Salafitischim besten Sinne

Gespräch mit dem islamischen Theologen Harry Harun Behr
Foto: privat
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Der islamische Theologieprofessor Harry Harun Behr aus Frankfurt/Main lobt das EKD-Impulspapier „Reformation und Islam“ und hofft, dass es von islamischer Seite in Deutschland bald etwas Ähnliches gibt.

zeitzeichen: Herr Professor Behr, im neuen Impulspapier der EKD zum Thema „Reformation und Islam“ wird ausführlich die Sicht der Reformatoren des 16. Jahrhunderts auf den Islam referiert, die sich zumeist in drastischer Ablehnung der Andersgläubigen erschöpfte. Ist das heute noch sinnvoll?

HARRY HARUN BEHR: Ja, durchaus. Das Spannende an dem EKD-Papier ist, wie aus einer heutigen Perspektive auf die historischen Texte zugegriffen wird. Die Autorinnen und Autoren gehen zumindest bei einigen der alten Texte, besonders bei Calvin, davon aus, dass sie als Quelle dienen könnten, um daraus Leitmotive für den heutigen Umgang mit Muslimen zu gewinnen – also aus der Mitte der eigenen Tradition und nicht sekundär von außen herangetragen. Sie machen im Grunde das, was wir im Islam als „salafitisch“ im Sinne der „Reform“ bezeichnen, nämlich den unmittelbaren Rückgriff auf Ursprungstexte, um aus ihnen etwas heraus zu gewinnen, was dann kritisch mit anderen Traditionslinien verglichen werden kann, die sich auch auf diese Ursprungstexte berufen. Dieser Text führt insofern ein Stück Reformation vor, nämlich, wie Reform im Sinne der Reformulierung von Ursprungstexten funktioniert. Insofern ist dieser Text ein Paradigmenwechsel und eröffnet eine neue Diskursebene.

Inwiefern?

HARRY HARUN BEHR: Wenn man den Stil vorheriger EKD-Texte zum Thema Islam betrachtet, besonders den in meinen Augen sehr unbefriedigenden Text „Klarheit und gute Nachbarschaft“ von 2006, ist dieser neue Text für mich als Muslim und als Wissenschaftler sehr interessant. Ja, ich würde mir sogar wünschen, dass wir als Muslime auf den EKD-Text mit einem eigenen Text antworten, der aufzeigt, dass auch wir unsere traditionellen Texte aus der Geschichte heute neu lesen und reformulieren. Wir könnten zum Beispiel Texte des muslimischen Gelehrten Ibn Taimiya, er lebte von 1263 bis 1328, behandeln. Ibn Taimiya ist eine umstrittene Figur, er gilt heute für einige als „Godfather des Dschihad“, was meines Erachtens trotz seiner Fatwa für den Kampf gegen die mongolischen Invasoren so nicht zutrifft. Ein Treppenwitz der Geschichte ist, dass Ibn Taimiya nur deshalb so ausführliche Grundlagentexte verfassen konnte, weil er die meiste Zeit seines Gelehrtenlebens im Gefängnis zubringen musste. Von dort aus schrieb er etwa dem Bischof von Zypern währen der Regentschaft der Venezier Briefe über wichtige theologische Fragen, zum Beispiel zur Christologie und zur Trinitätslehre. Insofern wäre es reizvoll, wenn wir so etwas heute wieder machen würden. Durch solche Arbeiten an der Tradition könnten christliche und muslimische Theologen eine neue Ebene des interreligiösen Dialogs erreichen, indem sie gemeinsam die Relevanz von religiöser Erkenntnistheorie, religiösem System und religiöser Ethik verdeutlichen.

In der Schrift der EKD heißt es, die Herausforderung heute bestehe darin, „von Christus zu sprechen, aber so, dass dabei nicht der Glaube des Anderen abgewertet oder für unwahr erklärt wird“. Besteht auch für den Islam die Herausforderung darin, den Glauben Anderer nicht „für unwahr“ zu erklären?

HARRY HARUN BEHR: Selbstverständlich. Darüber streite ich oft mit meinen Studenten, dass nämlich häufig das Wahrheitsparadigma eines theologischen Wahrheitssatzes aus der religiösen Überlieferung für identisch gehalten wird mit dem Wirklichkeitsparadigma eines historischen Wirklichkeitssatzes. Oft höre ich von Studenten: „Eigentlich wissen wir, dass alle anderen die Ungläubigen sind, aber wir müssen uns in dieser westlich-demokratischen Gesellschaftsform so verhalten, dass wir nicht zu sehr anecken.“ Es gibt da eine Doppelbödigkeit im Zungenschlag in innerislamischen Diskursen, die sehr davon geprägt ist, Richtigkeit und Wahrheit starr vor dem Hintergrund eines bestimmten theologischen Systems zuzuordnen oder abzusprechen. Diese Art der systematischen Apologetik löst keine Probleme und widerspricht der Diskursethik des Korans zum Beispiel Sure 4, Vers 83, wo Mohammed keinesfalls über allem steht, sondern in den Diskurs integriert wird, obwohl er das autoritative Signum der göttlichen Rede darstellt.

Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um diese „systematische Apologetik“ einzudämmen?

HARRY HARUN BEHR: Wenn islamische Religionslehrerinnen und -lehrer im Unterricht zum Beispiel mit der Meinung konfrontiert werden: „Muslime kommen ins Paradies, und alle anderen kommen in die Hölle“ – und solche Meinungen hören wir häufig, etwa in einer 7. Klasse einer Realschule –, dann müssen die Lehrkräfte klar widersprechen, und zwar nicht nur, um die Situation zu retten, sondern sie müssen mit der Entschiedenheit ihrer persönlichen und theologischen Position deutlich machen, „Das, was Du sagst, ist unwahr!“, und dann den theologischen Beweis antreten. Nur so können wir dieses zerstörerische Prinzip der Identität und der Einheit durch Abgrenzung von Anderen durchbrechen.

Was könnte sich Ihrer Meinung nach im christlich-islamischen Dialog in Deutschland verbessern?

HARRY HARUN BEHR: Wir müssen gemeinsam zu einem Theologieverständnis kommen, das stärker an funktionalen Aspekten interessiert ist. Das heißt, dass wir gemeinsam die religionswissenschaftliche Dekonstruktion unserer Glaubenssysteme in ihrer inneren Stringenz betreiben – erst dann wird es spannend. Wenn wir zum Beispiel feststellen, dass auch schon die großen Texte unserer Tradition, ob nun von Luther oder von Ibn Taimiya, in einem funktionalen Verhältnis zu ihrer Zeit standen. Das ist ein weites Feld, aber endlich gibt es in Deutschland eine akademische islamische Theologie, insofern ist die Zeit reif für einen echten theologischen Dialog.

Die Fragen stellte Reinhard Mawick am 6. Juli.

Harry Harun Behr

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