Differenziert

Kirchlicher Zeitzeuge
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In ihrer Gesamtheit sind die Aufsätze so vielfältig wie die Wirksamkeit Gottfried Forcks.

Der entpersonalisierten Geschichtsschreibung zum Trotz gibt es historische Persönlichkeiten, in denen sich historische Entwicklungen verdichten - anhand derer Geschichte nachvollzogen werden kann. Eine dieser Persönlichkeiten für die neueste Kirchengeschichte ist Gottfried Forck, seit 1981 letzter Bischof für die Ost-Region der Berlin-Brandenburgischen Kirche. Dies macht der jüngst erschienene Sammelband, herausgegeben von Martin-Michael Passauer, deutlich. Indem er dem Bilde Forcks durch vielfältige Beiträge - von Forcks Fahrer bis hin zu seinen Amtsnachfolgern, Wolfgang Huber und Markus Dröge - Farbe verleiht, ergänzt er die bereits 2009 erschienene Biografie Den Menschen eine Stimme geben von Christian Sachse.

Die Erinnerungen - etwa des Diakons Michael Heinisch - machen nicht nur deutlich, wie Forck die Lebenswege vieler Protestanten in der DDR positiv beeinflusste. Sie zeichnen zudem das Bild eines profilierten Theologen - so Heino Falcke über den Luther-Forscher Forck - und gegenüber dem Regime standhaften Christen - so sein Weggefährte Manfred Stolpe - nach. Es ist den prominenten Autoren zu danken, dass es ihnen gelungen ist, sich auf Forck und seine historische wie persönliche Bedeutung zu fokussieren, und ihn nicht als Aufhänger für selbstzentrierte Reflexionen zu gebrauchen. In ihrer Gesamtheit sind die Aufsätze so vielfältig wie die Wirksamkeit Gottfried Forcks.

Auf der einen Seite stehen liebenswerte Anekdoten über persönliche Begegnungen - dabei ist es faszinierend zu beobachten, wie sich aus immer wiederkehrenden Beobachtungen ein spezifisches Forck-Narrativ entwickelt: Forck trägt solidarisch das „Schwerter zu Pflugscharen“-Symbol auf der Aktentasche; Forck hilft anderen Bischöfen in den Mantel; Forck schenkt auf Sitzungen sich selbst und anderen Kaffee ein… Auf der anderen Seite stehen Aufsätze, die - wie etwa Friedrich Winters Beitrag über den Synodalen Gottfried Forck - sein kirchenpolitisches Wirken akribisch nachzeichnen.

Dabei kommt es seitens der Verfasser nicht zu einer Harmonisierung und Glättung des Bildes, das sie von ihren Begegnungen mit Forck vermitteln. Werner Reihlen, Präses der wiedervereinigten Landessynode, schreibt offen über Differenzen mit Forck in friedensethischen wie politischen Fragen und über seine Kritik an der Teilnahme des Bischofs an einer Bonner Großdemonstration gegen den Golfkrieg 1991. Und Amtsbruder Martin Kruse reflektiert selbstkritisch über einen öffentlichen Briefwechsel mit Forck 1986 zum Gedenken an den Mauerbau: Dieser habe - entgegen der Intention beider Theologen - zu Verstimmungen in BRD und DDR geführt.

Von der Gesamtheit der in sich und untereinander stimmigen Beiträge heben sich die Erinnerungen von Hans Modrow an das Ende der DDR in bedenklicher Weise ab. Im Duktus über historiografische Verzerrungen aufklären wollend, tritt der Ex-SED-Funktionär an die Leser heran: „So mancher schmückt sich mit Lorbeer, den er sich später organisiert hat, und andere, die mit sich gerungen, aber wichtige Zeichen gesetzt haben, geraten in Vergessenheit.“ Letztlich werden dabei die Erinnerungen an Forck zur Folie für eine verbitterte Abrechnung mit dem gesamtdeutschen Umgang mit der DDR-Geschichte. Dabei fehlen Vergleiche zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und westlichen Geheimdiensten ebenso wenig wie ein Exkurs in die Totalitarismustheorie.

Da Hans Modrow jedoch nur einer von über dreißig Autoren ist, trübt sein Beitrag kaum den Gesamteindruck des Buches und den Blick, den das Buch eröffnet: auf einen zentralen Akteur der kirchlichen Zeitgeschichte und seine Verflechtung in das Schicksal der Kirche in der DDR.

Tilmann Asmus Fischer

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