Selbstprojektion

Mohammed: Eine Biographie
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Das Buch ist mehr als die bloße Selbstdarstellung eines der Psychiatrie noch einmal Entronnenen.

Von ein paar Eckdaten abgesehen, haben wir keine Ahnung, wie das Leben Mohammeds tatsächlich verlaufen ist. Die Geschichte hat zur Genüge gezeigt, dass jede Rekonstruktion seines Lebens mehr über den Forscher selbst als über den Erforschten verrät.

Die ältesten Biographien sind viele Generationen nach dem Tod des Propheten entstanden unter dem Eindruck und als Reflex der überaus erfolgreichen Expansion des Islams. Es gibt zahllose Berichte dessen, was Mohammed angeblich gesagt und getan hat - insgesamt Stoff für mehrere Leben, wenn sie alle echt wären. Mit einem Wort: Auch jede heutige „Biographie“ des Propheten ist ein gutes Stück Projektion des Autors.

Im vorliegenden Fall sogar ein besonders großes Stück. Hamed Abdel-Samad sagt eingangs selbst: „Mohamed (M.) als historische Persönlichkeit, seine Taten und Worte sind eine Projektionsfläche, die nach Belieben gefüllt werden kann. Jeder kann daraus machen, was er will, um darin eine Bestätigung und Legitimation dessen zu finden, wonach er trachtet und wer er ist. Es kommt also ganz darauf an, wonach man sucht, wenn man in M.s Biographie und im Koran oder den Hadithen stöbert. Um im Bild zu bleiben: Man kann die Karte des gütigen M.s ziehen und ausspielen, aber auch die des Monsters.“ Kein Zweifel: Der Autor spielt die Karte des Monsters aus - und sichert sich alle Aufmerksamkeit der Welt. Denn Monster erhalten größere Schlagzeilen als Friedensstifter. Aber das ist nur ein angenehmer Nebeneffekt. Primär geht es dem Autor um eine persönliche Abrechnung, wie es im Untertitel heißt. Wer nur ein wenig über Abdel-Samads leidvolles Leben Bescheid weiß, wie er es selbst in „Mein Abschied vom Himmel“ 2009 berichtet hat, dem zeigt sich die Darstellung Mohammeds als eine Selbstprojektion des Hamed Abdel-Samad. Auch macht es die völlig unübliche und nirgends im Buch begründete Streichung des mittleren „m“ im Namen des Propheten verständlich: „Mohamed“ ist ein Spiegelbild des „(Mo-)Hamed“. Der Prophet sei ein Außenseiter gewesen, ein Gedemütigter, der lange um Anerkennung kämpfen musste.

Das gilt auch für Hamed. In erster Ehe mit einer wesentlich älteren Frau verheiratet - der Autor auch. Ein psychisch Gestörter mit Wahnvorstellungen, Suizidneigung und dergleichen mehr - der Autor auch. Dennoch ist das Buch mehr als die bloße Selbstdarstellung eines der Psychiatrie noch einmal Entronnenen. Überhaupt ist es etwas besser als sein Ruf in der islamischen Community, die es entweder als Pamphlet oder als quasi blasphemisch abtut. Quasi deshalb, weil Mohammed, bei aller Verehrung, natürlich weder Gott selbst noch der Dreh- und Angelpunkt des Islams ist. Oder doch? Das ist eines der Kernprobleme, das der Autor mit Recht anspricht: dass der Islam zu einer Art Mohammedanismus verkommen sei. Dass der Prophet so überidealisiert werde, dass die Religion kritik- und reform-unfähig werde. Zu den unbestreitbaren Eckdaten im Leben Mohammeds gehört seine Radikalisierung in Medina - sei es gegenüber den jüdischen Stämmen, sei es in den Konflikten mit den mekkanischen Gegnern, sei es in seiner Haltung gegenüber Frauen. Darin war der Prophet eben nicht nur Kind seiner Zeit, sondern, so der Autor, schlimmer als seine Zeitgenossen. Ja, wäre er nur Kind seiner Zeit geblieben. Doch der Autor beklagt: Mohammed sei zwar vor 1?400 Jahren gestorben, aber er sei nie wirklich begraben worden. Er herrscht noch immer und ist Vorbild für zahllose Muslime, friedliche wie gewaltbereite. Faktisch gibt es viele Mohammed-Bilder in der islamischen Welt, und das hier gezeichnete gehört nicht zum Mainstream. Die Frage nach dem „richtigen“ Mohammed-Bild lässt sich ohnehin nie beantworten. Das ist auch egal. Denn der Mittelpunkt des Islams ist gerade nicht der Prophet, sondern Gott und seine Barmherzigkeit, die der Koran zu betonen nicht müde wird.

Martin Bauschke

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