Drei Gs und vier Ws

Wie sich die Qualität von Gottesdiensten messen lässt
Die Mitwirkung des Dresdner Kreuzchores dürfte die Gottesdienstqualität gewährleisten. Foto: dpa/ Arno Burgi
Die Mitwirkung des Dresdner Kreuzchores dürfte die Gottesdienstqualität gewährleisten. Foto: dpa/ Arno Burgi
Das im Dienstleistungsbereich übliche Qualitätsmanagement stellt Instrumente und Denkmuster zur Verfügung, um bei Gottesdiensten verschiedene Qualitätsebenen zu unterscheiden und Qualitätskriterien zu finden, zeigt Folkert Fendler. Er leitet das EKD-Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst in Hildesheim.

Die meisten Menschen lieben Qualität. Wenn etwas schön aussieht, wunderbar schmeckt, gut gemacht ist und lange hält, genießen sie es in vollen Zügen. Viele Menschen lieben Gottesdienste, die Musik, die Predigt und die Atmosphäre, das Miteinander. Bringt man diese beiden Objekte der Liebe aber in Zusammenhang, kann es passieren, dass die Liebe schwindet oder zumindest irritiert wird. Gottesdienst und Qualität, passen sie zusammen?

Der Rat der EKD bejahte diese Frage, indem er vor sechs Jahren in Hildesheim ein "Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst" ins Leben rief. Durch das Wort "Qualitätsentwicklung" wurden allerdings andere Assoziationen wach als Güte, schönes Aussehen und wunderbarer Geschmack. Vielmehr fühlten sich viele eher an Technokratisches erinnert, an Dokumentation, Optimierungsdruck, Effizienz, Zertifizierung. So wurde schnell deutlich: Man muss klären, was man mit "Qualität" meint.

Der Begriff hat drei Bedeutungen, die auch für Gottesdienste fruchtbar zu machen sind. Zuerst beschreibt Qualität das Wesen einer Sache. Dies ist seine ursprüngliche Bedeutung, von Philosophen und Theologen über Jahrhunderte so verstanden. Dann gibt es den umgangssprachlichen Gebrauch: Qualität bezeichnet schlicht das, was gut ist. Und drittens wird der Begriff im Qualitätsmanagement als Erfüllungsgrad von Anforderungen verstanden, Danach gibt es gute, aber auch schlechte Qualität, je nachdem, ob die Kriterien erfüllt werden, auf die man sich vorher verständigt hat.

Qualitätsarbeit am Gottesdienst muss mit der Wesensqualität beginnen. Und sie ist nur theologisch zu bestimmen. Hier wird zu Recht oft Martin Luther zitiert, der das Wesen des Gottesdienstes darin entdeckte, dass Gott zu den Menschen spricht, ihnen sein Heil zuspricht. Und die Menschen antworten Gott mit Lob und Dank. Aber dieser Minimalkonsens über das Wesen des Gottesdienstes als Wort und Antwort kann durchaus noch entfaltet werden. Überblickt man die jüngere Geschichte des Gottesdienstes, so kristallisieren sich drei Wesensprofile, drei Gs heraus. Gottesdienste lassen erstens die Gewissheit der Liebe Gottes erleben, sie helfen zweitens die Gemeinschaft der Hoffnung zu gestalten, und sie vermögen drittens das Geheimnis des Glaubens zu feiern. Gottesdienste werden gewissermaßen immer in "3G" gefeiert und gestaltet.

Theologische Vorentscheidungen

Wenn diese Trias im Gottesdienst eine Rolle spielt, ist man seinem Wesen auf der Spur. Aber es können Akzente gesetzt werden, ja es werden faktisch immer Akzente gesetzt. Die Frage ist nur, ob das bewusst geschieht? Hier beginnt die Qualitätsarbeit am Gottesdienst: sich über die eigenen theologischen Vorentscheidungen klar werden. Was möchte ich selbst eigentlich im Gottesdienst erleben und erfahren? Und sofern ich jemand bin, der Gottesdienste gestaltet: Was sollen die Menschen in diesen Gottesdiensten erleben und erfahren? Möchte ich vor allem den individuellen Glauben der Menschen wecken und stärken? Liegt mir vor allem am Miteinander der Gemeinde, an Zusammenhalt und Weltverantwortung? Oder sehe ich den Gottesdienst als Feier eines letztlich unergründlichen Mysteriums, dem man sich nur tastend nähern kann?

