pro und contra

Können Christen mit Muslimen beten?
Die wachsende Zahl von Muslimen in Deutschland stellt auch Fragen an das Miteinander der Religionen und das interreligiöse Gebet. Für den Pfarrer und zeitzeichen-Redakteur Jürgen Wandel stellt das gemeinsame Gebet von Christen und Muslimen kein grundsätzliches Problem dar. Hans-Jürgen Abromeit, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern, sieht hingegen fundamentale Hindernisse für ein gemeinsames Gebet.

Miteinander und nacheinander

Beim Beten kommt es immer auf den Inhalt und die Situation an

Christen vertrauen darauf: Gott weiß, was Menschen brauchen, bevor sie um etwas bitten. Das führt zu Gelassenheit, auch im Blick auf interreligiöse Gebete.

Können, dürfen Christen und Muslime miteinander beten? „Das kommt darauf an“, lautet meine Antwort. Denn gegen ein grundsätzliches Ja oder Nein sprechen theologische, dogmatische und seelsorgerliche Gründe.

Im christlichen Gottesdienst münden Gebete oft in die liturgische Formel „durch Jesus Christus unseren Herrn“. Sie erinnert daran: Christen können nicht von Jesus absehen, wenn sie Gott denken, von ihm sprechen und zu ihm beten. „Durch Jesus Christus“, durch das, was das Neue Testament von ihm überliefert, wird nach christlicher Überzeugung Erkenntnis Gottes möglich, inspiriert, vertieft und zugleich begrenzt.

Denn für sich genommen ist das Wort „Gott“ eine Leerformel. Sie wird oft mit dem gefüllt, was Menschen sich wünschen und bezwecken. Wilhelm II. (1859–1941) verstand sich als Kaiser von Gottes Gnaden und glaubte, dass Gott mit ihm und den Deutschen sei. „Gott mit uns“ stand in beiden Weltkriegen auf den Koppelschlössern deutscher Soldaten, auch als sie 1939 bis 1945 einen Vernichtungskrieg führten. Um ihren Anhängern den Kirchenaustritt zu erleichtern, führten die Nazis 1936 die standesamtliche Rubrik „gottgläubig“ ein. Denn die bis dahin übliche Bezeichnung für Konfessionslose „Dissident“ klang zu sehr nach „gottlos“.

Auch der Gottesbezug des Grundgesetzes meint nicht ausdrücklich den, den Christen mit „Vater unser“ ansprechen. Er will nur daran erinnern, dass der Mensch nicht der Herr aller Dinge ist und die Würde des Menschen menschlicher Rechtssetzung vorausgeht und ihr zugrunde liegt. Gott so zu verstehen und in der Verfassung zu verankern, mag sinnvoll sein. Aber für Christen ist Gott mehr. Wenn sie von und zu ihm sprechen, tun sie das „durch Jesus Christus“. Er hat den Gott der Juden auch denen erschlossen, deren Mutter keine Jüdin ist und die nicht zum Judentum übergetreten sind. Und damit hat das Christentum die universalistische Tradition des Alten Testaments aufgenommen und weiterentwickelt.

Ethischer Anspruch

Der Gott, den der Jude Jesus seinen Vater nennt, unterscheidet sich von Götzen, die bisweilen auch von Christen angebetet werden. Dieser Gott bildet nicht die Spitze einer Hierarchie von Machthabern. Er ist nicht der Schirmherr von Völkern und Parteien und „jenes höhere Wesen, das wir verehren“ (Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen). Der Gott Israels entzieht sich der Festlegung durch Menschen: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Aber er erhebt einen ethischen Anspruch, verlangt von denen, die an ihn glauben, ihn bekennen und zu ihm beten, dass sie ihren Nächsten lieben und tun, was dem Friede und der Gerechtigkeit dient.

Darüber hinaus ist nach christlichem Verständnis „durch Jesus Christus“ die Unterscheidung zwischen rein und unrein aufgehoben. Dem Gott, den Christen anbeten, ist egal, was Menschen essen, zum Beispiel Schweine- oder Rindfleisch. Vielmehr stellt er ihnen die Frage, ob sie mit der Schöpfung, auch mit Tieren, verantwortungsvoll umgehen.

Das Gottesbild von Christen unterscheidet sich also zumindest partiell von dem, das orthodoxe Juden und wohl die meisten Muslime haben. Und bedeutet das, dass Christen mit ihnen nicht beten können?

Für Jesus war Gott „die Liebe“. Und er schärfte denen, die ihm nachfolgen wollten, ein: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Das ist für Christen die Leitlinie ihres Glaubens, Betens und Handelns. Wenn Gott die Liebe ist und die Liebe größer als Glaube und Hoffnung, freuen sich Christen, wenn zwei Menschen einander zugetan sind, dies ein Leben lang bleiben und vor Gott und einer Kirchengemeinde öffentlich kundtun wollen. Daher trauen einige evangelische Kirchen auch schwule und lesbische Paare und beten in einem Traugottesdienst darum, dass Gott sie segnet und ihre Liebe wächst und gedeiht. Traditionalistische Katholiken und manche evangelikale Protestanten beten dagegen dafür, dass Homosexuelle „geheilt“, sprich: umgepolt werden. Angesichts solcher Unterschiede stellt sich die Frage, ob Christen immer miteinander beten können?

Die Antwort kann kein grundsätzliches Ja oder Nein sein. Vielmehr kommt es auch hier auf den Inhalt eines Gebetes an, worum gebetet wird und ob es guten Gewissens „durch Jesus Christus unseren Herrn“ geschehen kann.

Auch die Antwort auf die Frage, ob Christen mit Muslimen beten können, hängt vom Inhalt des Gebets ab und – von der jeweiligen Situation. Ist ein muslimischer Kollege, Nachbar oder Freund schwer erkrankt, werden Christen – hoffentlich – in sein Gebet um Heilung einstimmen. Und aus Gründen des Taktes werden sie am Krankenbett die Formel „durch Jesus Christus unseren Herrn“ nicht sprechen, sondern nur denken.

Ja, wenn sie sich ihres Glaubens sicher sind, können sie auf die liturgische Formel getrost verzichten. Denn Christen vertrauen darauf, dass Gott auch Gebete (er)hört, die nicht ausdrücklich an ihn gerichtet oder anders adressiert sind. Denn der Gott, zu dem wir „durch Jesus Christus unseren Herrn“ beten, ist nicht wie ein Mensch, der erst reagiert, wenn man ihn bei seinem Namen anspricht und dies umso eher und bereitwilliger tut, je mehr man auf ihn einredet. „Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet“, sagt Jesus den Jüngern in der Bergpredigt und ermahnt sie, „nicht viele Worte“ zu machen.

Ein Gebet am Krankenbett geschieht in einer intimen Umgebung. So unterscheidet es sich von dem in der Öffentlichkeit, zum Beispiel bei Gottesdiensten angesichts einer Naturkatastrophe, eines Flugzeugabsturzes oder von Kriegsgefahr.

Um den Eindruck einer Religionsvermischung zu vermeiden, ist es sinnvoll, dass dabei – wenn Christen und Muslime betroffen sind – eine Pfarrerin und ein Imam nicht miteinander beten, sondern nacheinander. Und dabei sollte sie ruhig „Im Namen Gottes, des Vaters und des Heiligen Geistes“ beten und er „Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen“. Und die Angehörigen der jeweils anderen Religion sollten sich die Gebetsanliegen, soweit möglich, schweigend zu eigen machen. So halten es Protestanten, wenn römische Katholiken in ihrer Anwesenheit das Ave Maria beten.

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Jürgen Wandel

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