Wir machen alles neu

In Frankfurt/Main wird am Gottesdienst der Zukunft gearbeitet
Fröhlich interaktiv: Moderatorin Nena Braumüller, Pfarrer Rasmus Bertram, Prediger Mickey Wiese (von links). Fotos: Christian Frays
Fröhlich interaktiv: Moderatorin Nena Braumüller, Pfarrer Rasmus Bertram, Prediger Mickey Wiese (von links). Fotos: Christian Frays
Immer mehr Menschen kommunizieren über das Internet, und dabei wird Interaktivität immer wichtiger. Sollte es nicht auch einen Gottesdienst geben, der diese Entwicklung aufnimmt? Pfarrer Rasmus Bertram und sein Team von sublan-tv aus Frankfurt/Main haben schon einige interaktive Gottesdienste veranstaltet und planen jetzt den großen Wurf.

Der Mann will den Gottesdienst neu erfinden. Er kann in seinem Büro kaum stillsitzen, wenn er davon erzählt, denn es geht ihm um nichts weniger als eine Radikalisierung des Priestertums aller Getauften. Doch schön der Reihe nach:

Im Oktober 2009 wird Rasmus Bertram, damals Pfarrer an der Jugendkirche St. Peter in Frankfurt, von einer Gruppe junger Leute gefragt, ob sie bei ihm eine LAN-Party veranstalten dürften. Die Abkürzung LAN steht für Local Area Network, und eine lan-Party ist eine Veranstaltung, wo man in einer Gruppe mit Laptops zusammensitzt und zusammen Computerspiele spielt. Oder, um es präziser mit Wikipedia zu de?nieren: "Eine LAN-Party ist ein Zusammenschluss von privaten Computern, die durch ein lokales Netzwerk (LAN) verbunden werden. Dabei messen sich die Teilnehmer in Computerspielen, bei denen Taktik, Strategie, Geschick und Teamwork gefordert werden."

Bertram stellte den Raum der Jugendkirche zur Verfügung, und so feierten etwa dreißig Computerfreaks 2009 die erste lan-Party in St. Peter. Unter den Teilnehmern des kollektiven Computerspielwochenendes sind auch ein paar christliche Spieler, die mit ihm überlegen, wie man auf einer LAN-Party, bei der fröhlich gezockt und geballert wird, auch Gott ins Spiel bringen kann. Keine einfache Aufgabe, denn der Kirchenraum war ja mit den Spielenden besetzt. Und einfach die ganzen Aktionen für eine Andacht oder Ähnliches zu unterbrechen ging auch nicht, denn bei lan-Partys spielen unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Spiele und haben folglich zu unterschiedlichen Zeiten Pause. Was tun?

"Wir wollten einen Gottesdienst als Teil der LAN-Party machen, der aber die Leute nicht zwingt, daran teilzunehmen, und wir wollten die, die teilnehmen, miteinbeziehen und erfahren, was ihre Berührungspunkte mit dem Glauben sind", sagt Christopher Diekkamp. Der heute 32-jährige Informatiker war schon damals dabei. Er erinnert sich: "Wir haben dann eine Andacht per Videoübertragung angeboten und die Leute vorher Themen 'voten' lassen, die sie interessieren." Diekkamp entwickelte die Programmierung für die recht einfache Webanwendung, um Rückmeldungen in Echtzeit - also während der Übertragung der Andacht - zu ermöglichen, auf die Pfarrer Rasmus eingehen konnte.

Das klappte ganz gut, obwohl es in dieser einfachen Variante für die am Rechner mitfeiernde Gemeinde nur möglich war, Fragen zu stellen und sich mit einem "like/dislike"-Button zu melden. Aber die Andachten, die mehr und mehr zu richtigen Gottesdiensten ausgebaut wurden, erfreuten sich auch bei den folgenden LAN-Partys großer Beliebtheit, die Zahl der Teilnehmer "vor Ort" steigt auf etwa siebzig Teilnehmer an, und es kommt der Wunsch auf, dass die Gottesdienste auch "von außen" verfolgt werden können und nicht nur die technisch miteinander vernetzten Teilnehmer der LAN-Partys unter sich feiern. So geschieht es, und bald können Leute von außerhalb über das Internet mitfeiern - zuhause vom Computer oder von unterwegs mit dem Smartphone - die räumlichen Grenzen fallen. Das - so Christopher Diekkamp - war "das Aha-Erlebnis: alle dabei, alle bringen ihr's mit ein, völlig cool". Und für Pfarrer Rasmus Bertram war es eine Entdeckung, dass es in den Gottesdiensten "unheimlich zur Sache geht", wenn die Gemeinde im Netz gleich konkret nachfragen kann zu dem, was sie eben von ihm gesagt bekommt. "Das hat mich sehr bewegt, und es war etwas absolut Neues!"

