Chapeau

Eine Theologie der Gefühle
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Souverän und ohne sich an Größen der Theologiegeschichte kleinmachend anzulehnen, ist man hier Gast in der Werkstatt einer Theologie der Gefühle.

Begriffsgangster. Diese lange gültige Zuschreibung für die denkende Elite der evangelischen Theologie gilt nicht länger, denn, milde verspätet, haben Roderich Barth und Christopher Zarnow eine Theologie der Gefühle auf die Agenda gesetzt und im eleganten Tanzschritt sich in jenen „emotional turn“ eingedreht, der seit den Achtzigerjahren fächerübergreifend auf der Tagesordnung steht. Die Essays des Aufsatzbandes versuchen auf drei systematische Leitfragen Antworten zu geben: Gibt es religiöse Gefühle – und sofern ja, wie lässt sich ihr Spezifikum bestimmen? Gibt es eine dem Gefühl eigene Rationalität, oder ist das Gefühl das Andere der Vernunft? Beinhaltet eine Theologie der Gefühle auch eine Kritik oder Pädagogik der Gefühle?

Alle drei unter der systematischen Perspektive rubrizierten Aufsätze (Bernhard Grom, Eva Weber-Guskar, Sabine Döring) kommen trotz unterschiedlicher Anfahrtswege darin überein, religiöse Gefühle von nicht-religiösen Gefühlen durch den Objektbezug und nicht durch die Erlebnisqualität zu charakterisieren. Spannend zu lesen sind auch die problemgeschichtlichen Vertiefungen, weil Claus-Dieter Osthövener an die Gefühlskulturen der Aufklärung erinnert und Christopher Voigt-Goy den Faden gleichsam aufnimmt und die Erweckungsbewegung in Neuengland untersucht.

In zwei funkelnden Lektüren inventarisieren Michael Moxter die Probleme der Gefühlstheorie des „ganzen Schleiermacher“ und Markus Buntfuß die Gefühlstheorie De Wettes, der im produktiven Anschluss an Fries als Grundformen des religiös-ästhetischen Gefühls Begeisterung, Ergebung und Andacht ausmachte. Luzide theologische Konkretionen bieten Elisabeth Naurath für die Praktische Theologie und Friedhelm Hartenstein für das Alte Testament. Johannes Fischer bekräftigt noch einmal seine nach meiner Einschätzung bleibende Einsicht, dass die Engführung der Moral auf die Handlung dazu geführt hat, die religiöse Dimension der Moral zu verunklaren.

Einen flamboyanten Aufsatz über den Neid legt Notger Slenczka vor. Slenczka, der durch seine angestoßene Kanondebatte einen wahren Shitstorm über sich ergehen lassen musste (ich bin ihm dankbar, weil man als Liebhaber des Alten oder Ersten Testaments jetzt endlich gegen alle Verkürzungen Tacheles reden kann), zeigt sich souverän auf der Höhe des Diskurses, deutet in einer dichten phänomenologischen Beschreibung Neid als negatives Selbstverhältnis, das auch die Grundformulierungen der Sündenlehre neu deutbar macht. Souverän und ohne sich an Größen der Theologiegeschichte kleinmachend anzulehnen, ist man hier Gast in der Werkstatt einer Theologie der Gefühle. Auch wenn ich theologisch Slenczka nicht immer zustimme, kann ich mich nicht entsinnen, während der letzten Dekade einen so großartigen Aufsatz aus der Feder eines Theologen gelesen zu haben. Chapeau!

Die Debatte ist also eröffnet. Künftig wird man weiterhin klären, welchen Theorieansätzen zu folgen ist: der Emotionsforschung in der Breite der Angebotspalette von de Sousa, Salomon, Griffiths bis zu Nussbaum oder eher der Gefühls- und Leibtheorie von Hermann Schmitz, der, lange schnöde übersehen, inzwischen viele Anhänger auch in der jüngeren Forschergeneration besitzt. Mir scheint das Theorieangebot von Schmitz besonders geeignet, um die drei aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Für alle Leserinnen und Leser, die sich nicht zu den Begriffsgangstern zählen und sich in den „emotional turn“ eindrehen wollen, bietet dieser leider etwas teure Sammelband eine erste Choreographie.

Roderich Barth, Christopher Zarnow (Hg.): Theologie der Gefühle. De Gruyter Verlag, Göttingen 2015, 247 Seiten, Euro 69,95.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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