„Europa, das sind wir“

EKD-Synode ruft zum Dialog über die Zukunft Europas auf
Foto: privat
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Die Europäische Union steht vor einer historischen Bewährungsprobe. Und welchen Beitrag können die evangelischen Kirchen leisten, um die europäische Idee zu stärken? Dieser Frage ging die EKD-Synode vom 6. bis zum 9. November in Magdeburg nach.

Die Europäische Union steht vor einer historischen Bewährungsprobe. Und welchen Beitrag können die evangelischen Kirchen leisten, um die europäische Idee zu stärken? Dieser Frage ging die EKD-Synode vom 6. bis zum 9. November in Magdeburg nach.

Die Zustandsbeschreibung fällt eher nüchtern aus: Das Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU, die Herausforderungen durch die Zuwanderung der Flüchtlinge, das Erstarken von Rechtspopulismus und die Situation in der Türkei. Wer in diesen Tagen über die Zukunft der Europäischen Union und über Europa diskutiert, sieht die EU entzweit. Umso wichtiger ist es, wie jetzt in Magdeburg während der EKD-Synodaltagung unter dem Motto „Europa in Solidarität“ geschehen, einen öffentlichen Diskurs über gemeinsame Interessen und Werte zu führen, über das, was verbindet.

Zunächst: Drei Perspektiven, die unterschiedlicher nicht sein könnten, finden Gehör: Frère Alois, seit 2005 Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé, thematisiert in einem Podiumsgespräch die Selbstverständlichkeit der EU für Jugendliche. Schließlich seien diese in Frieden ohne Grenzen aufgewachsen. Trotzdem: Die Gräben werden tiefer. Gleichzeitig beklagt er, dass es europaweit nicht gelinge, den Menschen den Kern des Evangeliums begreifbar zu machen. Politiker, die das Christentum benutzten, um Abschottung zu rechtfertigen, nutzten ein „schräges Christentum“.

Auch Antje Jackelén, Erzbischöfin der lutherischen Kirche von Schweden, weist daraufhin, dass in ihrer Heimat gerade ein politischer Kampf stattfindet, der sich der Religion bemächtige. Doch anders als Frère Alois sagt die Erzbischöfin: „Die Schweden sind eher lauwarme Europäer denn leidenschaftliche.“ Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, provoziert: „Ich erlebe das Christentum nicht als etwas Verbindendes in Europa, sondern das Gegenteil ist der Fall.“ Selbstkritisch räumt der Außenpolitiker aber ein, dass zwischen Haushaltskonsolidierungen und Sparmaßnahmen in der EU vergessen worden sei, die Fragen des sozialen Zusammenhalts zu stellen. Daraus resultiere ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Doch wie man dem begegnen will, darauf hat auch er keine Antworten.

So intensiv die Podiumsdiskussion der drei mit Synodenpräses Irmgard Schwaetzer verläuft, so zeigt sie auch: Es herrscht Ratlosigkeit, wie man dem wachsenden Rechtspopulismus in und dem zunehmenden Desinteresse an Europa entgegengehen will.

Welches sind nun die Werte und Traditionen, auf denen Europa und die EU gegründet wurde?

Klares Bekenntnis

In ihrer sechsseitigen, dichtbeschriebenen Kundgebung „So wirst du leben (Lukas 10,28). Europa in Solidarität -Evangelische Impulse“, mit der sich die EKD-Synode sowohl an die breite Öffentlichkeit wie auch an Kirchengemeinden und Landeskirchen wendet, formulieren die Synodalen Antworten und legen ein klares Bekenntnis zu Europa ab. „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte“, heißt es in der Kundgebung.

Und aus dem biblischen Zeugnis ergibt sich für die Synodalen: Europa habe nur eine lebendige Zukunft, wenn es auf Barmherzigkeit, Freiheit und die Liebe zum Nächsten gründe. Daraus resultiert für die Evangelische Kirche in Deutschland ganz eindeutig, dass „die Gebote zur Aufnahme von Flüchtlingen und zum Gastrecht für Fremde zum Kernbestand des christlichen Glaubens gehören“. Eine klare Absage an Ausgrenzung, Extremismus und Fremdenhass gehört ebenso dazu wie ein „europaweiter öffentlicher Diskurs über unsere gemeinsamen Interessen“ und ein vertiefter Dialog mit anderen Religionen. Diese Klarheit und Deutlichkeit in den Formulierungen ist durchaus eine Stärke des Papiers.

Freilich unterziehen die Synodalen die EU in ihrer Kundgebung einer kritischen Bestandsaufnahme: „Heute steht Europa im Horizont der Globalisierung für viele für eine Zukunft, in der einige wenige immer reicher werden, während große Teile der Bevölkerung hoffnungslos abgehängt sind. Besonders belastend ist in einigen Staaten die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Europa droht eine soziale Spaltung.“

Die sich ausschließenden Forderungen der Kundgebung sind ebenso richtig wie verzweigt. Richtig, weil sichere und legale Wege für Schutzsuchende in die EU und die Gewährung von Familiennachzug unerlässlich sind. Europa kann eben nicht dauerhaft seine Verantwortung für Schutzsuchende auf Drittländer wie die Türkei delegieren, ohne selber unglaubwürdig zu werden. Verzweigt, weil die Forderungen, wie ein gerechter Zugang zu Bildung, mehr Transparenz in den europäischen Institutionen, das Eintreten für ein soziales Europa und Klimaschutz allenfalls in Überschriften angerissen und so drohen, nicht wahrgenommen zu werden. Sicher, der Aufruf der Kundgebung, die „Schwesterkirchen und alle Menschen guten Willens“ zum Dialog über die Zukunft Europas und zur Begegnung zu motivieren, ist wichtig. Und es ist höchste Zeit, dass die Kirchen etwas für den Zusammenhalt in Europa tun. Denn ihnen fehlt die gemeinsame Stimme. Das ist auch während der Synodaltagung immer wieder zu hören. Und doch: Die Synoden-Kundgebung führt die Komplexität der europäischen Probleme vor Augen, so dass man am Ende droht, darin zu versinken. In der globalisierten Welt sind simple Antworten auf komplexe Fragen eben nicht zu haben.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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