Gott mag Muße

Plädoyer für eine Tätigkeit eigenen Rechts
Foto: privat
Am siebten Schöpfungstag hat Gott geruht, und wir sollen das auch.

„Poet bei der Arbeit!“ - dieses Schild hängte der französische Dichter Saint-Pol-Roux an seine Tür, wenn er seinen Mittagsschlaf hielt. Er wusste: Kreativität braucht Freiraum, um sich zu entfalten. Muße, das ist nicht Arbeiten als Mittel zum Zweck, aber Tätigsein. Diese in der Antike selbstverständliche Einsicht - von Plinius dem Jüngeren aphoristisch auf den Punkt gebracht: „Besser ist es, Muße zu haben als nichts zu tun“ - wir sollten sie für uns zurückgewinnen.

Die überdimensionale Bedeutung, die wir Berufstätigkeit, Leistung, Rationalität und Selbstdisziplin zusprechen, hat etwas zu tun mit unserem Glauben in seiner neuzeitlichen Gestalt. Und Martin Luthers Hochschätzung der Berufsarbeit ist nicht ganz unschuldig daran. Die calvinistische Tradition hat dann einen engen Zusammenhang von beruflichem Erfolg und göttlicher Erwählung geschaffen, von Max Weber brillant dargestellt in seiner Studie über den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaftsform und protestantischer Arbeitsethik. Muße hat in dieser Tradition etwas Anrüchiges und wurde zum Müßiggang degradiert.

Muße, das ist eine Art von Tätigkeit nach eigenem Recht. Wenig ähnelt sie Nichtstun und Freizeit. Sie geschieht zum Beispiel, wenn ein Jugendlicher das flirrende Licht der Sonne bei ihrem Untergang entdeckt. Wenn eine Dichterin mit ihrem Roman ringt. Wenn ein Lehrer Bildung anregen will. Muße, das sind: Handlungen um ihrer selbst willen. Nicht aus Notwendigkeit oder zur Verzweckung, sondern aus Neigung, spontan - nicht mechanisch, frei - nicht als Fron.

Am siebten Schöpfungstag hat Gott geruht, und wir sollen das auch. Wir alle: Freie und Sklaven, Migranten und Flüchtlinge. Der letzte Schritt Gottes ist nicht Tun, sondern ein Lassen, das Freiraum schafft für uns - für Muße und was aus ihr erwächst. Nicht die Leistung, sondern der Sabbat ist die Krone der Schöpfung. Die Zeit, die Gott uns schenkt.

Jesus weiß, wie sehr wir sie brauchen: „Und die Apostel kamen bei Jesus zusammen und verkündeten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Und er sprach zu ihnen: Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruht ein wenig. Denn es waren viele, die kamen und gingen, und sie hatten nicht Zeit genug zum Essen.“ (Markus 6,30-31)

Jesu Jünger: Immer für andere da. Nicht einmal Zeit zum Essen. Kennen wir das nicht? Da sagt Jesus ihnen: Nehmt euch Zeit, die nicht irgendeinem Zweck dient. Ich begleite euch auf diesem Weg. Daraus wächst den Jüngern die Fähigkeit zu, später 5?000 Menschen zu speisen mit ein paar Broten und Fischen. So geht die Geschichte weiter.

Was Jesus seinen Jüngern riet, das dürfen auch wir als Einladung annehmen und unserem Leben neue Orientierung geben. Wie seine Jünger sollen wir ihm von unserem Ärger, unserer Freude und unserer Sehnsucht erzählen. Unser ganzes Leben dürfen wir vor Jesus ausbreiten. Das tut uns gut. Und dann können wir still werden und hören, was er uns sagen will. So öffnet uns die Muße für Gott.

Gerhard Ulrich

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: privat

Gerhard Ulrich

Gerhard Ulrich war bis vor kurzem Landesbischof der evangelischen Nordkirche und ist Herausgeber von zeitzeichen.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Meinung"