Fundgrube

Evangelische Argumentation
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Eine Empfehlung für die Gemeindegruppenarbeit, aber auch für Menschen, die einfach etwas mehr über das Evangelische erfahren wollen.

Aktuell ist Okko Herlyn mit seinem Kabarett-Programm "Hier stehe ich, ich kann auch anders!" unterwegs und begeistert mit seinen Provokationen zu Kirche & Co das Publikum. In ähnlich lockerer und aus dem Leben gegriffener Weise kommt dieses kurzweilig anmutende Buch daher.

Der emeritierte Ethikprofessor und gelernte Pfarrer will den Blick für das Ganze und die zentralen Inhalte schärfen - damit die christliche Identität im Miteinander in der Kirche, aber auch im Gespräch mit Menschen anderer Religionen wieder vermittelbar wird. Dabei geht es aber keineswegs um Schlichtheit, sondern darum, das Komplexe so auszudrücken, dass es verstehbar bleibt. Fragen und Zweifel sind ihm ausdrücklich wichtige Begleiter auf der Suche nach der evangelischen Identität. Herlyn ist überzeugt: "Wir müssen wieder lernen, auch über das zu reden, was wir glauben, und das, was uns am Glauben schwer fällt." Wie das gehen kann, zeigt er auf überzeugende Weise in dem vorliegenden Buch.

Die Abschnitte sind kurz und bündig, enthalten aber stets das Wesentliche. Drei Beispiele: "Die Bibel aufschlagen: Wo anfangen, wo aufhören?" - "Einfach glauben: Manche Sachen, die wir getrost belachen" - "Den Mund aufmachen: Zwischen Missionssonntag und Mission Impossible". Das motiviert zu näherer Betrachtung.

Herlyn arbeitet heraus, welche Erkenntnisse der Reformation für heute wichtig sind: mit Hilfe der vier "Soli" wird die Idee der Rechtfertigung aus Gnade ebenso vorgestellt wie die Geschichte des Auszugs Abrahams als Liebesgeschichte. Oberflächlichkeit und frommes Getue sind abzulehnen. Frömmigkeit kann nicht bürgerlich-tugendhaft daherkommen, sondern ist die Glaubenshaltung des Christen in der Bindung an den gnädigen Gott. Der Autor fragt, ob die Bibel in der evangelischen Kirche heute tatsächlich das beachtete Buch ist, wie es die Reformatoren zur Grundlage der protestantisch-evangelischen Bewegung gemacht haben. An anderer Stelle wird mit Bezug auf Dietrich Bonhoeffer pointiert, dass Kirche nicht um sich selbst kreisen darf, sondern "Kirche für andere" ist, Anwältin der Schwachen. Evangelischer Glaube ist, so Herlyn, nicht naiver blinder Glaube, sondern ein Glaube, dem das verständige Erkennen zur Seite steht, das wird mit Anselm von Canterbury, Karl Barth und Rudolf Bultmann argumentativ unterlegt.

Man spürt die reformierte Prägung, wenn der Autor nach Nüchternheit in Sachen Spiritualität ruft. Und das Gebet? Für Herlyn ist es nicht ein Beten zu irgendwelchem Nutzen, sondern der schlichte menschliche Anteil an der Beziehung Gottes zu mir. Nicht Tun-Ergehen, sondern die durch die Gnade Gottes motivierte gute Tat als Dank dafür ist evangelisch. Für die Gestaltung eines evangelischen Gottesdienstes erwartet Herlyn mehr Mut beim Einbringen von Gaben und Kreativität, mehr Öffentlichkeit. Die Taufe: eine besondere Art der Verkündigung, ein Zeichen für das "Ja" Jesu Christi, das Abendmahl: einladende Wegzehrung für Alle. Es ist deutlich zu spüren, dass dem Autor das alles eine Herzensangelegenheit ist. Zum guten Schluss dann eine Zugabe mit "Humor", ohne den ein menschenfreundlicher Protestantismus nicht sein kann.

Das Buch eignet sich als Fundgrube für die Gemeindegruppenarbeit, aber auch als Lektüre für Menschen, die einfach etwas mehr über "das Evangelische" erfahren wollen, als Argumentationshilfe im Gespräch. Es ist durch die zahlreich erzählten Erfahrungsgeschichten geerdet. Das macht die verschiedenen thematischen Felder für den Leser sehr gut nachvollziehbar. Die Texte sind leicht verständlich, unkonventionell - und gerade deshalb ist das Buch einfach gut.

Okko Herlyn: Was ist eigentlich evangelisch? Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2015, 191 Seiten, Euro 14,99.

Peter Noss

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