "Eine Polin für Oma" beschreibt Ingeborg Haffert die Beschäftigungsmodelle, die es derzeit in Deutschland gibt: Rechtlich einwandfrei, wenn auch mit erheblichem Verwaltungsaufwand, gestaltet sich die Festanstellung. Strafbar, allerdings kaum geahndet, ist die Scheinselbständigkeit. Viele Polinnen werden zudem über Agenturen nach Deutschland vermittelt. Diese Entsendung auf Zeit, die auf Grundlage der Dienstleistungsfreiheit für alle EU-Bürger möglich ist, ist ein Modell, das die Grauzonen deutscher Rechtsprechung ausnutzt. Haffert benennt mehrere Punkte: Juristisch umstritten ist etwa, ob der Einsatz der Pflegekräfte als vorübergehend eingestuft werden kann, wie es das EU-Recht vorsieht. Zudem werden durch diese Form der Beschäftigung Sozialabgaben in Deutschland umgangen. Die Anstellungsverhältnisse lassen sich kaum überprüfen.

Außerdem kassieren die Agenturen nach den Recherchen von Haffert oftmals hohe Summen, während die Pflegekräfte keinen Lohn erhalten, der ihren Leistungen entspricht. Haffert nimmt sensibel die Lebenssituation von Pflegekräften und Pflegebedürftigen in den Blick. Hierzu hat sie zahlreiche Interviews mit Polen, deutschen Senioren und ihren Familienangehörigen geführt. Es entsteht ein vielschichtiges Bild, das Schwierigkeiten und Nöte auf allen Seiten zeigt: Die Kinder der Pflegebedürftigen sind oftmals mit der Pflege überfordert und suchen gegen den Widerstand ihrer Eltern nach Lösungen. Für die polnischen Pflegekräfte ist die Arbeit in Deutschland oft die einzige Möglichkeit, ihre Familien zu Hause zu ernähren. Durch die lange Zeit in der Ferne entfremden sie sich aber auch von ihren Kindern und Partnern.

Sie kommen mitunter mit schlechten Sprachkenntnissen in die deutschen Familien und erleben dort eine starke Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern. Die hilfsbedürftigen Senioren schließlich erfahren die Pflegekraft als Eindringling in ihre Privatsphäre, mit dem sie sich arrangieren müssen. Oftmals spielen biographische Erfahrungen der Senioren eine wichtige Rolle dafür, wie sie mit den Pflegekräften umgehen.

Zwar deckt Haffert in ihrem Buch zahlreiche Missstände auf. Das Buch ist aber auch als Leitfaden für Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen konzipiert. Umfassend gibt die Autorin sowohl Pflegekräften als auch Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen Tipps zum Umgang miteinander. Haffert erörtert Möglichkeiten, den gemeinsamen Alltag konfliktfreier zu gestaltet. Sie appelliert an die deutschen Familien, ihren Angestellten Freiräume einzuräumen und dem Kontakt zu den Familien in Polen nicht im Weg zu stehen. Zugleich informiert sie über Sprachkurse für polnische Pflegekräfte und nennt Beratungsstellen, an die sich Pflegebedürftige wie Pflegekräfte wenden können.

Immer wieder warnt Ingeborg Haffert vor zweifelhaften Vermittlungsagenturen sowie davor, Pflegekräfte in die Scheinselbständigkeit zu drängen. Daran, dass die sozialversicherungspflichtige Festanstellung als Haushaltskraft mit deutschem Vertrag für alle Beteiligten die beste Variante ist, dürfte nach der Lektüre dieses Buches wohl niemand mehr zweifeln.

Ingeborg Haffert: Eine Polin für Oma. Der Pflege-Notstand in unseren Familien. Econ Verlag, Berlin 2014, 250 Seiten, 14,99 Euro.

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Barbara Schneider

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