Lebendig

Katechismus a là Käßmann
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Es geht darum, für sich persönlich die Glaubenswahrheit zu finden, die sie mit anderen in der Gemeinschaft zu teilen, und zu respektieren, dass andere Menschen andere Wege zu Gott gehen.

Früher gehörte Martin Luthers Kleiner Katechismus zur geistlichen Leib- und Mag enspeise der Nation. Das ist lange her. Schon die Einstiegsszene der Buddenbrooks von Thomas Mann, in der Tony Buddenbrook von ihrem Großvater jenen Kleinen Katechismus abgefragt wird, verweist auf Zeiten, die schon zur Zeit der Entstehung des Werkes um 1900 lange zurücklagen. Selbst in seinem locus classicus des vergangenen Jahrhunderts, dem Konfirmandenunterricht, kommt er kaum mehr vor. An die Stelle der Unterweisung im christlichen Glauben ist in einer freien Gesellschaft der Versuch getreten, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.

Margot Käßmann versteht es meisterhaft, mit Menschen ins Gespräch zu kommen: von Angesicht zu Angesicht, als Rednerin, Predigerin und als Buchautorin. Das Grundprinzip ihrer Art der Glaubensvermittlung legt sie im Eingangskapitel so nieder: "Glaube, wie ich ihn verstehe, kann gerade mit dem Fragen, dem steten Suchen nach Wahrheit, den überraschenden Neuentdeckungen und den Erschütterungen unser Leben im guten Sinne tragen und prägen. Er weicht dem Zweifel und den Bedrängnissen nicht aus. Aber er findet Halt in Gott und führt so zu einer Haltung."

Halt in Gott, der zum Glaube als Haltung führt - damit ist jene Melange aus Empfindungen, ethischen Überzeugungen und biblisch-theologischen Mustern beschrieben, mit der Käßmann ein umfangreiches, abwechslungsreiches Bild von dem entwirft, "worauf wir uns verlassen können". Die Autorin findet einprägsame Formulierungen, sei es, um biblische Geschichten zu charakterisieren - so bezeichnet sie die Josephsgeschichte aus Genesis 37-50 als "extreme ,Patchworksituation'", sei es, um theologische Grundsätze auf den Punkt zu bringen, zum Beispiel wenn sie sich von fundamentalistischen Positionen so absetzt: "Es geht darum, für sich persönlich die Glaubenswahrheit zu finden, die ich mit anderen in der Gemeinschaft teile, und gleichzeitig zu respektieren, dass andere Menschen andere Wege zu Gott sehen und gehen." Dabei webt Käßmann ausführlich Zitate anderer Gottesdenkerinnen und -denker ein, Gedichte und Texte von Kurt Marti, Marie Luise Kaschnitz, Johanna Rahner, Dorothee Sölle und vielen anderen.

Die Autorin holt die Leser immer wieder da ab, wo sie sind, zum Beispiel im Kapitel "Verzweifeln an der Welt", wo sie in einer lebhaften Tour d'Horizont die Theodizeefrage abschreitet, die in einem Lobpreis der biblischen Zehn Gebote mündet. Das alles immer im Gestus des "Mir hat es geholfen - ich glaube, es könnte auch dir helfen" und nicht "So hat es zu sein - das musst Du glauben". In den letzten beiden Sätzen des Buches bringt sie ihr Anliegen auf den Punkt: "Immer wieder anfangen im Glauben, gegen allen Zweifel. Ich bin überzeugt, darauf liegt Segen." Diesem Anliegen verleiht Margot Käßmann in ihrem Buch lebendigen Ausdruck.

Margot Käßmann: Im Zweifel glauben. Herder Verlag, Freiburg 2015, 208 Seiten,

Euro 19,99.

Reinhard Mawick

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