So sehr Gottesdienstqualität in der theologischen Vergewisserung seines Wesens gründet, so wenig endet sie darin. Denn der Gottesdienst ist ja auch eine menschliche Veranstaltung, in der viele Strukturen, Abläufe und Gestaltungen so, aber auch anders sein können. Die Leitfrage im nächsten Schritt lautet daher: Dient die Art, wie ich den Gottesdienst konkret gestalte, dem, was ich als sein Wesen erkannt habe und verwirklicht sehen möchte? Oder hindert sie seine Entfaltung eher?

Hier tut sich das große Feld menschlicher Vorbereitungen und Entscheidungen auf - von der Sitzordnung der Gemeinde, der Begrüßung, der Liedauswahl, über die Gebetstexte, die Relevanz und Rhetorik der Predigt bis zur Art der Abendmahlsfeier und der liturgischen Präsenz beim Segen.

Dies ist der Bereich, wo der Gottesdienst und seine Verantwortlichen tatsächlich auch von Impulsen aus dem Qualitätsmanagement profitieren können. Denn deren Logik von Anforderung und Erfüllung kann auch auf den Gottesdienst übertragen werden: Wenn er vor allem das Geheimnis des Glaubens stark machen möchte, sind Stillephasen förderlich und ununterbrochene Moderationen eher hinderlich. Alle Gestaltungsentscheidungen werden am Ziel gemessen. Das Qualitätsmanagement stellt Instrumente und Denkmuster zur Verfügung, um verschiedene Qualitätsebenen zu unterscheiden und Qualitätskriterien zu finden.

Das Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst hat einige davon aufgegriffen und für den Gottesdienst adaptiert. Gerade weil dies für den Gottesdienst oft ungewohnte Zugänge sind, enthalten sie frisches Potenzial, um die Gottesdienstgestaltung mit neuem Blick zu sehen, zu neuen Ideen zu gelangen, Missverständnisse und Uneinigkeit bei der Gottesdienstgestaltung besser zu verstehen und zu überwinden.

Der von dem japanischen Wissenschaftler Noriaki Kano entwickelte Denkzugang stammt ursprünglich aus dem Dienstleistungsbereich und unterscheidet verschiedene Erwartungsebenen bei Kunden. Kano entdeckt Grunderwartungen, Leistungserwartungen und Begeisterungsfaktoren.

Die Grunderwartungen beziehen sich meist auf Rahmenbedingungen und sind unbewusst. So rechnet man bei einem Theaterbesuch ganz selbstverständlich damit, dass es eine Garderobe gibt, dass der Sitzplatz eine gute Sicht ermöglicht und die Schauspieler ihren Text beherrschen.

Leistungserwartungen sind die bewussten Erwartungen an den Theaterabend: eine ansprechende Inszenierung, aktuelle Bezüge des Stücks, gute Unterhaltung. Die Leistungserwartungen können individuell unterschiedlich ausfallen.

Und die Begeisterungsfaktoren schließlich übertreffen die Erwartungen: Das Stück spricht einen existenziell an, Schauspieler fangen Pannen souverän auf, und in der Pause gibt es Freigetränke. Wenn man diese Unterscheidungen im Pfarrkonvent und Kirchengemeinderat einmal für die eigenen Gottesdienste durchspielt, landet man sehr schnell bei wesentlichen Fragen. Man lernt nicht nur die unterschiedlichen, heimlichen oder offenen Prioritäten der Einzelnen kennen, sondern findet sich mitten in Diskussionen über Ziel und Gestaltung des Gottesdienstes. Was sonst eher diffus und unkonkret verhandelt wird ("Ich kannte die Lieder nicht", "Die Predigt sprach mich sehr an"), gewinnt durch die Einordnung in das dreistufige Modell plötzlich an Aussagekraft und Klarheit. Dabei sollte das Kano-Modell beim Gottesdienst nicht auf der Erwartungsebene stehen bleiben, sondern um die theologischen Grund-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren erweitert werden.

Vier Wirkfelder

Was muss im Gottesdienst stimmen, was ist wesentlich, was begeistert? Die Erfahrung vieler, die mit diesem Modell schon gearbeitet haben, zeigt: Es sind nicht selten die Grunderwartungen und Grundanforderungen, bei denen sich Handlungsbedarf zeigt. Obwohl es sich dabei meist um Äußerlichkeiten handelt, haben sie oft hohen Ablenkungswert.