Aber es ist auch alles sehr viel Arbeit für Pfarrer Bertram, Diekkamp und das ganze ehrenamtliche Team. So treffen sie 2012 die Entscheidung, die LAN-Partys aufzugeben und künftig alle Kraft in ihre Er?ndung, das neue, interaktive Gottesdienstformat, zu stecken. Fortan also wird St. Peter für jeden der so genannten sublan-Gottesdienste mit großem Aufwand in ein Studio umgebaut, und der Gottesdienst selbst technisch und optisch auf ein neues Niveau gehoben. Auch die Möglichkeiten der Interaktion für die wachsende Online-Gemeinde werden mit Verfeinerung der Software und mit einer komplexeren Programmierung verbessert. Es können nun während des Gottesdienstes Vorschläge für die Fürbitten geschickt werden, die Wortmeldungen der Gottesdienstteilnehmer werden für alle sichtbar eingeblendet, und es gibt Extra-Teams, die parallel zum Verlauf des Gottesdienstes seelsorgliche Fragen beantworten und Gebetsanliegen sammeln.

Der Mann fürs Neue

Rasmus Bertram war schon immer ein Pfarrer für die ungewöhnliche Dinge, einer, der neue Sachen ausprobiert. Er studierte nicht nur Theologie in Greifswald und Wittenberg, sondern auch Schauspiel in Leipzig. Auf seiner ersten Pfarrstelle Mitte der Neunzigerjahre baute der heute 51-Jährige das "TheO'door" in Sangerhausen auf, es ist bis heute eines der größten Jugendzentren in Sachsen-Anhalt. Dort entwickelte er das Gottesdienstkonzept "gerade samstags", ein Format mit Theaterelementen und eingebauter Diskussion über die Predigt. Schon da erfuhr Bertram, dass eine Predigt nicht ein Monolog sein muss. Heute - nach den Erfahrungen mit den ersten sublan-Gottesdiensten - ist er mehr denn je überzeugt: "Gott spricht durch alle hindurch, und er wird durch die Gemeinde sichtbar." Deshalb ist es ihm wichtig, dass es zu "Gesamterfahrungen" im Gottesdienst kommt, "denn das ist das Spannende".

Diese "Gesamterfahrungen" will Bertram erreichen, indem er in den sublan-Gottesdiensten anstelle einer ausformulierten Predigt nur zwei Thesen vorstellt, die er der versammelten Netzgemeinde zur Diskussion stellt. Und dann reagiert er auf die einlaufenden Fragen und auf Widerspruch - all das spielt ihm die Redaktion direkt auf das Tablet zu, das vor ihm liegt. Bertram gerät ins Schwärmen, wenn er davon berichtet: "Die Entdeckung des Internets macht es uns in einer ganz neuen Weise möglich zu teilen. Vorher nervte es, wenn viele reden, aber in diesem Format geht es." Für ihn führt dieses Prinzip zu einer "Radikalisierung des Priestertums der Getauften", zu einer neuen Phase des gemeinsamen Erlebens, und das - die die Technik macht's möglich - mit Gottesdienstteilnehmern aus Norwegen, Österreich und den USA. Wunderbar!

Wer sich auf der Internetseite www.sublan.tv die bisherigen interaktiven Gottesdienste anschaut, dem fällt es schwer, diese Begeisterung nachzuvollziehen. Ein bisschen wirken die Videos dort wie ein Fernsehgottesdienst für junge Leute, in dem es an manchen Stellen hakt: Die Moderatorin verspricht sich häu?g, weil sie offenkundig gleichzeitig zuhören und reden muss, und die beiden Geistlichen - neben Rasmus Bertram ist auch Mickey Wiese dabei, der sich selbst als "Eventpastor und Lifecoach" bezeichnet - müssen immer einige Momente warten, bis sie die Fragen der interaktiv tätigen Gemeinde auf dem Schirm oder auf dem Kopfhörer haben und reagieren können. Und die Band fungiert als Wartezeitüberbrückerin, bis neue Anregungen ausgewertet sind. Alles bunt, sympathisch, aber etwas stotternd.

