Keine AfD auf dem Kirchentag

Eine kirchliche Appeasement-Politik gegen völkische Agitatoren darf es nicht geben
Foto: privat
Die Chefetage der größten protestantischen Laienbewegung läuft Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren.

In Christ & Welt vom 29. September geht Hannes Leitlein der Frage nach, ob das unklare Verhalten des Kirchentages gegenüber der AfD klug ist. Dabei verwendet er eine fragwürdige Metapher: „Die Partei ist für den Kirchentag, was der unangenehme Onkel für jede Familienfeier ist.“ Da Blut dicker ist als Wasser, folgert er: „Niemand mag ihn, aber er gehört halt zur Familie.“ Doch das stimmt nicht. Kirchentage unterhalten keine Blutsbande zu Rechtspopulisten. Bisher war das klar. Seit einer Pressekonferenz im Mai ist aber unnötigerweise ein Streit über die Teilnahme der AfD beim nächsten Kirchentag entbrannt. Mit einem Beschluss vom 17. September versucht das Präsidium, den entfachten Schwellbrand jetzt zu löschen: „Angesichts der gegenwärtigen Diskussion über den Umgang mit Rechtspopulismus bekräftigt der Kirchentag seine Haltung: Es wird niemand wegen seines Parteibuches ein- oder ausgeladen.“

Haltung wird gezeigt gegenüber Parteibüchern. Die Argumentation des Kirchentages implementiert eine befremdliche Schizophrenie, wenn Parteibuch, Parteigänger und Person voneinander entkoppelt werden. Die Chefetage der größten protestantischen Laienbewegung läuft Gefahr, in dieser Hängepartie die Bodenhaftung zu verlieren. Zu Hunderttausenden hat das Kirchentagsvolk die Ärmel hochgekrempelt, um Flüchtlingen bis an den Rand eigener Nervenzusammenbrüche zu helfen. Mittlerweile sind wir auf der mühsamen Langstrecke der Integration angekommen. Dafür braucht es Rückenwind vom Kirchentag und keine Haarspalterei bezüglich der Haltung zur AfD. Die bisherige Pegida- und AfD-Rhetorik hat den Nährboden bereitet für brennende Flüchtlingsheime, Angriffe auf Ausländer und ihre Gotteshäuser. Drei Argumente nennt der Beschluss des Präsidiums: „Vortragende auf Kirchentagspodien werden aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz eingeladen.“ Fachkompetenz soll also der Türöffner sein. Wer überprüft sie und erklärt das Ergebnis dem kritischen Kirchentagspublikum? Sollte ein AfD-Funktionär den Kompetenzcheck bestehen, wird dieser mit neuem Gütesiegel auf Wahlkampftour gehen: für demokratie- und kirchentagstauglich befunden. Und das vor dem Hintergrund der Bundestagswahlen im kommenden Herbst.

Das zweite Argument offenbart ein Dilemma. „Nicht eingeladen wird, wer sich rassistisch äußert.“ Tag und Nacht dröhnen rassistische und Minderheiten verachtende Äußerungen aus der Ecke der AfD und ihrer Sympathisanten. Die Beweislage ist eindeutig. Wer aber führt den Rassismus-TÜV durch und zieht Konsequenzen? Wo sitzt die heilige Inquisition der Protestanten? Warum genügen die Äußerungen in Talk-Shows, Zeitungen, Wahlkampfveranstaltungen und im Internet nicht?

Da verwundert das dritte Argument nicht: „Gleichermaßen nicht eingeladen werden Personen, die Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verbreiten, unabhängig davon, ob dies in offiziellen Statements oder in sozialen Medien und Netzwerken geschieht.“ Faktisch klingt das nach einer Ausladung. Aber ausgesprochen wird sie nicht. Warum nicht?

Wir brauchen diese Phantomdebatte nicht. Sie schadet dem Ansehen des Kirchentages. Noch steht kein einziger AfDler mit Einladungskarte draußen vor der Kirchentagstür. Trotzdem wird ein Konflikt am Köcheln gehalten, der den Betriebsfrieden gefährdet.

Angesichts horrend gestiegener rechtsradikaler Gewalttaten, die 2015 um 38 Prozent, auf über 22?000 Straftaten, angestiegen sind, darf es keine kirchliche Appeasement-Politik gegenüber diesen völkischen Agitatoren geben. Eine Kirche des Wortes wäre gut beraten, sich eine abschließende Meinung zu bilden und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Partei der völkischen Alternativlosigkeit will den politischen Systemwechsel, eine andere Kirche und prügelt in ihrem Programm auf Multi-Kulti ein. Ein geschichtsblinder Kulturpessimismus verweigert die Anerkennung der vielfältigen, kulturellen und religiösen Wurzeln Europas. Mit den über vier Millionen Muslimen im Land will die AfD nichts zu tun haben. Und der Untergang des Abendlandes steht bei ihr kurz bevor.

Eine AfD, die den Islam so zum Feindbild aufpumpt, gefährdet den Frieden unserer Gesellschaft und jeden inter-religiösen Dialog. Keine Fachkompetenz der Welt kann dies kompensieren. Hoffentlich wissen die Projektleitungen, was sie tun. Wasch mir den Pelz und mach mich nicht nass, funktioniert nicht. Ein bisschen AfD einladen und ausladen, auch nicht. Der Schwellbrand ist auszutreten, bevor ein Flächenbrand im Kirchentagslager entsteht am Vorabend des Reformationsjubiläums.

Siegfried Eckert

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