In welche Richtung die Kriterien für einen guten Gottesdienst auch inhaltlich gehen können, zeigt das Modell der vier sogenannten Wirkfelder des Gottesdienstes, das das Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst nach einer Auswertung von Gottesdienststudien der letzten Jahre entwickelt hat. Damit sind Potenziale des Gottesdienstes gemeint, die sowohl viele Erwartungen der Menschen umfassen als auch seiner theologischen Wesensbestimmung entsprechen.

Im Gottesdienst soll es immer um die Deutung des eigenen Lebens im Licht der christlichen Botschaft gehen: "Wirkfeld Sinndeutung" im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und ewiger Wahrheit.

Der Gottesdienst hat das Potenzial, Impulse für das Handeln der Menschen und Hilfe bei Entscheidungen zu geben: "Wirkfeld Handlungsorientierung" im Spannungsfeld von Selbstsorge und Nächstenliebe.

Der Gottesdienst soll die Menschen existenziell und emotional angemessen erreichen: "Wirkfeld existenzielle Erfahrung" im Spannungsfeld von Lebensfreude und Todesernst.

Schließlich spielt auch das Beziehungselement im Gottesdienst eine entscheidende Rolle. Allerdings nicht allein im Sinne von enger Gemeinschaft, sondern durchaus differenziert und abgestuft: "Wirkfeld Beziehung" im Spannungsfeld von Distanz und Nähe, von Beheimatung und Andersweltlichkeit.

Jedes dieser vier Wirkfelder sollte im Gottesdienst bedacht und bewusst gestaltet werden. Dafür kann und muss man sie natürlich in viele weitere Kriterien auffächern. Herkömmliche Kriterien verlieren sich oft in Einzelheiten der Gestaltung. Dabei geht es zum Beispiel um Musik, gute Inszenierung und verständliche Aussprache. Diese sind zwar wichtig, aber erfassen selten das Zentrum des Gottesdienstes. Die Wirkfelder denken dagegen vom Wesentlichen her, das theologisch - im Sinne der Gottesdienste in "3G" - durchaus unterschiedlich bestimmt werden kann. Und sie schreiten erst von dort weiter zu den Details.

Diese und ähnliche Zugänge zur Gottesdienstqualität bleiben aber weitgehend wirkungslos, wenn es nicht gelingt, innerhalb der Gemeinden regelmäßige Gespräche über die Gottesdienste zu etablieren. Eine ebenso offene wie wertschätzende Gesprächskultur unter Pfarrkolleginnen und -kollegen und zwischen Gemeinde und Gottesdienstverantwortlichen ist nach Wesensbestimmung und Kriterienfindung der dritte Schritt, der in einem Prozess der Qualitätsentwicklung getan werden muss. Denn das eine ist, sich über Wesen und Gestaltung des Gottesdienstes Gedanken zu machen und das andere, die Wirkungen dessen dann auch zu überprüfen. Entsprach das Gewollte dem Intendierten? Ist Glaube gestärkt worden? Sprach die Predigt an? Welche Rückmeldungen können und möchten die Gottesdienstfeiernden geben?

Hier zugleich sensibel und systematisch vorzugehen, unaufdringlich und doch ergiebig, ist eine Kunst, die entwickelt werden muss. Sie darf bei Fragebögen allein nicht stehen bleiben. Auch hier lohnt ein Blick über den Kirchturm hinaus in den Bereich des Qualitätsmanagementes, das Qualität immer als Regelkreislauf von Verabredungen und Überprüfung der Zielerreichung versteht. Positive Erfahrungen sind mit neu konzipierten Gottesdienstnachgesprächen gemacht worden, nicht nur: Predigtnachgespräche, und Gesprächen nach Hospitation durch Pfarrkolleginnen und -kollegen.

Eine entscheidende Frage bleibt: Wer handelt in diesem Dreischritt der Gottesdienstgestaltung. Macht Qualitätsentwicklung den Heiligen Geist arbeitslos? Der Geist des Gottesdienstes ist der Geist des Unverfügbaren. Der Geist des Qualitätsmanagements ist der Geist des Machbaren. Werk Gottes und des Menschen, opus dei und opera hominum, in fröhlichem Wechselspiel, das ist Qualitätsentwicklung im Gottesdienst.

Literatur

Folkert Fendler (Hg.): Qualität im Gottesdienst. Was stimmen muss - Was wesentlich ist - Was begeistern kann. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, 336 Seiten, Euro 24, 99 (siehe Rezension Seite 62)

Folkert Fendler und Christian Binder (Hg.): Gewissheit. Gemeinschaft. Geheimnis. Qualitäten des Gottesdienstes. Erscheint im Februar 2016.

Broschüren des Zentrums für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst zum Runterladen
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