Magie aus Müll

Mbongwana Star: "From Kinshasa"
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Vitalität, der sich niemand entziehen kann, Soundmagie geschaffen aus Bruch- und Versatzstücken, Trümmern und Müll, mitten aus den Slums von Kinshasa.

Wahrnehmung braucht Reize, und kommen die richtigen zur rechten Zeit zusammen, entsteht eine Magie, der sich keiner entziehen kann. Wie am 30. Oktober 1974, als ganz Westfernsehendeutschland, und der Rest der Welt nach Kinshasa schauten (Zaire; heute die Demokratische Republik Kongo). Um vier Uhr morgens standen Väter und Söhne auf, um mitzuerleben, wie Weltmeister George Foreman auf Muhammad Ali traf. Sie sahen, wie Ali sich den ihm letztlich aus politischen Gründen aberkannten Titel zurückholte und als zweiter Schwergewichtler das ungeschriebene Gesetz des Boxens brach ("They never come back").

Für ganz Schwarzafrika hatte der Kampf eine immense Bedeutung, und mit dem sympathischen Charismatiker auch den richtigen Sieger. Von ähnlicher Wucht ist nun das "Mbongwana Star"-Debutalbum "From Kinshasa". Vitalität, der sich niemand entziehen kann, Soundmagie geschaffen aus Bruch- und Versatzstücken, Trümmern und Müll, mitten aus den Slums von Kinshasa, wo sich Poliokrüppel, Straßenkinder, Obdachlose und Hunderttausende andere auch nach Jahrzehnten von Bürgerkrieg, Ausplünderung und Korruption nicht unterkriegen lassen, weil sie es müssen - und können. Ein Bündel schierer Kraft und Kreativität, das ins Tanzen reißt und Lebensfreude freilegt. "From Kinshasa to the Moon" eröffnet das Album:

Tribale Gesänge, Percussion und ein nervöses Flirren wecken Erinnerungen ans "Sun Ra Arkestra".

Wer einen Durchmarsch Richtung "Space Is The Place" erwartet, liegt jedoch angenehm falsch. Mit "Shégué" (so heißen hier Straßenkinder und -jugendliche; allein in Kinshasa sind es mindestens 15.000) folgt ein 1A-Elektro-Hit mit hypnotischem Powerbeat. "Malukayi (Feat. Konono No.1)", das nach manischem Becken- und Percussion-Intro in Reggae-haftes Pulsen fällt, hat einen Jungen zum Helden, der hier wirklich im Raumanzug durch die Straßen streunt. Fotos von ihm sind auf dem exquisiten Klappartwork des Albums zu sehen, das zwar Kongos Rumbatraditionen erahnen lässt, vor allem aber ein Kessel bunter Fundstücke ist, die bezwingend kopulieren: Hendrix-Gitarre, kongolesische Gesänge und Melodien, Elektrobeats und Wave-Disco-Anklänge sind nach Sampling-Regeln auf den Kern reduziert und werden dann repetierend überlagert und trancehaft aufeinander losgelassen. Lust am Wagnis, das durchweg gelingt, von Dubstrukturen über einen einfühlsamen Kongoblues bis hin zu druckvollen Abräumern wie "Kala", der auch auf YouTube steht und ein guter Einstieg ist.

"Mbongwana Star" sind zwei Sänger um die fünfzig, die im Rollstuhl sitzen und schon mit der Straßenband "Benda Bilili" Furore machten, vier Nachwuchsmusiker und der in Frankreich im HipHop sozialisierte Ire Liam Farrel als Bassist und Produzent. Erschienen ist "From Kinshasa" beim legendären World Circuit-Label (Ali Farka Touré; Buena Vista Social Club"). Mbongwana Star passen dahin und sind definitiv ein Grund, wieder ganz früh aufzustehen.

Mbongwana Star: From Kinshasa. World Circuit/Indigo 2015.

Udo Feist

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