Wichtig

Ehrenamtliches Engagement
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Welche Rolle spielen die Engagierten vor Ort bei der politischen Debatte?

Bürgerschaftliches Engagement hat Konjunktur. Ohne engagierte Bürgerinnen und Bürger, die Betten und Frühstück zubereiten, Kinderspielzeug sammeln, Deutschunterricht geben, ließe sich die aktuelle „ Flüchtlingskrise“ nicht bewältigen. Zehntausende Gastgeberinnen und Gastgeber, viele davon Ehrenamtliche in den Kirchengemeinden, haben unserem Land eine neue Willkommenskultur geschenkt. Wo aber die ehrenamtlich Engagierten an ihre Grenzen kommen, weil eine berufliche Freistellung nicht über Wochen und Monate möglich ist oder weil die Supervision fehlt, da stellt sich immer häufiger die Frage, ob Ehrenamtliche nicht zum „billigen Jakob“ eines schlank gesparten Staates werden. Inzwischen wird nachjustiert: Neue Verteilzentren werden eingerichtet, Wohnungsbauprogramme aufgelegt. Tatsächlich wird jedoch viel mehr gebraucht: mehr Investitionen in Tageseinrichtungen und Schulen, mehr Traumatherapeuten und Deutschlehrerinnen. Welche Rolle spielen die Engagierten vor Ort bei der politischen Debatte? Sie haben die Willkommenskultur geprägt – werden sie nun auch dazu beitragen, die Sozial- und Gesellschaftspolitik für die Einwanderungsgesellschaft zu gestalten? Welche Rolle können dabei Mittlerorganisationen wie die Kirchen spielen? Und werden sie auch die Migrantinnen und Migranten im Blick haben, die in diesem Prozess selbst zu Ehrenamtlichen geworden sind?

„Es geht um ein neues Verhältnis von Staat und Gesellschaft, das nicht in Kategorien staatlicher Planung und Steuerung von gesellschaftlichen Prozessen definiert wird, sondern im Sinne einer neuen, kooperativen und partnerschaftlichen Verantwortungsteilung“, zitieren die Herausgeber des vorliegenden Buches den inzwischen verstorbenen Michael Bürsch, der von 1999–2002 der Enquetekommission des Deutschen Bundestages zur Förderung Bürgerschaftlichen Engagements vorsaß. Die Beiträge spiegeln die Debatte um das „Leitbild Bürgergesellschaft“ und das Ringen um eine „Engagementpolitik“ des Bundes wie der Länder und Kommunen. Begriffe wie „altes“ und „neues“ Ehrenamt und auch die Ergebnisse des – 2016 in der vierten Staffel erscheinenden – Freiwilligensurveys der Bundesregierung sind inzwischen auch für die kirchlichen Engagement-Strategien handlungsleitend geworden. Die Texte machen da-rüber hinaus deutlich, in welchem Maße der Strukturwandel des Ehrenamts zum Querschnittsthema geworden ist, weil er den gesellschaftlichen Wandel insgesamt spiegelt – von der Arbeitsmarktentwicklung bis zur Rentenpolitik, von der Vereinbarkeit bis zur Bildungspolitik.

Wie das Beispiel oben zeigt, griffe es zu kurz, bürgerschaftliches Engagement vor allem nach seinem gesellschaftlichen und sozialen Nutzen zu beurteilen; leider weist die zunehmende „Monetarisierung“ des Ehrenamts mit Übungsleiterpauschalen und Freiwilligendiensten als Ersatz für Erwerbsarbeit in diese Richtung. Vielmehr sind Selbstwirksamkeitserfahrungen die wesentliche Triebfeder des Engagements. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe, von der niemand ausgeschlossen sein sollte – auch Menschen mit Behinderung, Hartz-IV-Empfänger oder Migranten nicht. Das signalisiert der Titel „Recht auf Engagement“. Wer das Buch unter der Perspektive kirchlicher Organisationsentwicklung und Ehrenamtsstrategien liest, könnte enttäuscht sein. Trägerorganisationen in Kommunen, Wirtschaft und Verbänden sind zwar durchaus im Blick; es geht aber in erster Linie um die Entwicklung demokratischer Teilhabe in einer vielfältig aufgestellten Zivilgesellschaft. Was Kirche und Diakonie dazu beitragen könnten – in Bürgerkommunen wie in vielfältigen Netzwerken –, ist allerdings längst noch nicht ausgeschöpft.

Susanne Lang/ Serge Embacher (Hg.): Recht auf Engagement. J. W. Dietz Verlag, Bonn 2015, 176 Seiten, Euro 14,90.

Cornelia Coenen-Marx

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Cornelia Coenen-Marx

Cornelia Coenen-Marx  ist Oberkirchenrätin a. D.  Nach Eintritt in den Ruhestand machte sich Coenen-Marx 2015 mit dem Unternehmen „Seele und Sorge“ selbständig, um soziale und diakonische Organisationen sowie Gemeinden bei der Verwirklichung einer neuen Sorgeethik zu unterstützen.


 

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