Das Entscheidende bleibt unsichtbar

Rasmus Bertram winkt ab. Er weiß, dass die bisherigen Netzgottesdienste von St. Peter als Konserve nicht überzeugen können. Das wundert ihn auch gar nicht, denn das Entscheidende, den Echtzeiteffekt eben, könne man ja da gar nicht sehen, und, ja, natürlich müsse alles noch professioneller werden. Aber wie, wenn man keine Zeit hat? Nun hat er eine Entscheidung gefällt: Seine Stelle als Jugendpfarrer an St. Peter lief Ende vergangenen Jahres aus. Bertram ließ sich - Pfarrer, die Beamte sind, dürfen das - zur Hälfte beurlauben. Mit der einen Hälfte ist er nun Pfarrer in Kriftel, einem Ort im Main-Taunus-Kreis mit 11.000 Einwohnern zwischen Frankfurt und Wiesbaden, und mit der anderen "beurlaubten Hälfte" widmet er sich seit Jahresbeginn ganz dem Projekt sublan-Gottesdienst. Bis 2017 hat die Finanzierung dieser Stellenhälfte der Verein Andere Zeiten aus Hamburg unternommen - das alles verschafft einen gewissen Freiraum, um die Sache voranzutreiben.

Als erstes hat sich Bertram mit einem Büro im Evangelischen Medienhaus der hessen-nassauischen Landeskirche mitten in der Frankfurter City eingemietet. Die restlichen Menschen in seinem Team sind alle Ehrenamtliche, darunter quali?zierte IT-Spezialisten wie Christopher Diekkamp. Dessen Aufgabe besteht nun darin, die Software zu verbessern, die dafür sorgt, dass eingehende Reaktionen schneller verarbeitet und den Predigern zugeleitet werden können. Dann können diese schneller reagieren und der ganze Gottesdienst gerät in den Fluss, den er braucht. Außerdem soll das Projekt massentauglicher werden. Mit den bisherigen technischen Möglichkeiten des Teams konnten 100-200 Teilnehmer und ihre Beiträge in Echtzeit für einen sublan-Gottesdienst nutzbar gemacht werden. Aber Christopher Diekkamp will mehr: "Wie schaffen wir es, 1.000, 5.000, 20.000 aktiv interaktiven Gottesdienst feiern zu lassen?" Dahin will er kommen. Sein neues Konzept ist, dass Beiträge künftig nicht mehr einzeln den Predigern im Gottesdienst zugespielt werden, sondern als Bündel. Aber wie soll das gehen? Diekkamp, der Techniker, ist in seinem Element: "Wir bilden quasi Meinungskoalitionen. Auch wenn sehr viele Menschen mitmachen, gibt es nur eine endlich große Anzahl von inhaltlich verschiedenen Fragen und Meinungen." Die Regie vergibt Schlagworte für die einzelnen Beiträge - das machen weiter Menschen. Aufgrund der Schlagworte werden so genannte Äquivalenzklassen gebildet, also ein Topf von weitestgehend ähnlichen Beiträgen. Dabei soll dann schon die Software helfen, indem sie mithilfe von Algorithmen die Beiträge blitzschnell zuordnet. So kann sich künftig das gesamte Beteiligungsgeschehen quasi in Echtzeit auf den Tablets der Prediger abbilden. Eine kühne Vision.

Aber die Zeit drängt, denn der letzte Gottesdienst im alten St.-Peter-Format ist schon ein Jahr her. Es muss also etwas passieren. Aber damit der große Wurf gelingt, braucht es nicht nur die halbe Freistellung des Pfarrers vom Gemeindedienst, sondern auch mehr Geld. Mehrere hunderttausend Euros wird es schon kosten, um das Prinzip sublan-Gottesdienst auf eine neue, massentaugliche Stufe zu heben. Bertram hofft inständig auf Förderung seiner hessen-nassauischen Landeskirche, die zugesagt hat, sein Projekt wohlwollend zu prüfen und bald eine Entscheidung zu treffen. Also erst mal Geduld bewahren. Aber eins ist sicher: In der schönen neuen Gottesdienstwelt bleibt es spannend!

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Reinhard Mawick

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